© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/16 / 10. Juni 2016

„An Wahrheiten muß man festhalten“
Geht der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland zu weit? Immer wieder provozieren seine Aussagen. Mitunter zu Unrecht – doch andererseits: Rücksichten will er keine nehmen
Moritz Schwarz

Herr Dr. Gauland, Sie bleiben dabei: Sie haben Jérôme Boateng nicht beleidigt?

Gauland: So ist es. 

Warum hat die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ das dann behauptet?

Gauland: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Volker Zastrow, Leiter der FAS, die AfD haßt – was er durch einen Artikel aus seiner Feder bewiesen hat, in dem er uns als Kern einer neuen völkischen Bewegung beschrieb. Ich möchte ja nicht von einer Verschwörung sprechen, aber ich denke schon, daß mir eine Falle gestellt worden ist.

Sie möchten nicht von einer Verschwörung sprechen – aber tun es doch?

Gauland: Nein, aber ich frage Sie: Wenn ich mit zwei Redakteuren über Islam und Fremdheit spreche und die Herren führen schließlich einen Namen ein, der damit gar nichts zu tun hat – muß man sich dann nicht schon fragen, zu welchem Zweck? Oder sind die Herren etwa selbst rassismusanfällig?

Die betreffende Stelle des „FAS“-Artikels erweckt allerdings den Eindruck, als hätten Sie den Bogen zu Boateng geschlagen.

Gauland: Ja, doch so ist es nicht gewesen. Und das haben die Herren von der FAS inzwischen auch öffentlich eingeräumt – daß der Name Boateng von ihnen kam. Wie gesagt, in einem Gespräch über „Fremde“ aus „muslimischen Regionen“. Das aber ergibt keinen Sinn, denn Jérôme Boateng ist gebürtiger Deutscher und gläubiger Christ. 

Warum haben Sie dann mit Ihrer Äußerung dem Beispiel Boateng zugestimmt?

Gauland: Weil ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte. Ich kenne mich mit Fußball nicht aus. Zwar hatte ich den Namen schon gehört, mehr aber auch nicht. Zudem ging es mir bei meiner Zustimmung auch nicht um Herrn Boateng, wie die FAS konstruiert, sondern darum, ein gewisses Phänomen in Deutschland zu beschreiben: nämlich das, was Wolfgang Schäuble das „Rendezvous mit der Globalisierung“ nennt. Ich habe zu bedenken gegeben, daß die Deutschen allerdings dieses „Rendezvous“ in ihrer Nachbarschaft meist lieber nicht erleben wollen: In jeder Lokalzeitung steht, daß Eltern ihre Kinder von Schulen abmelden, an denen nach ihrer Ansicht die Ausländerzahl überhandnimmt, oder gar wegziehen, wenn sich ihre Gegend durch Ausländerzuzug verändert. So – und an dieser Stelle kamen die Herren mit Boateng. Nicht wissend, daß das Beispiel nicht paßt, stimmte ich zu – um das Phänomen zu bestätigen, das eigentlicher Gegenstand des Gesprächs war, nicht um eine Aussage über Herrn Boateng zu machen. 

Wenn Sie allerdings gar nicht wußten, daß er farbig ist, auf was bezog sich dann Ihre Aussage, daß „die Leute nicht neben einem wie Boateng“ wohnen wollten? 

Gauland: Auf den Namen. Der klingt fremd, und ich vertraute darauf, wenn die Redakteure an dieser Stelle eine Person dieses Namens nennen, wird es sich um einen Menschen fremder Herkunft und islamischen Glaubens handeln. Sonst ergäbe das keinen Sinn.

Auch wenn stimmen sollte, was Sie schildern – hätten Sie angesichts der „Schießbefehl“-Erfahrung Ihrer Partei nicht gewarnt sein müssen? Sind Sie also nicht mit schuld an der Affäre, weil Sie durch leichtfertige Äußerungen wieder einmal einer verzerrten Darstellung Munition geliefert haben?

Gauland: Das kann man mir vorwerfen, ja. Aber es handelte sich um ein Gespräch, aus dem nicht zitiert werden sollte! 

Die „FAS“-Redakteure widersprechen: Das habe nur für Teile des Gesprächs gegolten.

Gauland: Nein, es war insgesamt ein vertrauliches Hintergrundgespräch – als solches war es von der FAS auch erbeten worden. Richtig ist, daß ich mich bei bestimmten Passagen – die sich kritisch mit der Arbeit des Bundesvorstands auseinandergesetzt haben – zusätzlich versicherte, daß diese auch nicht etwa im Kollegengespräch weitergetragen werden. Das heißt aber keineswegs, daß der Rest zur Veröffentlichung frei war. 

Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk darauf hingewiesen, daß das von Ihnen benannte gesellschaftliche Phänomen „als Deskription“ gar „nicht falsch ist“.

Gauland: Natürlich nicht – und es ist heuchlerisch, sich nun so zu empören, weil ich diesen Umstand aufgezeigt habe.

Herr Dr. Gauland, die entscheidende Frage ist: Wie stehen Sie zu diesem Umstand?

Gauland: Tatsache ist, daß sich Menschen wenn möglich gerne mit Vertrautem umgeben und deshalb oft Probleme mit Fremdem haben. Das hat keineswegs per se mit Rassismus zu tun. Denn solch Fremdes kann sich etwa auch in einem neuen Hochhaus manifestieren, das man in seinem Viertel nicht will. Ich meine, die Menschen haben grundsätzlich auf diese Ablehnung von Fremdem ein Recht. Deshalb kann es auf Ihre Frage auch keine pauschale Antwort geben. Jeden Fall muß man einzeln bewerten.

In unserem Fall ist es kein Hochhaus, sondern ein dunkelhäutiger Fußballspieler. 

Gauland: Wenn ein dunkelhäutiger Nachbar zum Beispiel ständig zu laut Klavier spielt, kann es durchaus zu ablehnenden Reaktionen kommen . Dennoch würde ich nicht sagen, daß dies ein Fall von Rassismus ist, da dieser nicht der Grund für den Ärger ist.

Der Nachbar spielt nicht Klavier, er ist einfach schwarz. 

Gauland: Wenn das der Stein des Anstoßes ist, wäre das in der Tat rassistisch.

Was Sie wie bewerten?

Gauland: Ich finde die Ablehnung eines Menschen allein auf Grundlage seiner Hautfarbe persönlich nicht in Ordnung. 

Und politisch?

Gauland: Hier gilt das gleiche! Keineswegs ist allerdings, wenn „Rassismus“ geschrien wird, stets die Hautfarbe das Problem. Oft stehen hinter der Ablehnung fremder Zuzügler tatsächlich soziale Fragen. Man sollte sich schon auch klarmachen, wie die Welt für Bürger aussieht, die unter sozialem Druck stehen. Sie und ich, ebenso wie die meisten jener, die schnell mit dem „Rassismus“-Vorwurf zur Hand sind, betrifft diese soziale Konkurrenz nicht. Da ist es sehr einfach, die große Toleranz zu fordern.

Es ist löblich, daß Sie differenzieren und ablehnen, es sich leicht zu machen, indem Sie die Leerformel vom „Anti-Rassismus“ mitheulen. Andererseits, ob es uns paßt oder nicht: Es handelt sich dabei nun einmal um die Gretchenfrage unserer Zeit. Können Sie es sich daher wirklich erlauben, sich dieser Frage zu verweigern? 

Gauland: Wenn ich es mir nicht mehr erlauben könnte zu differenzieren, mir tatsächlich keine andere Wahl bliebe als mitzuheulen, würde ich nicht mehr Politiker sein wollen. Dann hätte unser Land seine freiheitliche Tradition aufgegeben.

Allerdings gibt es auch sehr viele unpolitische Bürger, die Ihre aufrechte Verweigerungshaltung einfach nicht richtig verstehen. Wenn Sie sich ihnen nicht erklären, nehmen diese Ihre Haltung nicht als freiheitlich wahr, sondern – unter dem Einfluß der Politischen Korrektheit – als „radikal“ und „bedrohlich“. Zu diesen harmlosen Menschen gehört übrigens offenbar auch Jérôme Boateng. Können Sie es sich erlauben, von der großen Zahl dieser Bürger mißverstanden zu werden?

Gauland: Aber ich habe mich deutlich erklärt! Ich habe deutlich gesagt, daß Hautfarbe für mich kein Kriterium ist und ich keine Neigung zum Rassismus habe. Eines aber finde ich inzwischen schon fast unerträglich: Ich hatte, wie gesagt, weder Boateng ins Spiel gebracht, noch hatte ich überhaupt das Thema eingeführt. Und dennoch wird nun von mir eine Art Mea culpa verlangt! Das ist es, was ich Meinungsdiktatur nenne.

Kein Mea culpa – aber wird ohne diplomatisches Verhalten und aktive Aufklärung Ihrerseits, die die nun einmal vorhandene Kommunikationshürde der Politischen Korrektheit einkalkuliert, diese AfD-Debatte – ebenso wie frühere – nicht weiter zu Ihren Ungunsten verzerrt verlaufen? 

Gauland: Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, daß man dagegen wirklich etwas tun kann. Allerdings, die Debatte ändert sich doch bereits von allein. Inzwischen erscheinen auch Artikel, die fragen, ob die FAS sich nicht völlig unseriös verhalten hat.

Nur bekommen das nicht einmal die meisten Journalisten mit, geschweige denn der normale Mediennutzer. 

Gauland: Das stimmt nur zum Teil. Aber jede Aufregung legt sich auch einmal wieder. 

Auch wenn dies hier nicht der Fall gewesen sein mag – es gibt aus Ihrem Munde allerdings immer wieder recht undiplomatische Äußerungen, die es enorm einfach machen, die AfD abzustempeln.

Gauland: Ich bin überzeugt, daß die AfD klar und deutlich formulieren muß – da werde ich mich nicht ändern. 

Dann brauchen Sie sich über Verschwörungstheorien à la „Gauland  provoziert, Petry dementiert – mit dieser perfiden Strategie zerstört die AfD Tabuzonen und die Demokratie“ auch nicht zu wundern.

Gauland: Das ist wirklich eine Verschwörungstheorie, daran ist nichts wahr. Eine solche Strategie gibt es nicht. Es sind tatsächlich entweder Falschdarstellungen oder ab und zu auch mal Fehler von uns. Wenn aber die Journalisten glauben, daß wir so eine geniale Strategie haben, dann sollten wir sie vielleicht im Glauben an unsere Genialität lassen. 

Der Ruf der Partei ist Ihnen egal?

Gauland: Nein, aber ich meine, man muß an Wahrheiten festhalten, selbst wenn alle anderen sie für falsch halten.

Es geht nicht darum, Wahrheiten aufzugeben. Beispiel: Heute sagen Sie, der Islam ist hierzulande ein „Fremdkörper“. Die große Mehrheit der Leute versteht aber gar nicht, daß Sie damit ein kulturhistorisches Faktum beschreiben. Viele übersetzen das vielmehr mit: Moslems gehören nicht hierher! Zuvor hatten Sie dagegen gesagt: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland – aber er könne in Zukunft vielleicht einmal dazugehören: Kein Abstrich an der Wahrheit, aber ergänzt um eine ausgestreckte Hand!   

Gauland: Stimmt. Nur: Das kann man in einer Podiumsdiskussion sagen, nicht aber auf einer Straßenkundgebung. 

Warum nicht?

Gauland: Weil die Leute dort das nicht verstehen.

Wieso?

Gauland: Ich sage Ihnen, Sie würden nur Kopfschütteln ernten. 

Aber muß man nicht an Wahrheiten festhalten, selbst wenn alle anderen sie für falsch halten? 

Gauland: Ich sage Ihnen, das können Sie auf einer Kundgebung nicht äußern! Sie können dort nicht verkünden, der Islam gehöre nicht zu Deutschland und dann damit kommen – aber vielleicht irgendwie einmal doch. Was Sie hier betreiben, lieber Herr Schwarz, ist die Diskursebenen zu vermischen: intellektuelle Islamdebatte und politische Kundgebung. Die Menschen, die bei letzterer vor Ihnen stehen, wollen für ihr Leben, für ihr Hier und Jetzt eine klare und verläßliche Aussage von Ihnen  – und darauf haben sie auch ein Recht! Da können Sie nicht mit solchen Volten kommen und die Menschen, die Ihnen vertrauen, verwirren. 

Wieso kann Ihr Parteichef Jörg Meuthen diplomatisch auftreten und Sie nicht? Oder halten Sie seinen Kurs für Wischiwaschi?

Gauland: Nein, ich glaube, daß Herr Meuthen ebenso klar formuliert wie ich. Aber mit seinem professoralen Hintergrund und vor der politischen Kulisse Baden-Württembergs entsteht bei Ihnen offenbar ein milderer Eindruck von ihm. Und das, obwohl er Äußerungen macht, die mir schlecht bekommen würden. Etwa die vom „links-rot-grün versifften und verseuchten 68er-Deutschland“.

Meuthen traf sich öffentlich mit einem Imam zum kontroversen Gespräch über den Islam in einer Moschee. Würden Sie so eine Einladung auch annehmen?

Gauland: Das weiß ich nicht. Es kann eine gute Idee sein, aber auch eine schlechte. Denken Sie etwa an das Treffen von Frau Petry mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime.

Am Sonntag wurden Sie bei „Anne Will“ mit einem Redemitschnitt konfrontiert, in dem Sie Angela Merkel eine „Kanzlerin-Diktatorin“ nannten. Zuvor hatten Sie allerdings dementiert, das gesagt zu haben.

Gauland: Gemeint hatte ich, daß ich das Wort nicht erfunden habe, weil ich mich nicht mit fremden Federn schmücke. Eingefallen ist das Wort Björn Höcke, ich habe es in meiner Rede lediglich wiederholt. Ich habe aber kein Problem mit diesem Wort, das habe ich bei „Will“ auch deutlich gemacht. Ja, ich wünschte gar, es wäre mir eingefallen!  

Während Ihres Gesprächs mit der „FAS“ haben Sie sich auch „kritisch mit der Arbeit des Bundesvorstands auseinandergesetzt“. Was haben Sie zu kritisieren?

Gauland: Wie gesagt, das Gespräch war vertraulich, das gilt nach wie vor. 

Frau Petry fühle sich, so etwa der „Spiegel“, von Ihnen „an den Rand gedrängt“.

Gauland: Dafür gibt es keinen Anlaß.

Mitunter kann man den Eindruck haben, es sei egal, wer unter Ihnen Parteichef ist. 

Gauland: Das sehe ich überhaupt nicht. Vor allem habe ich in keiner Weise je versucht, Frau Perty zu ersetzen.  

Sie haben die Partei nahe Pegida positioniert. Sie haben sie zur sozialen Partei der „kleinen Leute“ ausgerufen. Sie haben (zusammen mit Frau von Storch) den Vorstoß in Sachen Islam gemacht. Sie sind immer wieder in der Debatte. Stehlen Sie Ihrer Vorsitzenden nicht die Schau? Müssen Sie sich nicht etwas zurücknehmen?  

Gauland: Ich äußere mich, wenn ich etwas für richtig halte. Ich kann dabei nicht jedesmal nach Abstimmung fragen. Aber so einen Unsinn verlangt Frau Petry auch gar nicht. Ja, es gibt zwischen uns auch Meinungsverschiedenheiten. Aber die sind harmloser Natur – etwa,  was den Umgang mit den Medien angeht. Sie sind nicht fundamentaler, politischer Natur. Also, alles kein Vergleich zur Lucke-Zeit. Oder zu dem, was etwa in der Frühzeit bei den Grünen los war.

Björn Höcke will dem Abgrenzungsbeschluß des AfD-Vorstands zu Pegida nicht allzuviel Bedeutung beimessen. Sie haben sich hinter Höcke gestellt. Fallen Sie damit Petry und Meuthen nicht in den Rücken? 

Gauland: Höcke hat ja zu Recht gesagt, so was ändere sich auch wieder. Aber ja, stimmt, dennoch ist das kein Grund, dem Beschluß nicht zu folgen, und ich hätte vielleicht besser nichts gesagt. Ich wollte auch nur ausdrücken, daß man einem, der solche Verdienste hat wie Höcke, auch mal eine läßliche Sünde nachsehen kann. Nicht aber, daß er ein Recht hat, den Beschluß zu ignorieren. 

Dr. Alexander Gauland, ist stellvertretender AfD-Bundesvorsitzender sowie Landes- und Fraktionschef in Brandenburg. Der ehemalige CDU-Staatssekretär im Bundesumweltministerium war 1987 bis 1991 Leiter der Hessischen Staatskanzlei und von 1991 bis 2006 Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam sowie Kolumnist des Tagesspiegel. Er veröffentlichte etliche Bücher, darunter: „Anleitung zum Konservativsein“ und „Die Deutschen und ihre Geschichte“. Geboren wurde der Jurist 1941 als Sohn eines durch die Nationalsozialisten frühpensionierten Polizeiobersten in Chemnitz.

 

 

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