© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Was gestern war, ist für Tiere nicht relevant
Sprachentstehung bleibt ein Evolutionsrätsel / Von tierischer zu menschlicher Kommunikation führt kein Entwicklungspfad
Dominik Vogt

Der Streit über den Ursprung der menschlichen Sprache ist alt. Erst Ende des 18. Jahrhunderts verlor die bis dahin dominante christliche Auffassung, Gott sei ihr Urheber, an Überzeugungskraft. Ihren Platz nahmen von Darwins Evolutionstheorie befeuerte Erklärungen ein, wonach Sprache Tierlauten, den Rufen und Gesten der menschlichen Vorfahren entsprang.

Wie wenig tragfähig auch diese naturwissenschaftlichen Ansätze waren, zeigen Untersuchungen von Simone Pika vom Max-Planck-Institut für Ornithologie im oberbayerischen Seewiesen. Sie brach mehrmals zur Feldforschung nach Uganda auf, um dort die Kommunikation unter Menschenaffen zu studieren.

Für die Verhaltensbiologin steht im jetzigen Stadium ihrer Untersuchungen schon fest, daß eigentlich kein Evolutionspfad von der Tier- zur Menschensprache führen konnte. Denn die Anatomie ihres Kehlkopfes und dessen Nervenverbindungen mit der Zunge hindern Menschenaffen daran, komplexe Laute oder Wörter zu produzieren.

Sowenig wie die Anatomie einen Ausweg aus dem Käfig der Sprachlosigkeit gestattet, sowenig erlaubt dies ein zweiter unüberwindlicher Graben, den Friedrich Nietzsche, kein Naturforscher, sondern Philologe und Philosoph, bereits 1875 prägnant beschrieb: Tiere leben nur von Augenblick zu Augenblick in der Gegenwart. Pika ergänzt, wodurch Nietzsche inzwischen von der Hirnphysiologie bestätigt worden ist: Affen besitzen keine Gedankenwelt, die sie sprachlich mitteilen möchten. Drehe sich doch der Großteil ihrer Kommunikation „um sie selber im Hier und Jetzt“. Was gestern war, ist für Tiere von keinerlei Relevanz.

Daraus zieht Pika den Schluß: „Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Lautäußerungen und der Gestik unserer nächsten Verwandten werden uns nicht helfen, das Rätsel der Sprach­evolution zu entschlüsseln.“ Denn Sprache als „interaktive Intelligenz“ beruhe auf kognitiven Fähigkeiten, die vor der Sprachentstehung bereits vorhanden gewesen seien. Die Gestik von Schimpansen, Gorillas und Bonobos, von Krähen und Raben, auf die sich Pikas Feldstudien erstrecken, zeige bei sozialen Tieren nach „Art und Zweck“ zwar Vorstufen menschlicher Kooperation.

Aber Tiere begnügen sich eben mit Gesten und bräuchten keine Sprache, während für Menschen Gesten nur Hilfsmittel sprachlicher Kommunikation sind. Insoweit hat die Lebensarbeit der 43jährigen Biologin, die im vollmundigen MPI-Jargon dabei sei, mit der Sprachentstehung eines „der größten Rätsel der Evolution“ zu lösen, bisher nur zu einem negativen Resultat geführt.

„Fokus Sprache: Ohne Worte“, S. 18 – 25, in Max Planck Forschung, 1/16:

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