© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Rheinischer Merkur
Suizid mit bischöflicher Assistenz
Martin Lohmann

Er fehlt. Das würden zwar viele bestreiten, doch in der publizistischen Landschaft in Deutschland ist die Lücke, die das Verschwinden der Wochenzeitung Rheinischer Merkur gerissen hat, niemals wirklich geschlossen worden. Denn ein christlich geprägtes und aus christlichem Geist heraus geschriebenes Wochenblatt, wie es der Rheinische Merkur einst war, gibt es nicht. Leider. Dabei wäre es heute dringend erforderlich. Das, was von dieser ehemals großen Wochenzeitung als Rest übriggeblieben ist und als Teil der Wochenzeitung Die Zeit erscheint, hat mit dem, worum es einmal sowohl dem einst katholisch geprägten Rheinischen Merkur als auch der evangelischen Zeitung Christ und Welt ging und sich nach der Fusionierung im gleichnamigen Ressort der ins publizistische Nichts manövrierten Wochenzeitung so gut wie nichts zu tun. 

Den Namen hat man zwar „gerettet“, die lebendige Tradition eines liberal-konservativen und geistvollen Inhalts mit dem Anspruch des Widerspruchs zum allfälligen Zeitgeist aber hat man vernichtet. Um so reizvoller erscheint angesichts des Geburtstages einer konservativen Wochenzeitung, die sich trotz aller fairen und unfairen, ja bisweilen böswilligen und aus Streitphobie gespeisten Attacken tapfer hält und weiter entfaltet, sich aber nicht in der Tradition einer dezidiert christlichen Wochenzeitung sehen kann und will, der Blick auf den niedergegangenen Rheinischen Merkur. Denn dieser fehlt. Leider.

Die überregionale Wochenzeitung, die schließlich ins publizistische Aus gewirtschaftet wurde, hatte eine großartige Geschichte der Freiheit. Doch die scheiterte gleich zweimal. Einmal an Napoleon sowie schließlich an einer preußischen Kabinettsorder, die den Rheinischen Merkur 1816 nach nur zwei Jahren Existenz verbot. Und dann im September 2010 an bischöflicher Zerstrittenheit und episkopaler mutloser Kurzsicht sowie als Folge der dem Zeitgeist ergebenen Anpassung eines viele Jahre erkennbaren Profils des Widerspruchs und der Freiheit.

Damit endete definitiv die 1814 von dem Gelehrten, Politiker und Begründer der qualitativen Publizistik, dem Koblenzer Joseph Görres, begonnene Tradition, welcher der deutsche Journalist Franz Albert Kramer ab Sommer 1945 durch die Wiederbegründung des Rheinischen Merkur als Wochenzeitung – die erste Neuausgabe erschien am 15. März 1946 mit einer Lizenz der französischen Besatzungsmacht – eine für die Bundesrepublik Deutschland kostbare Weiterführung ermöglichte. Paul Wilhelm Wenger und Otto B. Roegele wurden neben anderen zu intelligenten Begleitern einer wirklich freiheitlichen Republik, die wie der Rheinische Merkur ihre Weite in der rheinischen Provinz- und Universitätsstadt Bonn entfalten konnte. Konrad Adenauer war nicht der einzige regelmäßige Leser, der sich inspirieren ließ.

Es mag wie eine Ironie erscheinen, daß die ökumenisch ausgerichtete Wochenzeitung, in der das evangelische Blatt Christ und Welt Eingang fand, von den herausgebenden katholischen Bischöfen beziehungsweise Bistümern mehr oder weniger offiziell mit dem Verweis auf die geringer werdenden Kirchensteuermittel aufgegeben wurde. Vor allem in den letzten Jahren unter der Führung des Chefredakteurs Michael Rutz und nachdem der warnende Freiheitsgeist so profilierter Persönlichkeiten wie der ehemaligen Mit-Herausgeberin und Autorin Christa Meves als zuwenig dem Zeitgeist angepaßt unliebsam geworden war, sank die Auflage des Produktes rasant, so daß die millionenschweren und wegen der sinkenden Auflage immer wichtigeren Zuschüsse aus Kirchensteuermitteln nicht länger vertreten werden konnten.

Auch ein pompöser Geburtstagsempfang zum Sechzigsten mit Selbstinszenierung auf dem noblen Bonner Petersberg, bei dem man sich stolz ergebenst um Kanzlerin Merkel scharte, konnte den Niedergang des einst profilierten Wochenblattes nicht aufhalten. Kurz vor dem 65. Geburtstag kam der bischöfliche Tritt ins Renten-Aus. Wenig später sprudelten die Kirchensteuereinnahmen wieder, kräftiger denn je. Während es für den Rheinischen Merkur, der sich eine gewisse Denkfreiheit gönnte, kein Geld mehr geben konnte, fließen seitdem Millionenbeträge in ein bischofskonferenzkompatibles Medienportal, das offenbar steuerbar ist und wohl mit der Gefahr publizistischer Freiheit und Unbequemlichkeit eines Rheinischen Merkur nicht vergleichbar ist.

Je nach Sichtweise: Das ist tragisch – und war leider auch leichtsinnig. Denn inhaltliche Fragen des Profils wurden – jenseits der Kostenfrage – nicht wirklich und schon gar nicht rechtzeitig diskutiert oder ernsthaft in einer scheuklappenfreien Debattenkultur auf den Tisch gelegt. Obwohl es schon früher kritische Warnhinweise gab, sich bitte als Rheinischer Merkur nicht allzusehr anderen Strömungen oder gar dem Mainstream anzupassen und dadurch austauschbar und redundant zu werden. Selbst bei der Buchfolge der Wochenzeitung wagte man keine Innovation jenseits anderer Publikationen. Statt ein eigenes unverkennbares Qualitätsprofil zu wagen, schielte man seitens der späten respektive letzten Redaktionsverantwortlichen lieber zur großen Konkurrenz Die Zeit. Einem starken Anpassungsdruck hatte ein nicht immer wirklich aus katholischer beziehungsweise christlicher Freiheit gespeistes Selbstbewusstsein der souveränen Meinungs- und Überzeugungsunabhängigkeit wenig Widerstand entgegenzusetzen.

Bis zum Schluß glaubte man, andere kopieren zu können beziehungsweise zu müssen. So folgte dem ersten Teil „Politik“ wie anderswo „Wirtschaft“, „Kultur“, „Wissenschaft und Praxis“ – und schließlich ein fast schon versteckter kleiner Seitenbereich „Christ und Welt“, gefolgt von „Lebensart“ mit „Reise“, „Stil“, „Medien“ und „Report“. Die Frage, weswegen man denn zum Rheinischen Merkur greife und was ihn unterscheide von anderen Blättern, galt geradezu als frech und störend. Man hat es nicht einmal versucht, dem Politikteil einen ebenso starken Christ-und-Welt-Teil folgen zu lassen, in dem sich der Anspruch einer Weltgestaltung aus christlicher Verantwortung hätte entfalten können. Ebenso übrigens wie kirchliche Debatten, die lieber ganz hinten zu suchen waren. Der Absturz des Traditionsblattes war letztlich auch so gesehen vorhersehbar und konsequent.

In der Wochenpresse fehlt seither ein Qualitätsprodukt mit christlicher Prägung und dem unbedingten publizistischen Willen zum Nonkonformismus. Dazu zählt auch die Bereitschaft, sich von einer medial linksgeschalteten Öffentlichkeit nicht eintrichtern zu lassen, alles, was liberal-konservativ ist, sei von gestern oder gar rechts jenseits des demokratischen Bogens. Die aktive Sterbebegleitung, also der mit bischöflicher Hilfe vollzogene assistierte Suizid des Rheinischen Merkur ist letztlich auch Krankendossier einer von Ängstlichkeit überwölbten Schwachheit gegenüber dem Mut zum Bekenntnis. Und auf diesem Dossier steht ganz groß das Wort „Resignation“. Das aber widerspricht nicht nur Joseph Görres und Franz Kramer, sondern auch dem christlichen Auftrag. Der Rheinische Merkur fehlt. Heute ganz besonders. Noch. 






Martin Lohmann, Jahrgang 1957, katholischer Publizist, arbeitete von 1987 bis 1997 für den Rheinischen Merkur, zuletzt drei Jahre als stellvertretender Chefredakteur. Danach war er bis 2004 Chefredakteur der Rhein-Zeitung. Von 2012 bis Ende 2014 leitete er den privaten katholischen Fernsehsender K-TV.  Seit 2009 ist er Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht (BVL).