© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Der Flaneur
Einfach geklaut, zappzarapp
Bernd Rademacher

Mein polnischer Kollege ist schockiert! Man hat ihm zum zweiten Mal sein Fahrrad gestohlen. Er kann es nicht fassen: „Schon zwei Fahrrad – zappzarapp! In Polen ist normal – aber in Deutschland!?“ Für drei Monate arbeitet er auf einer Großbaustelle. Am Wochenende hat er frei, darum braucht er ein Fahrrad, um in die Stadt zu kommen.

Der Fahrradhändler zwei Querstraßen weiter hat immer günstige Gebrauchte da. Keine Luxusräder, eher Krücken und Gurken, aber besser, als zu Fuß zu gehen. Höchstens fünfzig Euro will mein Polski-Freund bezahlen. Ich gehe mit ihm, weil es mit seinem Deutsch noch etwas hapert.

„Machst du mir neue Hintenreifen. Finfzig Euro und Fahrrad       ist mein!“

So preiswert sind selbst die Gebrauchten nicht. Der Händler kratzt sich am Kopf, dann hat er einen Vorschlag: Er würde sich für 50 Euro von einem Leihrad trennen. Aber der Pole will noch ein bißchen handeln: „Machst du mir neue Hintenreifen. Finfzig Euro und Fahrrad ist mein!“ Der Händler antwortet: „Du gefährlich!“ – aber dann lacht er zustimmend.

Wir gehen zusammen zurück. Er ist hochbeglückt über sein gelungenes Geschäft. Ich frage ihn, wie seine beiden polnischen Mitarbeiter eigentlich in die Stadt kommen. Er lacht: „Die müssen arbeiten. Ich Chef, ich habe Wochenende frei.“ Dann sagt er: „Die beiden junges Leute, Nationalist!“ Er hält eine imaginäre Fahne hoch und marschiert mit gespanntem Unterkiefer auf der Stelle. Er hat komödiantisches Talent.

Plötzlich lacht er mich hämisch aus: „Und? Wieviel Flichtlinge hast du schon aufgenommen?“ Ich antworte: „Das ist nicht witzig.“

Er wird wieder ernst und meint: „Ein paar sind nicht Problem, aber Merkel – kurwa!“ Den Ausdruck kenne ich schon. Er und seine Kollegen rufen es immer, wenn ihnen etwas mißlingt oder aus der Hand rutscht. Möge sich jeder sein Teil denken, was es heißt.