© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Die kritische Stimme einer Generation
Ein musikalischer und dichterischer Titan: Der Folkmusiker Bob Dylan feiert seinen 75. Geburtstag
Markus Brandstetter

Irgendwann hat einmal ein frustrierter Kritiker geschrieben: „Der Typ kann weder singen noch Gitarre spielen, und so wie der in die Mundharmonika hineinbläst, tun das tausend andere auch. Nur besser.“ Mit dem einzigen Unterschied, daß diese tausend anderen nicht so ziemlich die größten Liedermacher des 20. Jahrhunderts sind und den Weg, den Folkmusic, Blues und Folkrock in den letzten fünfzig Jahren gegangen sind, nicht elementar beeinflußt haben. Genau das aber hat der Mann getan, von dem hier die Rede ist: Bob Dylan.

Über seine Gesangskünste und sein Gitarrenspiel kann man geteilter Meinung sein, aber daß Bob Dylan eine der größten Gestalten in der Folk-, Rock-, Blues- und sogar der Country-Musik der letzten Jahrzehnte ist, das bestreitet eigentlich niemand. Dylan ist ein musikalischer und dichterischer Titan von enormer Produktivität und erstaunlicher Wandelbarkeit, dessen Texte, Themen und Melodien Hunderte von Folk- und Rockgrößen beeinfluß haben und Millionen von Fans auf der ganzen Welt seit seinem ersten Auftreten in den frühen 1960er Jahren bis heute begeistern.

Woody Guthrie war sein prägendes Vorbild

Schaut man sich an, wo Dylan herkommt, dann ist es allerdings rätselhaft, wie dieser Mann, der sein Leben lang gegen Kriege, Rüstung und Militarismus ansingt, der im Stil schottischer und irischer Folklore Balladen über Außenseiter, Landstreicher, kaputte Boxer und von Weißen gelynchte Schwarze verfaßt, daneben aber auch Gospel-Songs gesungen und traditionellen Rhythm-and-Blues gespielt hat, das alles gemacht hat – denn die Wurzeln von Dylans Familie liegen ganz woanders, und an seiner Wiege wurde manches, aber bestimmt keine Gospel-Songs gesungen. Von diesen Wurzeln wollte Bob Dylan später nicht mehr viel wissen. In einem Interview (2004) hat er dazu einmal gesagt: „Du wirst geboren, weißt du, mit dem falschen Namen, den falschen Eltern, das passiert. Aber du kannst dich nennen, wie du willst, das ist ein freies Land.“

Diese falschen Eltern mit dem falschen Namen waren Abram Zimmerman und Beatrice Stone, beides Juden, die vor dem Ersten Weltkrieg aus Rußland und Litauen in die USA eingewandert waren. Dylans falscher echter Name lautet Robert Allen Zimmerman. Den keltisch-walisischen Nachnamen Dylan hat er angeblich von dem walisischen Dichter (und Alkoholiker) Dylan Thomas geklaut, der genau damals, als Bob Dylan ein Teenager war, auf der Höhe seines Ruhmes stand. 

Bob Dylan ist wie die meisten Protestsänger – man denke nur an seinen Kollegen und Freund Pete Seeger, der Sohn eines Musikprofessors war – in bürgerlichen, behüteten Verhältnissen aufgewachsen, in der Kleinstadt Hibbing in Minnesota, mitten in der Pampa und fast schon in Kanada. Wie tausend andere spätere Rock- und Popstars hat Dylan Gitarre gelernt und in der Schul-Band gespielt, natürlich Rock’n’Roll, der damals gerade in war, und wie hundert andere Überflieger, die später Unternehmer, Filmstars und ebenfalls Millionäre wurden, hat auch Dylan die Universität abgebrochen, gleich nach dem ersten Semester.

Dylan ist daraufhin im Januar 1961, und das war mutig, ohne Verbindungen, ohne große Fähigkeiten auf der Gitarre und ohne eigene Songs nach New York gefahren, um den damals schon todkranken Folksänger Woody Guthrie zu besuchen. Dieser Guthrie wurde im Gegensatz zu Dylan in einer Bretterbude geboren, stammte wirklich aus einer armen Familie und hatte tatsächlich die Dürre und Landflucht in Oklahoma während der Weltwirtschaftskrise erlebt und darüber eine Menge engagierter, ein bißchen naiv-sozialistischer, aber melodiöser Lieder („This Land Is Your Land“) geschrieben.

Seit Jahren im Gespräch für den Literaturnobelpreis

Woody Guthrie mit seiner Schmirgelpapierstimme, der auch nicht singen, auch nicht richtig Gitarre spielen und noch viel weniger dichten konnte, ist bis heute das eigentlich prägende Vorbild für Bob Dylan gewesen. Von Guthries guten Wünschen begleitet, begann Dylan im Winter 1961 im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village in den Clubs zu spielen, erhielt schnell gute Kritiken, auch in der vornehmen New York Times, und war klug genug, sich 1962 einen aggressiven Manager zuzulegen, der ihm Gigs, also Auftritte, Plattenverträge und eine gute Presse bescherte. Dylan war von Anfang an ein unabhängiger Kopf, der genau wußte, was er konnte und wollte, und ein gerissener und abgebrühter Geschäftsmann war und ist er seit jeher. 

Und dann schuf der Sänger in nur fünf oder sechs Jahren, zwischen 1962 und 1968, die Songs, die man auf immer mit seinem Namen verbinden wird und in denen er tatsächlich zu so etwas wie der Stimme seiner Generation wurde: „Blowing in the Wind“, „The Times They Are A-Changin’“, „Mr. Tambourine Man“, „Like a Rolling Stone“ oder „Knocking on Heaven’s Door“. 

Es war die Zeit Vietnamkrieges, des Wettrüstens und des sich verschärfenden Ost-West-Konfliktes, und Dylan war der erste, der sich dazu mit den Mitteln von Wort und Musik dezidierte Gedanken machte und Amerika auch noch schneidend kritisierte. Das ist etwas, das weder die Beatles noch die Rolling Stones noch Simon and Garfunkel, von den Beach Boys oder Creedence Clearwater Revival gar nicht zu reden, jemals getan haben. 

1970 war Dylan ein gemachter Mann: er war weltberühmt, schwerreich, tourte um die ganze Welt, und seine Songs wurden von Hunderten von Bands auf der ganzen Welt nachgespielt oder „gecovert“. Doch von nun an ging es mit ihm künstlerisch langsam, aber stetig abwärts. Er brachte fast jedes Jahr fleißig, extrem wandelbar und aufgeschlossen für Neues ein Album heraus, aber die Welt der Musik war nun ein Selbstbedienungsladen für ihn geworden: mal klang er wie Johnny Cash – mit dem er auch gemeinsam auf der Bühne stand – nach Nashville und Country, mal spulte er christliche Balladen ab, weil er gerade ein Born Again Christian geworden war, und eine Zeitlang bildetet er mit George Harrison und Roy Orbison eine drittklassige Rock’n’Roll-Formation (Traveling Wilburys).

Heute liegen Dylans gesellschaftskritische Tage längst hinter ihm. Er bewohnt seit Jahren ein Milliardärsanwesen im kalifornischen Malibu, gehört zu den reichsten Pop-Künstlern der Welt, hat in Werbespots für Pepsi, Chrysler und IBM geworben, und bis auf den Literaturnobelpreis, für den er aber seit Jahren im Gespräch ist, hat er alles an Preisen, Auszeichnungen und Medaillen abgeräumt, was es nur gibt. Obwohl er jetzt im Mai 75 Jahre alt wird, spielt Dylan nach wie vor hundert Konzerte im Jahr, für die er aber immer wieder wegen der andauernd sich ändernden Arrangements und ganz einfach dafür, wie wenig von seinen über tausend Songs er heute noch darbietet, kritisiert wird. Trotz maßgeschneiderter Cowboy-Anzüge und 1.000-Dollar-Hüte sieht der alte Bob Dylan auf der Bühne wie eine Vogelscheuche aus, seine Stimme klingt mehr denn je wie ein Reibeisen, und auf der Gitarre kommt er mit denselben fünf Akkorden wie vor einem halben Jahrhundert aus. 

Aber drei, vier Jahre lang ist dieser Mann die kritische Stimme einer ganzen Generation von Jugendlichen gewesen und hat eine Handvoll wirklich guter Songs geschrieben. Darin liegt sein Vermächtnis.