© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Typologie

Zeitungsredaktionen sind ein kompliziertes Gebilde. Sie funktionieren nach je eigenen, ungeschriebenen Regeln. Das hat neben betriebsbedingten Gründen vor allem mit jenen eigenwilligen Zeitgenossen zu tun, die in einer Redaktion arbeiten: den Journalisten. Nach Mark Twain sind das Leute, „die ein Leben lang darüber nachdenken, welchen Beruf sie eigentlich verfehlt haben“.

Hier also eine Typologie der sehr verschiedenen Charaktere in der JF-Redaktion, wobei die Übergänge zuweilen fließend sind.

Der Chef. Versteht die Redaktion vornehmlich als lästigen Kostenfaktor. Nimmt an Redaktionssitzungen nur teil, wenn er nichts Besseres vorhat. Oder wenn ihm etwas unter den Nägeln brennt. Regiert ansonsten seine Truppe auf informellen Pfaden, gern auch per WhatsApp-Nachricht.


Der Abwesende. Zu unterscheiden ist zwischen physischer Abwesenheit und geistig-mentaler. Erstere ist rasch festgestellt, die zweite kann selbst bei einer längeren Redaktionssitzung unentdeckt bleiben. Für deren Verlauf und Ergebnisse spielt das aber ohnehin keine Rolle.


Der Aufs-Stichwort-Reagierer. Verhält sich die meiste Zeit ruhig, beteiligt sich kaum an Diskussionen. Explodiert aber bei bestimmten Stichworten (zum Beispiel „Bürokratie“ oder Steuern“) wie ein Dampfkessel und hält dann eine knackige Wutrede. Steigt jedoch auch schnell wieder von der Palme herunter.


Der Beleidigte. Nimmt alles persönlich, insbesondere wenn ein Themenvorschlag von ihm abgelehnt wird. Spielt dann den Rest der Redaktionssitzung mit heruntergezogenen Mundwinkeln die eingeschnappte Leberwurst.


Der Besserwissende. Bewegt sich zwar oft auf sumpfigem Faktengrund, hat aber trotzdem stets eine andere Auffassung als der ?Wissende, mit dem er sich deswegen unentwegt beharkt; weist Schnittmengen zum ?Rechthaber auf.


Der Choleriker. Ist rasend schnell auf hundertachtzig, wenn ihm die Meinung eines Kollegen gegen den Strich geht oder ihm sonst irgend etwas nicht in den Kram paßt. Kann sehr lautstark werden.


Der Gute-Laune-Bär. Ist aus Prinzip immer fröhlich gestimmt, macht Scherze und findet jedes vorgeschlagene Thema super. Bildet den Gegenpart zum ?Schlechte-Laune-Bär.


Der Kritzler. Krakelt während der gesamten Redaktionssitzung zwanghaft auf einem Blatt Papier herum. Die Bandbreite reicht von Galgenmännchen über Autos und Schiffe bis zu geometrischen Mustern.


Der Nachtragende. Vergißt selten zurückliegende Kontroversen, bei denen er den kürzeren zog. Wendet sich die Großwetterlage später dann doch zu seinen Gunsten, bekommt die Redaktionsrunde aufgebracht zu hören: „Das habe ich euch doch schon anno Tobak gesagt, damals bin ich als Spinner verlacht worden. Jetzt entschuldigt euch wenigstens mal!“


Der Pedant. Richtet seinen Blick nicht auf den Horizont. Findet immer ein Haar in der Suppe und reitet gern auf Nebensächlichkeiten herum. Kann damit seine Kollegen zur Weißglut treiben.


Der Rechthaber. Pocht erbittert auf seinen Standpunkt, „wahr“ oder „unwahr“ sind für ihn dehnbare Kategorien. Ist Argumenten nicht zugänglich, weist Überschneidungen mit dem ?Besserwissenden auf.


Der Schläfrige. Redaktionssitzungen um 10 Uhr sind für ihn eine Zumutung, finden sie doch mitten in der Nacht statt. Hat deswegen Mühe, seine Augenlider offenzuhalten. Läuft erst ab mittags auf Betriebstemperatur.


Der Schlechte-Laune-Bär. Ist aus Prinzip immer mies drauf, nörgelt an allem herum und findet jedes vorgeschlagene Thema doof. Montags ist es besonders schlimm. Bildet den Gegenpol zum ?Gute-Laune-Bär.


Der Schweigsame. Sitzt in Konferenzen einfach nur da und atmet Luft weg, sagt von sich aus aber nie etwas. Redet nur, wenn er direkt angesprochen wird.


Der Wissende. Hat vor der Redaktionssitzung eine umfassende Medienschau absolviert. Ist gut informiert, kann zu vielen Themen etwas beitragen. Liegt im Clinch mit dem ?Besserwissenden.


Der Wortführer. Nicht zu verwechseln mit dem ?Chef. Zu unterscheiden ist zwischen dem Wortführer aufgrund seiner Position (Chef vom Dienst) und einigen informellen, die sich selbst dafür halten.