© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/16 / 03. Juni 2016

Mutterschaft
Kreislauf des Lebens
Birgit Kelle

Mutterschaft: das Natürlichste der Welt, sollte man meinen. Der Kreislauf des Lebens, die conditio sine qua non, ohne die die Menschheit nicht überleben würde. Es könnte so einfach sein, doch allein das Wort „Mutterschaft“ löst in manchen Kreisen bereits das Aufstellen der Nackenhaare aus. Kommt es doch so stereotyp biologisch und fast animalisch daher wie Schwangerschaft, Muttermilch oder Gebärmutter. Das Wunder des Lebens und die Unvermeidbarkeit der Biologie gepackt in bildhafte Worte, doch selbst ihr reines Vokabular scheint so gar nicht mehr in die dekonstruktivistische Genderdebatte unserer Zeit hineinzupassen. Diese Zeit, in der künstlich befruchtet wird, Eizellen eingefroren und Gebärmütter als Babyhöhlen ausgeliehen werden. Diese Zeit, in der sich Prominente Kinder in Übersee bestellen und Firmenchefinnen sich Eizellen einfrieren lassen. Jetzt, wo wir dank flächendeckender Genderforschung endlich wissen, daß Mutter zu sein nur noch eine austauschbare, selbstgewählte Rolle sein soll.

Deswegen wird nun neutral das Wort „Elternschaft“ benutzt, denn wer die Mutterrolle in einer Elternschaft übernimmt, ist theoretisch von der Biologie längst abgekoppelt. Erst wurde die Liebe von der Sexualität getrennt, um uns Frauen von Beziehungen zu befreien. Dann hat man die Sexualität von der Fortpflanzung getrennt, um uns von unseren Kindern zu befreien. Und jetzt wird noch die Fortpflanzung von der Abstammung getrennt, um uns endgültig von unserer Natur zu entkoppeln. Klappt noch nicht ganz, aber Fremdgebärenlassen kommt dank Leihmüttern bereits in Mode. Elter 1 und Elter 2 in amtlichen Dokumenten lassen Raum für selbstkonstruierte Elternschaft für alle, die sich mal ganz doll als Mami fühlen wollen. Oder auch nicht. 

Für leidende Mütter, die mit ihrem Status hadern, gibt es dann eigene Hashtags  wie #regrettingmotherhood bei Twitter, wo sie gemeinsam mit Mitleidenden ihre Mutterschaft bereuen können. Es ist sicher kein Zufall, daß die unbedeutend kleine Studie einer Israelin über eine Handvoll Mütter, die allesamt ihr Mutterdasein beweinen, zwar nicht in ihrem Heimatland, aber ausgerechnet in Deutschland prominente Aufmerksamkeit bekam und sie es nicht nur quer durchs Feuilleton, sondern gar ins „Heute-Journal“ schaffte. Seht her, wie sehr wir leiden! Fehlt nur noch die Gruppentherapie frustrierter Mütter mit gemeinsamem Lesen von Elisabeth Badinters Buch „Das Problem: Die Frau und die Mutter“. Wußten wir es doch, dieses Mama-Kind-Ding ist der Beginn allen Übels für die emanzipierte Frau von heute. Also weg mit dieser sentimentalen Mutter-Mythos-Konstruktion, die uns Frauen doch nur unter dem Joch des Patriarchats und von den Fleischtöpfen der Dax-Vorstände fern hält. Danke Alice und Konsortinnen.

Hat sie also ausgedient die Mutter? Die Mama, die jederzeit geliebt werden kann, die Mama, die Zeit hat, die Apfelkuchen backt und Pflaster auf wunde Knie klebt? Die Schmerz wegpusten kann und täglich Bücher liest? Die Mama, die das Ganze auch noch mit Liebe tut, jetzt da wir wissen, daß man sowas bitter bereuen kann und diese neuen Väter sich in der Mutterrolle doch auch einrichten können? 

Trotz jahrzehntelanger Bemühungen des Feminismus, uns das Muttersein madig zu reden, trotz Warnungen der Wirtschaft, daß uns ausgiebig gelebte Mutterschaft nur Nachteile auf dem Arbeitsmarkt bringt und trotz hinterhältiger staatlicher Gesetzgebung, die langjährig sorgende Mütter nach Scheidungen auf die Straße und in die Altersarmut senden, ist sie nicht tot zu bekommen. Die gute Mutter. Gerade erlebt diese Mama aus dem Bilderbuch ein kleines Revival. Der Spiegel brachte im März dieses Jahres gar sechs Seiten Hausfrauenportraits. Gut, man war immer noch vorsichtig, irgendwie müssen das seltsam-exotische Wesen sein, diese Gerne-nur-Mütter. Vorsichtshalber wurden für den Bericht ja auch keine bevölkerungsrepräsentativen Mütter genommen, sondern Akademikerinnen der Oberklasse. Die, die es sich noch leisten können, so einen Mutterspleen auszuleben. Mit Jute-Beutel, Pekip-Kurs, homöopathischen Globuli und Hausgeburt. Denn ganz so weit ist man dann doch noch nicht, anzuerkennen, daß auch die Durchschnittsfrau manchmal gar nicht alles haben will, sondern nur ihre Kinder. Also nahezu unfreiwillig zeigte der Spiegel nur das, was sich seit einer Weile Bahn bricht in der medialen Welt, in der Realität war es ja schließlich nie weg, nur gut verleugnet: Frauen sind gerne Mütter. 

Mütter-Bücher sprießen plötzlich aus dem Boden und erzählen von einer Form der Mutterschaft, die moderne Politikstrategen längst in die reaktionäre Schublade gesteckt hatten. War es denn nicht Warnung genug, was mit Eva Herman veranstaltet wurde? Offenbar hat die abschreckende Wirkung der öffentlichen, medialen Hinrichtung einer glücklichen Mutter nicht lange vorgehalten, denn inzwischen sind deutlich mehr Frauen auf dem Boden der Tatsachen wieder zurück. Nach jahrelangem Irren durch das Labyrinth moderner Erschöpfungstheorien, auch Familienpolitik genannt. 

Muttersein und Karriere? „You can have it all.“ Ihr könnt es alles haben, liebe Frauen, ihr müßt nur clever sein, versprach man uns. „Lean in“ (Sheryl Sandberg) – so tönte es von den Erfolgsmüttern aus den USA herüber. Ja, das war versprochen, du mußt dich nur genug anstrengen, dann kannst du beides haben. Klappt doch auch bei Angelina Jolie. Die moderne Mütterfassade bröckelt, und in Deutschland ist Realismus eingekehrt: „Die Alles-ist-möglich-Lüge“ (Susanne Garsoffky/Britta Sembach) wurde zum Bestseller, das „Feindbild Mutterglück“ (Antje Schmelcher) zeigte, wie wenig Platz das Glück schon jetzt nur noch haben darf, gerade beklagen andere Frauen „Die Abschaffung der Mutter“ (Alina Bronsky/Denise Wilk), und mit „Geht alles gar nicht“ (Marc Brost/Heinrich Wefing) geben sich inzwischen selbst Väter ihrem Vereinbarkeitsfrust hin. Soweit das Auge reicht also plötzlich Mütter, die Zeit für ihre Kinder haben wollen. Die ihre Selbstverwirklichung nicht nur über einen Bürojob definieren, sondern über familiäre Lebensqualität, die kein Geld der Welt einkaufen kann. Selbst die Familienministerin wird noch mal medienwirksam Mutter. Ist es also tatsächlich da, das Revival und damit auch die Anerkennung für den Status als Mutter?

Die Antwort bleibt ein frustrierendes „Nein“, trotz Rissen in der Mauer. Immerhin, es wird darüber geredet, ohne daß die Protagonistinnen à la Eva Herman sofort in die Mutterkreuz-Fraktion gedrängt werden. Was selbst dem Spiegel offenbar schwerfällt angesichts von überzeugten Hausfrauen und Müttern, die aus dem linken politischen Spektrum kommen, Künstlerinnen sind oder gar überzeugte, aber in der Realität angekommene Feministinnen. Daß sich die Politik für sie interessiert und die Anerkennung sich auch gesellschaftlich oder gar finanziell äußert, bleibt dennoch ein weiter Weg. Da hat der Feminismus über Jahrzehnte ganze Arbeit geleistet. Gut, daß sich Familienpessimisten jedoch nicht fortpflanzen, Mütter hingegen sterben nie aus. 






Birgit Kelle, Jahrgang 1975, sorgte mit ihren Bucherfolgen „Dann mach doch die Bluse zu“ (2013) und „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ (2015) für Aufmerksamkeit. Sie schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften, seit 2011 auch regelmäßig für die Junge Freiheit. 2013 erhielt sie den Gerhard-Löwenthal-Preis. Sie sitzt im Vorstand des Dachverbands New Women for Europe und steht dem Verein Frau 2000 plus vor. Geboren wurde die Publizistin in Siebenbürgen, 1984 siedelte die Familie nach Deutschland aus. Sie ist verheiratet und Mutter von vier Kindern.