© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/16 / 27. Mai 2016

Moskaus Blackwater
Rußland: Nach US-Vorbild agieren russische Söldner auf der Krim und im Kampf gegen den IS
Thomas Fasbender

TschWK Wagner – seit dem russischen Eingreifen in Syrien geistert der Name dieser mysteriösen Einheit durch die Webseiten russischer Blogger. Sind es Söldner, grüne Männchen oder private Kämpfer im Staatsauftrag? Das amerikanische Wall Street Journal zitiert den Militärexperten Iwan Konowalow, Direktor des Moskauer Zentrums für Strategische Konjunktur: Die Truppe sei der „erste russische Versuch, ein privates Militärunternehmen nach dem Vorbild Blackwater auf die Beine zu stellen“. Blackwater hieß bis 2009 ein US-Sicherheits- und Militärunternehmen (heute: Academi), dessen Aktivitäten im Irak nach den Wikileaks-Enthüllungen 2010 für böse Schlagzeilen sorgten.

Erster Einsatz in Syrien endete in einem Desaster 

TschWK ist das russische Akronym für „Private Militärunternehmen“. Zu den ganz wenigen russischen Journalisten, die sich überhaupt zu dem Thema äußern, gehört Denis Korotkow. Sein Sankt Petersburger Internet-Journal Fontanka widmete der TschWK Wagner einen ausführlichen Bericht. Demnach ist die gepanzerte Einheit seit 2015 in Syrien stationiert. Hervorgetan, so Korotkow, habe sie sich zuletzt bei der Befreiung der Oasenstadt Palmyra von den Truppen des „Islamischen Staats“ im März.

Während das Thema in der russischen Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle spielt, versuchen Konowalow und einige Duma-Abgeordnete, wenigstens eine gesetzliche Basis für derartige Aktivitäten zu schaffen. Gegenwärtig ist es Russen verboten, sich als Söldner zu verdingen. Erst recht gibt es kein Gesetz, das die Existenz privater Militärunternehmen, die über Raketensysteme und Granatwerfer verfügen, reguliert. Entsprechend existiert TschWK Wagner in Rußland nicht, jedenfalls nicht auf dem Papier.

Konowalow erklärt die Rechtslage mit dem russischen Selbstverständnis: „Russen hassen die Idee des Söldners – wenn du zur Waffe greifst, dann nur, um dein Vaterland zu verteidigen. Die Vorstellung, das für Geld zu tun, widerstrebt allem, was wir gelernt haben.“ Das hindert Russen jedoch nicht, seit dem Untergang der Sowjetunion als Söldner auf den Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätzen in Afrika, auf dem Balkan und im Nahen und Mittleren Osten so präsent zu sein wie in der byzantinischen Elitegarde der Waräger vor tausend Jahren.

Neu ist, daß der russische Staat, wenn auch in Ermangelung gesetzlicher Grundlagen, das Instrument privater Kriegsführung bewußt für seine Ziele einsetzt. Letztlich kopiert Moskau die USA. Private bewaffnete Strukturen – Private Military Contractors (PMC) – waren bereits in den Neunzigern in die Kampagnen im Irak und in Afghanistan eingebunden. Ihre wesentlichen Aufgaben: Sicherung und bewaffnete Logistik. Amerikanische PMC spielen dort eine Rolle, wo Washington nicht mit eigenen Truppen präsent sein will. So in der Ukraine, wo das Unternehmen Academi (ehemals Blackwater) seit 2014 mit mehreren hundert Söldnern im Bürgerkrieg die Regierungsarmee unterstützt. Zu den russischen PMC gehört die von zwei ehemaligen KGB-Offizieren gegründete Moran Security Group. Sie bietet den Schutz von Schiffen, Pipelines und Offshore-Plattformen an.

Daß der Aufbau einer schlagkräftigen PMC-Struktur alles andere als einfach ist, erfuhren die ehemaligen Moran-Mitarbeiter Vadim Gusjew und Jewgenij Sidorow, als sie sich 2013 im syrischen Bürgerkrieg selbständig machten. Ihr „Slawisches Korps“ wollte die Bewachung und Sicherung der Erdölinfrastruktur übernehmen. Die 270 angeworbenen russischen Söldner konnten später von Glück sagen, daß sie es bis auf sechs Verwundete mit heiler Haut nach Hause schafften. Zu guter Letzt wurden bei der Ankunft in Moskau im Oktober 2013 alle Insassen der beiden Charterflüge vom russischen Geheimdienst verhaftet.

Zuerst war nur von „grünen Männchen“ die Rede 

War das „Slawische Korps“ noch ein Desaster, so bewies die Operation Krim im Frühjahr 2014, daß Moskau die Lektion gelernt hatte. Laut Korotkow waren die meisten Angehörigen des „Slawischen Korps“ auf der Krim als „höfliche Leute“ oder „grüne Männchen“ mit von der Partie. Das „Slawische Korps“ als Einheit gehörte allerdings der Vergangenheit an. Ein neuer Name machte die Runde: TschWK Wagner. Er geht angeblich auf den Decknamen des ersten Anführers zurück. Als derzeitiger Kommandeur der geheimnisumwobenen Truppe gilt der 46jährige Oberstleutnant der Reserve Dmitrij Utkin, bis 2013 Kommandeur einer Spezialeinheit des Verteidigungsministeriums. Danach war auch er vorübergehend bei Moran Security beschäftigt und in den Gewässern vor Ostafrika stationiert. Irgendwann 2014 soll er das Kommando der TschWK Wagner übernommen haben.

Nach Abschluß der Krim-Operation wurde die Truppe vorübergehend in den Donbass verlegt. Dort agierte sie allem Anschein nach bei der „Säuberung“ in den Reihen der Aufständischen. So soll die Ermordung der frondierenden Lugansker Truppenführer Alexander „Batman“ Bednowa und Alexej Mosgowoj ebenso auf ihr Konto gehen wie die Entwaffnung des Freikorps Odessa und die Disziplinierung einiger allzu eigenständig operierender Kosakenverbände.

2015 ging es dann nach Syrien. Korotkow zufolge sind seither „Dutzende Tote“ zu beklagen. Radio Liberty spricht unter Berufung auf eine „unabhängige Quelle“ von bis zu 60 Gefallenen. In der Statistik des russischen Verteidigungsministeriums tauchen sie ebensowenig auf wie die Wagner-Opfer in der Ostukraine. Immerhin sind ihnen staatliche Tapferkeitsauszeichnungen sicher. Postum.

Stützpunkt der Einheit ist das südrussische Molkino, dessen Ausbau vom Verteidigungsministerium mit angeblich über einer Milliarde Rubel (130 Millionen Euro) finanziert wurde. Dort sind außerdem eine Garderaketenbrigade der Armee und eine Brigade mit Spezialkräften des Militärnachrichtendiensts GRU stationiert. Das Monatsgehalt der Wagner-Kämpfer liegt bei 1.000 Euro während der Ausbildung, 1.500 Euro am Einsatzort und 3.000 Euro bei Kampfeinsätzen. Das ist bei gleicher Leistung und Qualifikation deutlich weniger als die Entlohnung durch vergleichbare westliche Arbeitgeber. Völlig unklar ist, aus welchen Quellen sich die Kosten des privaten Verbandes finanzieren.

Foto: Soldaten ohne Abzeichen, aber mit russischer Fahne auf der Krim (März 2014) / Russischer Trupp bei der Befreiung Palmyras aus den Händen des IS (r.): Die Gruppe TschWK Wagner war immer dabei