© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Islam-Debatte
Auf dem Weg nach Algerien?
Nicolaus Fest

Zu den ständig wiederholten Gemeinplätzen des Augenblicks gehört die Behauptung, daß vielleicht nicht der Islam, ganz sicher aber die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören. Selbst die AfD vertritt diese Ansicht, bei den anderen Parteien hat der Satz inzwischen den Charakter eines 11. Gebots: Du sollst den Muslimen ihr Deutschsein nicht bestreiten – auch wenn viele von ihnen westliche Werte ebenso ablehnen wie das zivilisatorische Minimum, einer Frau zur Begrüßung die Hand zu geben.

Daß die These von der Deutschzugehörigkeit der hier lebenden Muslime so unwidersprochen herrscht, ist daher ebenso erstaunlich wie ihr intellektuell doch fragwürdiger Gehalt. Selbst wer dem Islam die Staatsbürgerschaft gleichsam verweigert, will seine Angehörigen hiervon ausnehmen. So behilft man sich mit Differenzierungen, die eher mutwillig als überzeugend wirken. Der „politische Islam“ soll unzulässig sein, der religiös-kulturelle dagegen nicht.

Allerdings ist der „politische Islam“ bisher in Deutschland gar kein Problem. Nicht einmal die Muslimverbände würden derzeit wagen, die existierende Trennung von Staat und Religion in Frage zu stellen, die Einführung nichtparlamentarischer „Gottesgesetze“ zu verlangen oder die rechtliche Diskriminierung der Frauen. Dagegen sind alle Probleme mit dem Islam, ob Parallelgesellschaften, „Friedenrichter“, „Ehrenmorde“ oder wie auch immer die Synonyme für Fundamentalkonflikte lauten, ausschließlich kulturell-religiöser Natur. Selbst fundamentalistische Haßpredigten sind, darauf verweist schon der Ausdruck „Predigt“, wohl dem religiös-kulturellen Bereich zuzuordnen, müßten also nach herrschender Meinung erlaubt bleiben.

Das Gerede vom „politischen Islam“ ist daher Augenwischerei; die wirklichen Konflikte liegen im Religiös-Kulturellen. Doch die will keiner benennen. Dabei stellt die Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört, ganz selbstverständlich die Frage nach den Konsequenzen für diejenigen, die diesen Glauben hier praktizieren. Soll die Freiheit von Glauben und Bekenntnis, die Artikel 4 Grundgesetz konstatiert, auch für solche Religionen gelten, deren unwandelbare, unhinterfragbare Grundlage zentrale Werte dieses Grundgesetzes verneint? Will man den Feinden der Freiheit die Freiheit zur Indoktrination und Verbreitung geben?

Wer zur Antwort, wie der Innenminister und andere, stur auf die Verfassung verweist, macht es sich zu einfach. Denn daß Freiheiten dazu mißbraucht werden können, die sie garantierende Verfassung zu zerstören, hat bereits Hitler in der „legalen Revolution“ exerziert: Das „Ermächtigungsgesetz“ beseitigte mit Hilfe des Parlaments Parlamentarismus und Demokratie. Genau aufgrund dieser Erfahrung verbietet Artikel 79 III Grundgesetz die demokratische Selbstabschaffung – ein Schutzgedanke, der ebenso auf den Mißbrauch der Religionsfreiheit anwendbar scheint.

Daß diese Gefahr besteht, kann zudem niemand bestreiten. Algerien hat mit dem Islam bereits solche Erfahrungen gemacht, ebenso andere einst weitgehend säkulare Länder. Wer die Verfassung ernst nimmt, muß jeglichen Islam verbieten. Oder plädiert jemand für den algerischen Weg?

Die empörte Unduldsamkeit, mit der vor allem Journalisten und Politiker des linken Spektrums jedes Gespräch um die Grenzen der Glaubensfreiheit als unerhört abtun, läßt nach den Motiven fragen. Immerhin war die Linke über Jahrhunderte der härteste Gegner aller Religionen, und die Haltung des Korans zu den Rechten von Frauen und Homosexuellen entspricht ebenfalls kaum den Parteilinien von Grünen, Linke oder SPD. So ruht das Eintreten für die Glaubensrechte der Muslime nicht auf ideologischen Gemeinsamkeiten. Vielmehr umreißt die Frage nach deren Zugehörigkeit zu diesem Land eine Diskussion, die längst als abgeräumt und beendet galt: nämlich darum, was Deutschsein bedeutet, auf welchem Leitbild und welcher Leitkultur dieses Gemeinwesen gründet.

Daß diese Idee von Linken bekämpft wird, hat seine Gründe. Zunächst steht der Gedanke, daß Kultur und Identitäten die Welt bewegen, quer zur materialistischen Grundannahme, wonach die eigentliche Konfliktlinie zwischen Besitzenden und Besitzlosen verlaufe. „Multikulti“, also letztlich die Gleichgültigkeit gegen jede Kultur, ist ein durch und durch materialistisches Konzept, und all die Förderkurse wie auch sozioökonomischen Erklärungen für Aggressionen, Schulversagen oder die weit überproportionale Kriminalität muslimischer Jugendlicher sind diesem Konzept geschuldet.

In der Debatte liegt noch ganz anderer Sprengstoff: nämlich die Erkenntnis, daß die westliche kapitalistische Kultur trotz aller Defizite humaner, aufgeschlossener, karitativer, toleranter, geistiger und beglückender als alle Konkurrenten ist.

Während jeder, der halbwegs bei Sinnen ist, um die Bedeutung von Familie, Stolz, Ansehen und kulturellen Loyalitäten weiß, blendet die Linke diese Fragen aus. Für sie gibt es keine Frage der Ehre, sondern nur eine des Geldes. Ursache aller Integrationskonflikte seien materielle Zurücksetzungen, ob tatsächlich oder eingebildet; wären diese gelöst, alle materiellen Bedürfnisse von Analphabeten wie Arbeitsverweigerern befriedigt, herrsche ewiger Frieden. Kultur ist aus dieser Sicht nur das Ventil, nicht die Ursache der Probleme. Das mag glauben, wer will.

Vor allem aber liegt in der Debatte über die Leitkultur noch ganz anderer Sprengstoff: nämlich gegebenenfalls die Erkenntnis, daß die westliche kapitalistische Kultur tatsächlich allen Konkurrenten überlegen ist, also trotz aller Defizite humaner, aufgeschlossener, karitativer, toleranter, geistiger und beglückender als jede andere Organisation von Völkern und Gemeinwesen. Nur in ihr hat das wissenschaftliche Denken eine Heimat, und ebenso Gewaltenteilung, Laizismus, individueller Rechtsschutz und Sozialstaat. Und selbst die Kenntnis anderer Kulturen ist allein der modernen westlichen Welt zu danken. Andere Zivilisationen waren gegenüber den Schöpfungen fremder Kulturen entweder gleichgültig oder offen feindlich; die Zerstörungen von Tempeln, Statuen und Denkmälern durch Taliban und IS sind keine Traditionsbrüche.

So liegt hier das eigentliche Trauma vieler Linker: einräumen zu müssen, daß der Islam und seine in jeder Hinsicht rückständige Kultur im Vergleich zum kapitalistischen Westen nicht etwa edel ist, sondern dumm, primitiv, brutal; daß seine Gläubigen keine Wiedergänger des Rousseauschen „edlen Wilden“ sind, dem Adam der antikapitalistischen Kritik; und daß die Überlegenheit der Kultur der so oft geschmähten alten weißen Männer und Frauen völlig unbestreitbar bleibt. Wer den täglichen Verrat beobachtet, den islamophile Linke gegenüber Frauen und Homosexuellen begehen, kann ermessen, wie tief der Zorn auf die westliche Kultur sitzt. Lieber solidarisiert man sich mit dem islamischen Fundamentalismus, als die auch humane Überlegenheit der westlichen Welt einzuräumen.

Sicherlich gibt es unter den hier lebenden Muslimen gebildete, kluge, tolerante Leute, die „Kulturmuslime“ in den Worten Henryk Broders; aber dies sind säkulare Vertreter und damit in den Augen vieler Glaubensbrüder Apostaten, vom Glauben Abgefallene.

Frei von solchen Befangenheiten bleibt jedoch weiterhin die Frage nach der Leitkultur. Sie ist entscheidend, und sie wird, das zeigt die politische Entwicklung in allen europäischen Ländern, an Bedeutung weiter gewinnen. Denn ein Volk ist mehr als eine große WG, mehr als ein loser Zusammenschluß von Leuten, die sich gerade in einem Land aufhalten, ob nun legal oder nicht. Und es ist der Begriff auch nicht an Erwerbstätigkeit oder Steuerpflicht gebunden, auch wenn dies oft als gleichsam erste Voraussetzung deutscher Identität genannt wird: Wer Steuern zahlt, soll – ganz unabhängig von Herkunft und kulturellen Prägungen – auch ein Recht haben, hier zu leben. Die umgekehrte Konsequenz, all jenen Migranten, die Hartz IV erhalten oder im Gefängnis sitzen, das Aufenthaltsrecht mangels Steuerleistung zu entziehen und sie auszuweisen, vertritt allerdings niemand – auch wenn dies die Einwanderung in die Sozialsysteme in eventuell erfreulicher Weise korrigieren würde.

Was also ist „deutsch“, wann gehört man dazu? Völkische Identitäten sind vor allem Abgrenzungen: Man weiß nicht so genau, was man ist, aber man weiß zumindest sicher, wen man nicht zurechnet. Doch auch positiv lassen sich einige Gemeinsamkeiten benennen: Sprache, eine als verbindlich begriffene Geschichte sowie ein emotionales Verhältnis zu diesem Land, nicht nur fremdenlegionärhafte Gleichgültigkeit. Ob die Liebe zur Verfassung dazugehört, scheint fraglich; doch wäre die völlige Ablehnung sicherlich ein Zeichen, daß man nicht Bürger des Gastlandes und seines Staatswesens sein will.

Doch schon diese rudimentären Voraussetzungen, ohne jeden Blick auf Musik, Literatur oder Kunst, können viele Muslime in Deutschland nicht erfüllen. Sicherlich gibt es unter ihnen gebildete, kluge, tolerante Leute, die „Kulturmuslime“ in den Worten Henryk M. Broders; aber dies sind säkulare Vertreter und damit in den Augen vieler Glaubensbrüder Apostaten, vom Glauben Abgefallene. Die Mehrheit vertreten sie nicht, und diese Mehrheit tickt anders: Ihre Sprachkenntnisse sind auch nach Jahren oft trostlos, die deutsche Geschichte kein Quell ihres Selbstverständnisses, das Verhältnis zu diesem Land von Zweckdienlichkeit eher geprägt als von Liebe. Man will hier Geld verdienen oder versorgt werden, aber im Herzen, das zeigte der Jubel bei den Kölner Besuchen Erdogans, bleibt man Türke – oder eben Kurde, Araber, was auch immer.

Daß von den hiesigen türkischen Gemeinden so gut wie kein Protest gegen den autokratischen Rückbau der Demokratie ihres Heimatlandes kommt, weist, allen Umfragen zum Trotz, nicht unbedingt auf gemeinsame rechtsstaatliche Überzeugungen; gleiches gilt für die vielen antisemitischen Demonstrationen und Haßgesänge im Sommer 2014.

Und auch das Faktum der Parallelgesellschaft, die anders als die von Russen, Juden oder Asiaten tatsächlich eine aggressiv-feindliche Gegengesellschaft ist, macht überdeutlich: Viele Muslime sind Fremde, weil sie es sein wollen. Sie wollen keinen Kontakt mit Deutschen, sie wollen unter sich bleiben. Nicht ohne Grund sind Heiraten zwischen Deutschen und Muslimen die Ausnahme. Während Vietnamesen, Italiener oder Rußlanddeutsche vollkommen integriert sind, ist die Integration der Muslime gescheitert – weil es ihnen am Willen fehlt. Gegen eine Kultur der Abschottung kommt keine Willkommenskultur an.

Machen wir uns also nichts vor: Der Islam gehört nicht zu Deutschland, und die meisten Muslime auch nicht. Schon jetzt sind in vielen Städten Gegengesellschaften fest etabliert, die sich irgendwann politisch formieren werden. Dann sind algerische Verhältnisse nicht mehr weit. Die Spaltung des Landes, oft Pegida oder der AfD vorgeworfen, ist in der Realität längst vollzogen – und zwar von seiten der Muslime. Solange man der Frage nach Leitkultur und Religionsfreiheit ausweicht, wird auch der gegenwärtige Versuch, die Integration per Gesetz zu befördern, daran nichts ändern.

Richtig wäre, die Muslime vor die Wahl zu stellen: Wer an seinem Glauben, vor allem an der Diskriminierung der Frauen festhalten will, hat hier keinen Platz; wer einen Platz möchte, muß diesen Glauben und dessen Kultur der Abschottung verlassen. Für den Schutz vor eben jener Religion, die zur Flucht zwang, scheint das kein zu hoher Preis.






Dr. Nicolaus Fest, Jahrgang 1962, ist Journalist und Jurist. Er war bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag. Auf dem Forum setzte er sich zuletzt mit der Islamkritik in der AfD auseinander („Verteidigung westlicher Werte“, JF 17/16).