© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Der Ruch der Sozialdemokratie
Über Thüringens Anfänge von politischer Bildung
Sebastian Hennig

Mit der jüngsten Veröffentlichung in ihrer Reihe „Quellen zur Geschichte Thüringens“ kehrt die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen an ihre eigenen Quellen zurück. Der Herausgeber Michael Eckardt hat darin die Originalbeiträge der vom Thüringischen Ministerium für Volksbildung 1922/23 herausgegebenen Flugschrift „Republik und Jugend“ versammelt und eingeleitet. Die achtseitigen Drucke wurden an Schüler und Lehrer der höheren Schulen verteilt. Auslöser war die Ermordung von Walther Rathenau im Sommer 1922. Entsprechend unverstellt spricht die Einleitung von einer „selbstmörderischen Nachlässigkeit des Staats, wenn er ruhig zusehen wollte, wie (...) nach und nach seine Todfeinde in die führenden Stellen des öffentlichen Lebens einrücken“. 

Viele Aufsätze rücken die Monarchie in ein übles Licht und apellieren an den Patriotismus des Volkes. Nicht der revolutionäre Verrat am Kaiser hätte die Niederlage der opferbereiten Soldaten besiegelt, sondern allein die unbezwingbare Übermacht des Feindes. Die Dolchstoß-Legende sei eine Herabwürdigung des Volks, ohne die „der Rubin seines heldenhaften Kämpfens und Duldens trotz der Niederlage viel heller in der Geschichte erstrahlen“ könnte. 

Außerdem werden die Umstände des Kriegsausbruchs, die Judenfrage oder die Einigung der acht Kleinstaaten zum Land Thüringischer Freistaat erörtert. Im Gegensatz zum hohen Anspruch der meisten Ausführungen steht die duzende Anrede der Leser. Der Autor Herbert Kühnert stand dem Reformpädagogen Gustav Wyneken nahe. An den Schulen und in der Elternschaft gab es Proteste gegen die Verteilung. Der Vorwurf lautete auf sozialdemokratische Parteiwerbung.

Daß die Republik weniger durch das mangelnde demokratische Bewußtsein ihrer Bürger gefährdet war, als durch ihre politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, erweist sich nicht zuletzt daran, daß die Schriftenreihe trotz Nachfrage bald vor der steigenden Inflation die Segel streichen mußte. Die erstrebte Herausgeberschaft mit dem Freistaat Sachsen konnte damals nicht mehr realisiert werden. Die Broschüre zeigt die Anfänge staatlich gelenkter Demokratieerziehung im Deutschen Reich.

Michael Eckardt (Hrsg.): Staatsbürgerliche Erziehung in Thüringen, Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen, Erfurt 2015, broschiert, 157 Seiten, 8 Euro