© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Zukunft des Journalismus
Zeichen der Entfremdung
Nicolaus Fest

Sagen wir es in aller Klarheit: Die Geschichte der Jungen Freiheit, ihre Gründung und ihr Gedeihen, ist ein Tiefpunkt deutscher Publizistik! Denn ihr Erfolg markiert seit 30 Jahren die Lebenslüge des publizistischen Mainstreams: daß nämlich die „großen“ Blätter in ihrer Gesamtheit das demokratische Meinungsspektrum umfassend abbilden, die binnenpluralistische Verfaßtheit der öffentlich-rechtlichen Sender eine in alle Richtungen ausgewogene Berichterstattung gewährleistet. Das eben ist nicht der Fall, und seit viele Verlagshäuser und Journalisten zusammen mit den Parteien nach links gerückt sind, weniger denn je.

Für eine angeblich liberale, der Meinungsvielfalt verpflichtete Gesellschaft ist der Aufstieg der JF, und zwar trotz aller Schmähungen, Anschläge und massiven Behinderungen, kein Kompliment. So ist die JF seit Jahren das, was politisch derzeit die AfD: ein Zeichen für Entfremdung wie Widerstand, für die weißen Flecke auf der Landkarte einer konformistischen Gesellschaft. 

Zugleich widerlegt der Erfolg der JF auch eine andere, vor allem von Chefredakteuren gepflegte Behauptung: daß der Rückgang der Auflagen und Reichweiten ausschließlich strukturelle Ursachen habe, keine qualitativen wie fehlende Ausgewogenheit oder Distanz. Dabei ist die oft verkündete Bedrohung durch Schwarm-, Graswurzel- oder Leserreporter-Journalismus längst widerlegt. Wer sich ein wenig in den sozialen Medien umschaut, merkt vielmehr sofort: Basis der dortigen Debatten sind, bei aller Kritik und Ablehnung, fast immer Artikel der etablierten Presse. Ohne sie wären die meisten Blogs nicht möglich, wäre Facebook ein dummes Portal für Selfies und bewegende Nachrichten der Art, wer wo wann mit wem gerade einen Kaffee trinkt. Wenn darin eine Bedrohung des Journalismus liegen soll, muß es wirklich schlimm um ihn stehen. 

Strukturell bedrohlich ist für den Journalismus nur das Problem des Anzeigenrückgangs; dieses Geschäftsmodell ist tatsächlich zerbrochen, die wichtigsten Anzeigenmärkte – Immobilien, Stellengesuche, Gebrauchtwagen – sind ins Internet abgewandert. Und sie werden auch nicht zurückkehren. Dafür ist das Internet für Kunden wie Werbungtreibende zu bequem, zu überlegen; zudem ist es das Medium der künftigen Konsumenten. Damit fehlt besonders Abonnementzeitungen eine wesentliche Erlösquelle. Nicht strukturell und damit gleichsam unabänderlich sind jedoch die dramatischen Auflagen- und Reichweitenverluste der vergangenen Jahrzehnte. Sie sind vielmehr ein klares Zeichen für redaktionelle Schwächen, für mangelnde Attraktivität, aus welchen Gründen auch immer. 

In diesen Erkenntnissen liegen Chance und Gewißheit: Chance für neue Titel, sich zu etablieren, wie auch die Gewißheit, daß guter, eigenständiger Journalismus immer seine Leser und Käufer finden wird – zumindest solange die Leute noch lesen können. Tatsächlich ist schon heute der Niedergang der Bildung, sichtbar in der erschreckenden, einer Industrienation unwürdigen Zunahme funktionalen Analphabetentums, ein Grund für sinkende Leserschaften. Jenseits derartiger Erfolge der Bildungspolitik gibt es jedoch kein Problem der Nachfrage, nur eben viele der Qualität. Damit konzentriert sich die Frage nach der Zukunft des Journalismus allein auf den Aspekt seiner Finanzierbarkeit. Vier Modelle sind denkbar. 

Zunächst das öffentlich-rechtliche Modell, ob direkt oder über Subventionen. Wer auf die Berichterstattung von ARD und ZDF zur sogenannten Flüchtlingskrise schaut, muß das Scheitern dieses Modells konstatieren. Offene Fälschungen, Parteilichkeit, unterwürfige Regierungsnähe – von Distanz und journalistischer Skepsis war nichts zu erkennen. Neun „selbständige, staatsunabhängige Landesrundfunkanstalten“ bilden die ARD, hinzu kommt das ZDF, und alle mit diversen Gremien und Beiräten zur Sicherung der Vielfalt; aber in der ernsthaftesten Krise dieses Landes, in der die Regierung Verfassung und Recht bricht, kommt keine Kritik, kommt Jubel-Propaganda statt nüchterner Grundversorgung. Auch in der Ukraine-Krise und der Kölner Silvesternacht versagen die Öffentlich-Rechtlichen. Einmal mehr zeigt sich, was kein Linker je einräumen würde: Nur der Markt garantiert Objektivität, nur die drohende Kaufverweigerung durch Leser oder Zuschauer diszipliniert die Medienmacher. Wenn die eigene Existenz an der Qualität von Sendung oder Artikel hängt, sinkt die Lust zur ideologischen Erziehung. 

Das zweite Modell ist das französische, das zum Teil schon das amerikanische ist: Zeitungen als Teilbereiche großer Konzerne. Auch einige deutsche Medienhäuser sind auf diesem Weg, indem sie vom klassischen journalistischen Geschäft in andere Geschäftsfelder expandieren. Das ermöglicht Querfinanzierungen, birgt aber auch die Gefahr der geschönten Berichterstattung. Doch ist das beim noch herrschenden Verlegermodell nicht anders. Auch hier diszipliniert nur die Angst vor Verlust der Glaubwürdigkeit – und damit von Geld und Auflage. 

Denkbar wäre auch eine Finanzierung über private Stiftungen. Es ist ein Zeichen für das seltsame Desinteresse der Deutschen an staatspolitischen Funktionsfragen, daß zwar jedes Jahr Dutzende Stiftungen für karitative, künstlerische oder medizinische Zwecke gegründet werden, aber kaum eine zur Förderung journalistischer Arbeit. Die Erforschung eines Herzleidens, die Bewahrung alter Musikinstrumente oder die Versorgung notleidender Kinder mögen individuell beglückende Aufgaben sein – im Verhältnis zur Funktion des Journalismus sind sie gesellschaftspolitisch irrelevant. Dennoch ist in diesem Land, anders als in den USA, Journalismus so gut wie nie Stiftungszweck. 

Allerdings wäre, das ist einzuräumen, auch ein solches Modell derzeit kaum lebensfähig. Denn die Zinspolitik der EZB ruiniert nicht nur Altersversorgungen und die Renditen von Sparern, sondern ebenso das Modell der Stiftungen. Auch dieser kulturelle Kahlschlag ist der Preis für die Rettung des Euro. 

Bleibt letztlich eine völlig aus dem Blick gekommene Finanzierungsmöglichkeit: die des Mäzenatentums. Für die großen Namen der deutschen Wirtschaft, ob Haub, Quandt, Klatten oder Oetker, wäre es ein leichtes, dauerhaft eine größere Zeitung zu finanzieren, zumal es im Zeitalter von Digitalisierung und Homeoffice im wesentlichen nur noch um Redaktionskosten geht, nicht um solche für Druck oder Vertrieb. Auch der Mittelstand könnte, täten sich nur einige Firmen zusammen, die notwendigen Mittel ohne weiteres aufbringen; und ebenso viele Manager von Banken, Hedgefonds, Versicherungen. Statt zu Imagezwecken die 555ste Ausstellung längst bekannter Werke von Anselm Kiefer oder Andy Warhol zu fördern, wäre die Unterstützung journalistischer Projekte tatsächlich mal ein sinnvolles, im unmittelbaren Sinn gemeinnütziges Anliegen. 

Doch auch hier fehlt, wie bei den Stiftern, das Bewußtsein für die Notwendigkeit journalistischer Arbeit. Von den meisten Unternehmern und Managern wird Journalismus eher als Bedrohung gesehen, denn als Bereicherung und Schutz. Erst wenn es, wie in einigen Gebieten der USA, schon zu Formen von Landflucht kommt, weil über Korruption, Behörden- und Schulversagen keine Zeitung mehr berichtet, weil es eben keine Zeitung mehr gibt, wird man vielleicht auch hier endlich aufwachen.






Dr. Nicolaus Fest, Jahrgang 1962, arbeitete seit 2001 bei der Bild-Gruppe, von 2013 bis 2014 als stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag. Zuvor hatte der an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte Jurist einige Jahre für das Auktionshaus Sotheby’s und später für die Verlage Ebner Pressegesellschaft sowie Gruner + Jahr gearbeitet.