© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

„Wirklich schäbig“
Immer mehr Journalisten kritisieren den Umgang der „FAS“ mit Alexander Gauland
Ronald Berthold

Je länger das Gespräch mit Alexander Gauland zurückliegt, desto größer wird die Kritik anderer Journalisten am Vorgehen der Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dabei geht es zum einen um die Verdrehung und Skandalisierung der Aussagen des AfD-Politikers. Zum anderen stößt Kollegen der begangene Vertrauensbruch des Blattes auf.

Eines steht inzwischen in der Branche unumwunden fest: Die Überschrift, die die FAS gewählt hat, war falsch. Denn der AfD-Vize hat den Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng keineswegs „beleidigt“, wie sie in ihrer Schlagzeile behauptete. Er habe vielmehr Ressentiments beschrieben, die es in der Gesellschaft gebe. Trotz dieser Erkenntnis und obwohl das Gauland-Zitat die unterstellte Beleidigung nicht deckte, haben alle großen Medien diesen Tenor zunächst übernommen und die Unwahrheit weiterverbreitet.

Einseitiger Bruch der      Diskretion ist verheerend

Nun stellt der Leiter des Hauptstadtstudios vom Deutschlandradio, Stephan Detjen, fest: „Schon diese Überschrift war irreführend.“ Denn er könne in dem „überlieferten Zitat“ die Beleidigung von Boateng nicht erkennen: „Wenn jemand beleidigt wird, dann möglicherweise Leute, die nicht neben Boateng wohnen wollen.“ Gaulands Aussage bezog sich, so Detjen, auf „manche Leute, die Angst vor Fremden haben“. Das habe die FAS selbst eingeräumt, ohne sich freilich für die falsche Überschrift zu entschuldigen. Detjen sagt, Gauland habe „auf ein Problem verwiesen, um das man nun einmal nicht herumkommt“. Der Korrespondent befürchtet, „daß diese Äußerung – und gerade, was wir jetzt über den Kontext wissen – es der AfD leicht macht, zu sagen: ‘Wir sind diejenigen, die auf ein Problem hinweisen.’“

Ähnlich äußert sich Medienanalytiker Stefan Niggemeier. Er fragt, in welchem Maße man Gauland überhaupt unterstellen dürfe, „er habe sich das von ihm beschriebene Ressentiment ‘der Leute’ zu eigen gemacht“. Der Chefredakteur des Branchendienstes Übermedien kritisiert auch, daß die FAS „in einem Rechercheüberschwang noch bei den tatsächlichen Nachbarn von Boateng nachgefragt habe, wie zufrieden sie denn mit ihm sind“. Das sei „gar nicht erkenntnisreich“. Es gehe Gauland „erkennbar nicht um den einzelnen Spieler Boateng, sondern um die Ablehnung von vermeintlich ‘Fremden’“.

„Wirklich schäbig“ findet Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie-Magazins, daß die FAS die Umfrage unter den benachbarten Hausbesitzern Boatengs gestartet habe. Diese „Form der Skandalisierung“ trage „sehr viel zur Zerstörung des öffentlichen Diskursklimas bei“.

Selbst der linke Mediendienst Meedia geht auf Distanz zur FAS und stellt sogar ausdrücklich deren Seriosität in Frage. Gaulands nachträgliche Aussage, er habe eigentlich diejenigen beleidigt, „die vielleicht nicht in Boatengs Nachbarschaft leben wollen, wenn er nicht ein berühmter Fußballstar wäre“, stimme voll und ganz: „Da hat er recht, der Herr Gauland. So und nicht anders, ist sein Zitat zu verstehen. Das hat die FAS-Redaktion aber nicht gejuckt.“

Die Mißbilligung an der FAS zieht unter Journalisten weite Kreise. Selbst Spiegel-Redakteure äußern unter der Hand Kritik an der reißerischen Schlagzeile – ohne allerdings damit namentlich zitiert werden zu wollen.

Unverständnis hagelt es auch über den Umgang der Zeitung mit einer journalistischen Institution: dem Hintergrundgespräch. Laut Gauland habe er mit den Redakteuren in der Vorwoche eine solch vertrauliche Unterhaltung geführt. Anders als beim Interview darf aus solchen Gesprächen nicht zitiert werden. Journalisten sollen Hintergründe erfahren, die ihnen Zusammenhänge des großen Ganzen verdeutlichen. Klar ist immer: Geschrieben wird nichts. Für Meedia ist das Gebaren der FAS unfair: Da es sich um ein Hintergrundgespräch gehandelt habe und den Redakteuren „die enorme Brisanz des Zitats offensichtlich sehr bewußt war, wäre es ein Gebot der Fairneß gewesen, dieses spezielle Zitat noch einmal zur Autorisierung vorzulegen“. Zu Recht vermutet der Mediendienst, daß Gauland das aber nicht autorisiert und die FAS „nicht ihren Anti-AfD-Aufreger auf dem Titel gehabt“ hätte.

„Hauruck-Journalisten“, denen „nichts mehr fremd“ sei, nennt Schriftsteller Alexander Wallasch auf Die Kolumnisten die FAS-Redakteure: „Da führt man ein vertrauliches Hintergrundgespräch scheinbar mit der Hauptintention, diesem AfD-Politiker mal richtig einen abzujagen, einen einzuschenken.“ Und dann werde nur diese eine Passage zitiert, der „Kontext bleibt unklar“.

Der einseitige Bruch der Diskretion durch die FAS-Redakteure könnte für Medienvertreter verheerend sein. Denn welcher Politiker – nicht nur von der AfD – führt noch Hintergrundgespräche und spricht dabei Klartext, wenn er sich nicht mehr sicher sein kann, daß das Gesprochene unter vier Ohren bleibt? Mitten in der Vertrauenskrise bei den Lesern sät die FAS nun auch Mißtrauen bei den Informanten.