© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

Couragiert mit Kabelbinder
Ortstermin I: In Sachsen sorgte eine „ Bürgerwehr“ für Furore, die es gar nicht gibt
Hinrich Rohbohm

Der Frust sitzt tief. „Nein, auf Journalisten sind wir im Moment nicht gut zu sprechen“, sagt die ältere Dame mit den braunrot gefärbten Haaren, die gerade mit ihrem Einkaufswagen auf den Kofferraum ihres Autos zusteuert. „Wenn man sich nicht mal die Mühe macht nachzufragen, wie es wirklich war, dann finde ich das einfach nur unfair und diffamierend. Und da können Sie jeden hier fragen, das sehen alle hier so“, ist sich die Dame sicher. 

Mit „hier“ meint sie den 5.000 Einwohner zählenden sächsischen Ort Arnsdorf, etwa 30 Autominuten von der Landeshauptstadt Dresden entfernt, der kürzlich in den Fokus der Medien geraten war. Vier Männer hatten einen 21 Jahre alten psychisch kranken, aggressiven Iraker aus einem Supermarkt geworfen und ihn anschließend mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Ein ins Netz gestelltes Video zeigt das Handgemenge im Geschäft. Doch was war geschehen? In dem Supermarkt möchte darüber kein Angestellter so richtig reden. Sie dürfen es nicht, wie Anwohner später der JUNGEN FREIHEIT erzählen. Anordnung von der Geschäftsleitung. 

An einem Imbiß, der sich direkt neben dem Discounter-Eingang befindet, stehen einige Kunden. Auch hier gibt man sich wortkarg. Das Mißtrauen gegenüber der Presse ist groß. Zahlreiche Medien hatten die Geschichte verbreitet, eine Bürgerwehr habe den Iraker überwältigt. Ein Mißverständnis, das zustande gekommen war, weil in dem besagten Video eine Frau zu vernehmen ist, die den Begriff „Bürgerwehr“ verwendet. „Der hatte hier rumrandaliert, war nicht mehr zu bändigen“, bricht einer das Schweigen. Die Imbißbetreiberin will gar nichts mehr zu dem Vorfall sagen, ist tief enttäuscht von der Berichterstattung über den Vorfall. Nur soviel möchte sie klarstellen: „Es war keine Bürgerwehr.“ Sie ist die Ehefrau des Tischlers und CDU-Gemeinderatsmitglieds Detlef Oelsner. Der 49jährige ist einer der vier Arnsdorfer, die den Asylbewerber überwältigt hatten. Der 21jährige ist Patient in der örtlichen Psychiatrie. 

Bei dem Discounter im Ort ist er kein Unbekannter. Zweimal war er bereits an diesem Tag von der Polizei abgeführt worden, weil er in dem Geschäft randaliert habe. Dabei sei es um eine Telefonkarte gegangen, die nicht funktionierte, worüber sich der Mann lautstark beschwert habe. Beim dritten Mal soll er eine Kassiererin mit einer Weinflasche bedroht haben. Ein Kunde sei herausgelaufen gekommen, habe gerufen, daß eine Kassiererin bedroht werde. Darauf seien Detlef Oelsner und drei weitere Männer herbeigeeilt, hätten dem Mann die Flasche abgenommen. 

CDU-Politiker und          Polizei verteidigen Oelsner

„Der war kaum zu bändigen“, erinnert sich ein Augenzeuge. Weil der Iraker die Männer immer wieder angegriffen habe, habe man ihn schließlich mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. „Das war kein Ausländerhaß oder so etwas, die Männer sind doch nur zu Hilfe geeilt, weil die Situation da eskaliert ist“, erzählt ein Anwohner. 

Der Vorfall selbst hatte sich bereits am 21. Mai zugetragen. Doch erst als das Video im Internet hohe Wellen schlägt, wird der Vorgang Anfang Juni deutschlandweit bekannt. CDU-Kommunalpolitiker Oelsner verteidigt gegenüber der jungen freiheit sein Eingreifen. „Ich stand mit meinen Bekannten am Gartenzaun. Wir haben uns das angeschaut, hatten aber nicht vor, da hinzu gehen. Der Flüchtling wollte sich dann vor dem Netto eine Zigarette anzünden, aber sein Feuerzeug ging nicht. Da hat er es wütend auf den Boden geworfen und ist wieder in den Laden marschiert.“ Dann sei eine Kundin aus dem Supermarkt gelaufen gekommen und habe gerufen, daß der Asylbewerber gerade zwei Flaschen Wein klauen wolle.

„Da sind wir rübergelaufen in den Laden. Wir haben gesehen, daß der aggressiv mit den Flaschen rumfuchtelte und die Kassiererin bedrohte. Also sind wir dazwischen. Wir haben dem die Flaschen abgenommen, einfach damit nichts passiert“, erzählt der CDU-Politiker. Plötzlich sei der Asylbewerber aber aggressiv geworden und habe auf sie eingetreten und -geschlagen. „Da haben wir ihn gepackt, es gab eine Rangelei, und dann hatten wir ihn draußen. Ich habe dann sofort die Polizei gerufen.“ In der Zwischenzeit hätten sie den Mann fixiert. Da die Polizei aber länger gebraucht habe, habe sich der Iraker losgerissen und sei erneut auf Oelsner und seine Freunde losgegangen.

„Ich habe ihn dann in den Schwitzkasten genommen, und wir haben ihn mit mehreren Kabelbindern an einem Baum festgebunden.“ Dann seien sie alle wieder zurück in den Garten gegangen. Die Polizisten hätten sich zuvor noch bei ihm bedankt. Und überhaupt: „Wir haben lediglich Zivilcourage gezeigt, aber offenbar ist das jetzt strafbar. Ich bin so erzogen worden, daß man als Mann eingreift, wenn eine Frau bedroht wird.“ 

Und die Polizei? Die stellt sich hinter die Arnsdorfer. „Durch die Erregtheit des Asylbewerbers war das Festhalten sinnvoll, ich tu mich schwer zu sagen, notwendig“, sagt der Görlitzer Polizeipräsident Conny Stiehl. „Auch aus der CDU kam Unterstützung. „Meines Erachtens hat Detlef Oelsner engagiert und richtig gehandelt und damit Personenschäden vermieden. Handeln und die Polizei rufen ist auf jeden Fall besser als wegsehen“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß der JF. 

Ermittelt wird nun dennoch gegen alle Beteiligten. Während gegen den Asylbewerber wegen des Verdachts der Bedrohung ermittelt wird, müssen die Einheimischen mit einem Verfahren wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung rechnen.