© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

„Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“
Ortstermin II: Eine Ladenbesitzerin wehrt sich gegen stehlende Zigeuner und wird dafür an den Pranger gestellt
Ronald Gläser

Die Hermannstraße in Berlin-Neukölln ist Multikulti-Pflaster. Hier quatscht ein Araber laut in sein Handy. Dort sitzen zwei Afrikaner gelangweilt im Schatten unter einem Baum und warten darauf, daß etwas passiert. Zwei Zigeunerinnen mit glänzenden Ketten kommen vom Einkaufen. Überall Kopftücher. Der Handyladen bietet Mobilfunkverträge „auch ohne Schufa“ – die meisten anderen Geschäfte hingegen Glücksspiel oder ausländische Schnellgerichte.

Ingrid S.’s kleiner Laden liegt in einer etwas ruhigeren Seitenstraße. Wenig Laufkundschaft, aber das macht nichts. Ingrid S. versorgt vor allem Stammkunden. Ihr Sortiment ist ein einziges Sammelsurium: indische Gewürze, Lebensmittel, Haushaltsartikel, Kleider, Geschenke, Schmuck, Schals, ayurvedische Bücher, Musikkassetten und Räucherstäbchen. 

Wer das Geschäft betritt, riecht letztere sofort. „Ich habe 200 unterschiedliche Sorten Räucherstäbchen“, sagt die Kauffrau stolz. Deren Duft liegt schwer in der Luft. Der Verkaufsraum ist abgedunkelt, draußen flimmert die Sommerhitze. 

Frau S. steht in ihrem 20-Quadratmeter-Verkaufsraum. Barfuß in einem schwarzen Kleid. Ein Kater zwischen ihren Beinen. Sie schaut erst skeptisch, als das Gespräch auf den wenig vorteilhaften Artikel im Tagesspiegel kommt. Die Zeitung hatte dem Mini-Laden der Diplom-Sozialarbeiterin – geöffnet nur an drei Tagen in der Woche – einen längeren Artikel gewidmet. „Ich bin keine Rassistin und Faschistin“, beteuert S. bestürzt. Sie versteht die Vorwürfe nicht.

Und dann schildert sie, was sich zugetragen hat: Auf dem Totenbett hat sie ihrer indischen Freundin  vor zwei Jahren versprochen, deren Laden weiterzuführen. „Ich drückte ihre Hand, als sie starb.“ Ingrid S. fühlte sich an das Versprechen gebunden und schmiß fortan den Laden. 

Doch die Geschäfte laufen nicht besonders. Was ihr seit einiger Zeit zusetzt, das sind Diebesbanden, die gezielt kleine Ladenbesitzer austricksen. „Einmal haben sie die Kleider dort an der Stange angeschaut und danach waren zehn Teile, von denen jedes 75 Euro kostet, weg. 750 Euro Verlust – das kann ich mir nicht leisten“, so S. Sie sei schon jetzt gezwungen, andere um Hilfe zu bitten, damit sie ihre Lebensmittel bezahlen könne.

Ein anderes Mal kamen mehrere Roma-Frauen und zahlten eine Kleinigkeit mit einem Hunderter. Später war das Wechselgeld weg. S. sagt, sie habe genau aufgepaßt, aber trotzdem habe sie es nicht verhindern können. Auch eine Zeugin habe nichts bemerkt. Die Polizei sei keine große Hilfe, berichtet sie. 

Als sie zu einem Beamten sagte, sie wolle sich ein Pfeffferspray anschaffen, um sich zu verteidigen, habe der nur geantwortet, der Einsatz desselben wäre als Körperverletzung zu werten.

Für S. ist das alles existenzbedrohend. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“, klagt sie. In ihrem Zorn erteilt sie Zigeunern Hausverbot. Sie schreibt auf ein Plakat: „Aufgrund des Diebstahls von Waren und des täglichen kompletten Diebstahls der Kasseneinnahme – inklusive Wechselgeld, Spendengelder der Kunden für Umweltprojekte – durch eine auf Raub und Betrug spezialisierte Bevölkerungsgruppe, hat diese absolutes Ladenverbot.“ Weiter heißt es: „Dies ist kein Rassismus. Was zuviel ist, ist einfach zuviel.“ Dazu ein Verbotsschild, in dem das Wort „Roma“ durchgestrichen ist.

Jetzt ist sie plötzlich Stadtgespräch. „Mit so einem langen Ding hat der mich von der anderen Straßenseite zu fotografieren versucht“, sagt S. und deutet mit ihren Händen ein Teleobjektiv an. 

Da kommt eine Türkin mit ihrer kaum volljährigen Tochter, beide mit offenem Haar, vorbei. „Er hat so schöne Augen“, sagt das Mädchen über den Kater. Ingrid S. spornt es an: „Streichel ihn ruhig.“ „Ach, ich habe so eine Katzenhaarallergie.“ „Na dann lieber nicht.“ Die Türkinnen gehen weiter. 

Jetzt läuft ein Ermittlungsverfahren gegen S. wegen Volksverhetzung. Das Schild mußte sie auch abhängen. Dafür hat sie ein neues angehängt. Darauf steht politisch korrekt: „Betrüger, Diebe, Unehrliche, herzlich willkommen. Einfach in Ruhe aussuchen, eindecken und gehen. Raff zusammen, was sie raffen können (sic!). Nur solange Vorrat reicht.“ Ingrid S. verliert vielleicht ihre Existenz, aber zumindest den Humor hat sie nicht verloren.