© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Steril, stereotyp und leblos
„Sparta im Sozialismus“: Im Dienst der Ideologie ist die DDR-Althistorie weitgehend erstarrt
Oliver Busch

Am Ausgang des zweiten Jahrtausends vor Christi wanderten die Dorer nach Griechenland ein und setzten  sich auf dem Peloponnes fest. Es dauerte 600 Jahre, bis dort im Eurotastal die autochthone Bauernbevölkerung zu Hörigen herabgesetzt, Nachbarvölker unterworfen wurden, das militärisch straff organisierte Sparta neben Athen zur mächtigsten unter den griechischen Poleis aufgestiegen war und im Peleponnesischen Krieg schließlich mit dem Sieg über Athen (404 v. Chr.) sogar kurzzeitig die Hegemonie über ganz Griechenland gewann, bevor der langsame innere Zerfall einsetzte.

Obwohl bereits im Altertum vom antiken Sparta nur Ruinen kündeten, verloren Geschichte und Verfassung dieses eigentümlichen Gemeinwesens nie ihre Faszinationskraft. Die Liste der europäischen Geistesgrößen, die sich, wie Matthias Willing in seiner Studie über „Sparta im Sozialismus“ (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 3/2016) aufzählt, mit dem Sparta-Mythos befaßten, reicht von Johann Calvin zu Herder und Schiller, bevor sich dann die Altertumsforscher des 19. Jahrhunderts um ein wissenschaftlich-objektives Sparta-Bild bemühten. 

Sparta als vorkapitalistische Sklavenhaltergesellschaft

Mit geringem Erfolg, da die Einstufung stets zwischen Idealisierung und Verachtung schwankte, weil jede Gelehrtengeneration ihre eigenen politische Ideale und Sehnsüchte auf die Polis der Lakedaimonier projizierte. Ihren Zenit habe, wie Willing knapp skizziert, diese Idealisierung des „Militär-, Bauern- und Rassenstaates“ Sparta im nationalsozialistischen Deutschland erreicht. 

Entsprechend negativ fiel die Deutung nach 1945 aus. Die akribische Aufklärung dieser Umwertung in der Bundesrepublik zählt für Willing noch zu den Desiderata der Disziplingeschichte. Für die DDR-Rezeption hingegen, mit der sich der Gymnasiallehrer selbst seit seiner Marburger Dissertation über die Althistorikerzunft im Arbeiter- und Bauern-Paradies (1990) intensiv beschäftigte, hätten die wesentlichen Interpretationsmuster festgestanden. 

Festgelegt durch den „Klassenauftrag“ der SED, ihren Beitrag „zur Formung des Geschichtsbewußtseins unserer sozialistischen Gesellschaft“ leisten zu müssen, figurierte der „Sklavenhalterstaat“ Sparta als ein lediglich hervorgehobenes Beispiel für die Entwicklung „vorkapitalistischer“ Herrschaftsformationen. Eingepreßt ins marxistische Schema, habe das Interesse der „spezifischen Klassenstruktur“ einer von 9.000 privilegierten Kriegern dominierten Gesellschaft gegolten, die im Hinblick auf die „Ware-Geld-Beziehung“ ökonomisch rückständig war und deren Verfassung auf militärischer Basis mit „repressivem Charakter“ ruhte. Um Entpersönlichung bemüht, minimierten die Neudeuter zugleich die Bedeutung von Feldherrn wie Lysander oder waren bestrebt, das bis 1945 in keinem Schulbuch fehlende Glanzstück der Sparta-Legende zu relativieren: den immer wieder glorifizierten Kampf an den Thermopylen, wo König Leonidas mit 300 Streitern die persische Übermacht aufhielt.

Solche auf den „faschistischen Spartakult“ wie auf die „Nato-Ideologie“ westdeutscher, die antiken Sklavenhaltergesellschaften angeblich „mystifizierenden“ Althistoriker antwortende Deutungsangebote, die sich selbst offen in den „Dienst der Ideologie“ stellten, hätten im internationalen Rahmen aber keinen Widerhall gefunden. Zum einen, weil die DDR nach der Flucht fast aller Koryphäen an die Hochschulen der westlichen Besatzungszonen einfach über kaum ausreichendes althistorisches Fachpersonal verfügte und auch wenig Nachwuchs heranzog. Zum andern, weil die DDR-Geschichtswissenschaft sich lange an einem aus Moskau importierten, plump stalinistisch zugeschnittenen „Sparta-Konstrukt“ orientierte. 

Davon hätten sich auch die in den siebziger Jahren verfeinerten Schablonen nicht gelöst, die Spartas Historie „gesetzmäßig“-materialistisch einstuften, dabei aber „steril, stereotyp und leblos“ wirkten und dokumentierten, daß die DDR auf althistorischem Gebiet „weitgehend erstarrt“ gewesen sei.