© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Pankraz,
der Schrott und das Glück der Reparatur

Opfer und Harmonie“ („Sacrifice and Harmony“) nennt der französisch-algerische Installationskünstler Kader Attia (45), der heute in Berlin lebt, seine neuen Installationen im Museum für Moderne Kunst (MMK) zu Frankfurt am Main. Was soll der bombastische Titel? Zu sehen ist moderner Industrieschrott, Elektroschrott aus Westeuropa, der offenbar darauf wartet, von afrikanischen Reparateuren wiederaufbereitet und nutzbar gemacht zu werden. Wer ist hier Opfer, wo ist Harmonie? Ist möglicherweise eine Rehabilitierung des Begriffs der Reparatur gemeint?

Es stimmt ja, auf Reparaturen läßt man sich hierzulande kaum noch ein. Statt dessen wird überall abgerissen, weggeworfen, etwas Neues hingestellt. Immer mehr Firmen installieren in ihren Produkten sogenannte „Reparaturverhinderer“: Nach Ablauf der vom Hersteller versprochenen „Garantiezeit“ soll mit der verkauften Sache ein für allemal Schluß sein. Der Besitzer wird regelrecht gezwungen, sich etwas Neues zu kaufen, möglichst bei der gleichen Firma. „Obsoleszenz-Strategie“ heißt das hinterhältige Verfahren; Pankraz hat schon einmal darüber geschrieben.

Autofahrer können ein Lied davon singen. Zwar ist das Verfallsdatum ihres Fahrzeugs insgesamt nicht vom Lieferanten oder behördlicherseits festgelegt, aber nach jeder Inspektion wird einem mitgeteilt, daß dieses oder jenes Teil innerhalb des Wagens unbedingt ausgetauscht werden müsse, besonders seitdem die Digitalisierung um sich gegriffen hat und viele neue Elektrotricks zur puren Notwendigkeit geworden sind. Die Reparaturkosten steigen rasant an, und bald fragt man sich, ob es nicht besser sei, sich einen komplett neuen Wagen anzuschaffen, auch wenn man dafür einen Kredit aufnehmen muß.


Den „Elektroschrott“ nimmt die Firma gern zurück. Er endet noch lange nicht in hochmodernen Müllverbrennungsanlagen, sondern wird schlicht weiterverkauft, an Länder der Dritten Welt zum Beispiel, also nach Kamerun, Togo, Kenia … Dort stürzen sich neuartige Schrott-Spezialisten auf die Ware, reparieren sie halbwegs, hübschen sie auf – und verkaufen sie mit gutem Gewinn weiter an zahllose Interessenten. Der internationale Schrott-und-Müll-Export ist mittlerweile in vielen Ländern (Verkäufer- wie Käuferländern) zu einem riesigen Wirtschaftsfaktor geworden und bessert viele Staatshaushalte auf.

Jetzt hat er sogar Eingang in die moderne Kunst gefunden, und zwar in durchaus positivem Sinne. Ging es bisher lediglich um einige mutige italienische Autoren, welche Angehörige der allmächtigen Mafia wegen deren schwerkriminellen Umgangs mit dem Müll Neapels anklagten, so erscheinen jetzt bei Kader Attia Reparateure, welche sich des importierten Elektroschrotts annehmen und dadurch – wie eine deutsche Korrespondentin über die Attia-Ausstellung schrieb – „unter dem Vorzeichen des Prinzips der Reparatur ein Panoptikum entfalten“, das sich  „Psychopathologie der Moderne“ nennen ließe.

Nun, man sollte die Kirche auch semantisch im Dorf lassen. Wer in aller Biederkeit elektronische Gerätschaften, die vom Hersteller für nicht mehr reparabel erklärt werden, trotzdem repariert und wieder gebrauchsfähig macht, markiert damit nicht unbedingt die Psychopathologie der Moderne, beweist aber immerhin, daß das Prinzip der Reparatur in unseren Tagen noch lange nicht außer Kurs gesetzt ist.

Es kann gar nicht außer Kraft gesetzt werden, sowenig wie das Prinzip Heilung. Beide meinen im Grunde das gleiche: Wiederherstellung und Befestigung des Gewohnten und Bewährten, welches durch unglücklichen Zufall oder den Nagezahn der Zeit beschädigt worden ist. Die Reparatur besitzt ein natürliches und zeitliches Prä vor der Neuerschaffung beziehungsweise Neu-Indienststellung. Sie geschieht spontan und dennoch wohlüberlegt, sie verkörpert das Maß der Dinge und Situationen, während die Neuerschaffung für das Außergewöhnliche und Gewöhnungsbedürftige steht.


Reparatur-Fachleute wie  Tobias Huckfeldt oder Hans-Joachim Wenk neigen dazu, weite Bezirke der Neuerschaffungsindustrie als bloße Unterabteilungen der Reparaturwelt einzuordnen, als ihren „rechten Rand“ gewissermaßen. Ihr Lieblingsfeld ist der Denkmalschutz. Herrliche Bauwerke oder Statuen sollen nach dem Willen der Gesellschaft unbedingt vor dem Verfall gerettet werden, doch ist dies nur möglich, sofern man laufend klassische Reparaturarbeiten an ihnen vornimmt oder sie im schlimmsten Fall gänzlich neu erschafft, freilich ganz und gar nach dem Bild der „historischen Wahrheit“.

Manche Kunden und Fabrikchefs sprechen in solchen Fällen gern herablassend von „bloßer Austauschreparatur“, doch für Huckfeldt & Co. handelt es sich auch da um „echte“ Reparatur, nämlich um „generative Reparatur“, wo defekte Komponenten nicht beseitigt, sondern lediglich wieder instand gesetzt und gebrauchstauglich gemacht werden. Gute Reparateure sind in dieser Sicht auf jeden Fall fast richtige Künstler, selbst wenn es „nur“ um das Nachdrehen von Bremsscheiben oder Laufbuchsen beim Auto geht. Man muß viel wissen und ein feines Gefühl fürs Notwendige und Erträgliche haben.

Deshalb ja auch die Angst von Betriebsleitern und Finanzverwaltern vor Reparateuren, die ausdrücklich als „generativ“ firmieren und sich auch so aufführen. Sie sind zu teuer, sie verlangen teure  Spezialwerkzeuge und bei Notfällen teure Sonderbedingungen. Sie minimieren den Gewinn. Gute Reparaturarbeiten sind für den, der sie in Anspruch nimmt, faktisch immer ein Verlustgeschäft. Er muß Opfer bringen und trotzdem harmonisch bleiben.

War es das, was Kader Attia seine Ausstellung im MMK „Sacrifice and Harmony“ nennen ließ? Wohl kaum. Ihm standen als Opfer vermutlich eher die armen Reparierer in Togo und Kamerun vor Augen, die an westlichem Elektroschrott so lange herumbasteln, bis er wieder ein Weilchen vor sich hinstottert und verkauft werden kann. Von Harmonie keine Spur.