© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

„Mit großer Erleichterung“
Armenien-Resolution: Während die türkische Regierung schäumt, freuen sich Armenier und Assyrer über den Bundestagsbeschluß
Hinrich Rohbohm

Die Freude kennt keine Grenzen. Hunderte haben sich vor dem Berliner Reichstag versammelt. Männer und Frauen, die sich an den Händen fassen und einen Kreis bilden. Einige haben sich eine rot-blaue Flagge über die Schulter gelegt. Die Flagge Armeniens. Musik erklingt. Die Leute beginnen zu tanzen. Andere liegen sich vor Glück einfach nur in den Armen. „Super, wir sind total happy“, meinen zwei junge Armenierinnen in akzentfreiem Deutsch. 

Es ist der Tag, an dem der deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der er die Tötung von 1,5 Millionen Christen anerkennt, die 1915 während des Ersten Weltkriegs von Türken und Kurden umgebracht worden waren. 

Überwiegend Armenier, aber auch Assyrer, Aramäer, Chaldäer und Griechen aus der Pontos-Region. Sie alle haben Vertreter in die Plenarsitzung entsandt, um die Sitzung des deutschen Parlaments mitzuverfolgen. 

Türkische Regierung ruft Botschafter ab

Daß es im Bundestag eine Mehrheit für die Resolution geben wird, galt zwar als sicher. Wie groß diese Mehrheit sein würde, war jedoch bis zuletzt fraglich. Daß es am Ende nur eine Gegenstimme und eine Enthaltung gibt, haben dann doch viele als Überraschung aufgenommen. 

Hatte es doch noch Tage vor der Abstimmung massiven Druck von türkischer Seite auf einzelne Abgeordnete gegeben, der Resolution nicht zuzustimmen. Besonders Parlamentarier mit türkischer Abstammung wurden bedrängt und als Verräter beschimpft. Sogar von Todesdrohungen ist die Rede. Denn während die Armenier ausgelassen feiern, wertet die türkische Regierung den Beschluß als Affront und betrachtet die Resolution als „null und nichtig“, da sie ihrer Auffassung nach auf der Grundlage falscher Erkenntnisse zustande gekommen sei. Der türkische Botschafter wurde nach Ankara abberufen, Erdogan droht Deutschland sogar mit Sanktionen.

Vor dem Brandenburger Tor haben unterdessen Angehörige assyrischer und aramäischer Volksgruppen Pavillons aufgebaut, wollen die Annahme der Resolution feiern. Die 17jährige Ninve Ermagan hat sich das Gesicht beschriftet: „I died 1915“ (zu deutsch „Ich starb 1915“). „Das steht symbolisch für alle, die umgebracht wurden“, sagt sie. 

„Für uns ist ein 101 Jahre währendes Trauma zu Ende gegangen“, bewertet Sabri Alkan die Verabschiedung der Resolution, die er „mit großer Erleichterung“ aufgenommen habe. Deutschland habe menschliche vor wirtschaftliche Interessen gestellt. In deutschen Schulen sei der Völkermord von 1915 bisher kaum zur Sprache gekommen. Durch die Resolution sieht er nun die Chance, daß das Thema auch im Geschichtsunterricht häufiger behandelt werde. „Deutschland ist das stärkste Land in Europa. Die Annahme der Resolution könnte daher ein Signal an andere Länder aussenden“, hofft Alkan. Vor allem sei es aber auch ein Signal an die nicht selten bedrängten christlichen Minderheiten in der Türkei, das ihnen Mut machen werde. 

Viele Jahre kämpften die Überlebenden der Massaker und deren Nachkommen um die Anerkennung dieser Genozide an den unterschiedlichen Volksgruppen. Die Debatte darüber war von deutscher Seite jedoch stets als heikel betrachtet worden. Was vor allem damit zusammenhängt, daß man die Beziehungen zur Türkei nicht belasten wollte. Es war der Grüne Cem Özdemir, der in seiner Rede zum Gedenken an den Genozid im April dieses Jahres die Verabschiedung der Resolution beantragt hatte. Sehr zum Unmut zahlreicher Türken, die in dem Abgeordneten mit türkischem Migrationshintergrund nun einen Verräter sehen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nannte Özdemir prompt einen „Besserwisser“ und legte an die Adresse türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter mit harschen Worten nach. „Manche sagen, das seien Türken. Was denn für Türken bitte? Ihr Blut muß durch einen Labortest untersucht werden.“

Auch warf er den Abgeordneten vor, der verbotenen kurdischen PKK als verlängerter Arm in Deutschland zu dienen. Deutschland sei „das letzte Land“, das über einen „sogenannten Völkermord“ der Türkei abstimmen solle. Es solle zunächst Rechenschaft über den Holocaust und „über die Vernichtung von mehr als 100.000 Herero“ in Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts ablegen. Zudem verstehe er nicht, warum Angela Merkel es nicht geschafft habe, ihre eigene Partei dazu zu bringen, gegen die Resolution zu stimmen. Die Bundeskanzlerin war der Abstimmung ebenso ferngeblieben wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier.