© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Knapp daneben
Ganz einfache Zusammenhänge
Karl Heinzen

Thomas de Maizière gilt als der vielleicht letzte Spitzenpolitiker der CDU, dem man zutraut, daß er tief im Herzen ein Konservativer ist. Man kann sich vorstellen, wie er abends im Bett die Nachttischlampe ausknipst und über die Sünden und Versäumnisse des vergangenen Tages zu grübeln beginnt. Unruhig wälzt er sich hin und her und klagt die grausame Realität an: Wie selten bietet sie ihm doch die Chance, nach seinen Grundsätzen zu handeln! Sein Gewissen dürfte ihn aber zur Selbstdisziplin mahnen und am Ende beruhigt einschlafen lassen: Wäre es nicht anmaßend, sich und seine Ideale verwirklichen zu wollen? Worauf es ankommt, ist doch nur, seine Pflicht mit Anstand zu erfüllen!

Als Konservativer macht sich de Maizière keine Illusionen über die moralische Qualität der Bürger. Er weiß um ihre menschlichen Schwächen. Sein Realismus immunisiert ihn gegen die Versuchungen des Populismus. Wenn man den Bürgern nach dem Munde redet, geben sie nicht Ruhe, sondern werden noch frecher.

Die geheime Stimmabgabe der Bürger bei Wahlen ist ein Relikt aus der Zeit des Obrigkeitsstaates.

Als Konservativer weiß de Maizière zudem, wie simpel die Zusammenhänge sind. Erst gerät der Bürger still für sich in Rage. Dann fängt er an, im Internet anonym zu hetzen. Und wenn das alles nicht hilft, Aggressionen abzubauen, greift er zur Gewalt. In jedem unbescholtenen Bürger von heute kann daher der Politkriminelle von morgen stecken. Diese Spirale der Verrohung will de Maizière stoppen: Wer im Internet Stellung bezieht, soll sich nicht länger hinter Pseudonymen verstecken dürfen. So mancher Krawallmacher würde seine Worte dann sorgfältig wägen, weil er seinen Namen nicht beschmutzen möchte. De Maizière bedenkt allerdings nicht, daß sich feige Wutbürger so zwar im Internet zur Mäßigung anhalten ließen. Bei Wahlen könnten sie aber immer noch ihr Kreuz dort machen, wo es sich nicht gehört. Das Geheimnis, das die Bürger um ihre Stimmabgabe machen dürfen, ist ein Relikt aus der Zeit des Obrigkeitsstaates, in der Oppositionelle Ächtung und Verfolgung fürchten mußten. In einer Demokratie wie der unseren darf von jedem verlangt werden, daß er zu seiner Meinung steht.