© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Neue Gräben statt neue Brücken
Österreich: Van der Bellen sucht Konfrontation zur FPÖ / Ungereimtheiten bei der Präsidentenwahl
Verena Inauen

Mit einer haarscharfen Mehrheit von 31.000 Stimmen schaffte es Alexander Van der Bellen, die Bundespräsidentschaftswahl für sich zu entscheiden. Vorerst. Denn mit dem 1. Juni fängt eine einwöchige Frist zu laufen an, bei der Zweifel an der Wahl und der Auszählung zu einem Einspruch führen könnten. Bislang hat das Innenministerium fünf Bezirke wegen Unregelmäßigkeiten in Hinblick auf die Stimmabgabe bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Zu wenige allerdings, um das Ruder doch noch für den Freiheitlichen Norbert Hofer herumzureißen.

Die Briefwahlstimmen führten am Montag nach der Wahl schließlich dazu, daß der Universitätsprofessor mit dem grünen Parteibuch doch noch zum Wahlsieger erklärt wurde. Ein Effekt, der bereits von vorangegangenen Wahlen bekannt war: Der klassische Rot-Grün-Wähler aus Wien kann es sich leisten, pünktlich am Freitag um 12 Uhr in sein Elektroauto zu steigen und den Weg in das verlängerte Wochenende auf dem Land zu starten, wobei er noch frühzeitig per Wahlkarte gewählt hat. 

FPÖ prüft mögliche Wahlanfechtung

Der durchschnittliche konservative Wähler besucht allerdings am Sonntag nach dem Kirchgang oder zumindest vor dem Frühschoppen das Wahllokal, nicht zuletzt um gesehen zu werden. Entsprechend ist auch das Ergebnis: Nur 38,3 Prozent der Briefwahlstimmen konnte Hofer für sich gewinnen, während die Auszählung der persönlich abgegebenen Stimmen ein tiefblaues Land zeigt, in dem nur Wien als grüner Fleck hervorgeht. Genug jedoch, um den 72jährigen Van der Bellen in die Hofburg zu hieven und ein gespaltenes Land zu hinterlassen. 

Doch obwohl es gravierende Mängel in bezug auf die Wahlkarten gegeben hat, will die FPÖ das Ergebnis bislang nicht anfechten. Sie läßt jedoch hinsichtlich einer möglichen Wahlanfechtung  die vielfältigen Hinweise auf Zahlenanomalien, Datenfehler, falsche Stimmenabgaben oder widersprüchliche Behördenaussagen von einer neutralen juristischen Stelle überprüfen und bewerten. 

In der Gemeinde Waidhofen an der Ybbs verzeichnete das Computerprogramm des Innenministeriums etwa 146 Prozent gültig abgegebener Stimmen, wobei der „Fehler“ rasch korrigiert wurde. Auch der offizielle Wahlleiter aus dem Innenministerium, Robert Stein, welcher zufällig stellvertretender SPÖ-Vorsitzender in einem Wiener Gemeindebezirk ist, sprach vorab von 738.000 ausgegebenen Wahlkarten und korrigierte noch während der Auszählung die Zahl spontan um ganze 60.000 nach oben.

Aber auch bei einer Neuwahl in den betroffenen Gebieten würde wohl das Ergebnis knapp nicht für Norbert Hofer reichen. Der Fokus liegt nun auf einer vorgezogenen Nationalratswahl, bei der die FPÖ laut allen Meinungsumfragen als Sieger hervorgehen würde. 

Während sich der von den Grünen unterstützte Kandidat allerdings noch wenige Tage vor dem Wahlsonntag um das freiheitliche Wählerspektrum bemühte und davon sprach, die Gräben zuschütten zu wollen, zeigte er postwendend nur wenige Stunden später ein anderes Gesicht. Eine Renationalisierung und Entfernung von EU-Weisungen sei ihm zufolge nicht im Sinne der Österreicher. Er würde darum auch keinesfalls eine demokratisch gewählte FPÖ-Regierung vereidigen und im Zweifel lieber eine Verlierer-Koalition aus Rot-Schwarz-Grün oder Rot-Schwarz-rosa in Auftrag geben. Damit es dazu erst gar nicht kommt, setzt er sein Vertrauen in den neu angelobten SPÖ-Kanzler Christian Kern, der Protestwähler wieder in die sozialdemokratische Richtung lenken sollte. 

Dieser baut jedoch inzwischen seine eigenen Brücken, die mehr trennen denn verbinden. Im Angesicht von einer halben Million Arbeitslosen in Österreich möchte er nun schließlich den Arbeitsmarkt für Asylwerber zugänglich machen und erhält dabei Vorschußvertrauen des künftigen Bundespräsidenten. Ein Schritt, den zumindest 49,7 Prozent der Wähler – und angesichts der kuriosen Briefwahlstimmen wahrscheinlich noch mehr – als eine negative Entwicklung sehen. 

Van der Bellen hat die Riesenchance ausgelassen, Gräben zuzuschütten, erklärte resignierend FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Dieser wolle gar kein Präsident für alle Österreicher sein, sondern der „verlängerte Arm und das Sprachrohr von Rot-Schwarz-Grün und der Eurokraten“. Van der Bellen  sei nicht bereit, die elementarsten demokratischen Spielregeln anzuerkennen und stelle sein „subjektives Empfinden über den Wählerwillen“.