© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Dank Emiraten nicht absturzgefährdet
Air Berlin: Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft verbucht zehn Jahre nach dem Börsengang dreistellige Millionenverluste
Thomas Fasbender

Licht am Ende des Tunnels? Im ersten Quartal 2016 war die Fluggesellschaft Air Berlin (AB), nach dem Rekordverlust im vergangenen Jahr, immerhin für einen Hoffnungsschimmer gut. Das Minus in den traditionell schwachen Wintermonaten fiel mit 182 Millionen Euro um 13 Prozent geringer aus als im Vorjahr. Allerdings stieg der operative Verlust (Ebit) um acht Prozent auf 172 Millionen Euro – trotz stabiler Ticketpreise die Folge eines Passagier- und Umsatzrückgangs um rund sieben Prozent infolge der Streichung von netto zehn Destinationen (40 weggefallene und 30 neue).

Aktienkurs seit Börsenstart um 94 Prozent eingebrochen

„Im wesentlichen entwickelt sich unser Geschäft in die richtige Richtung“, sagte Vorstandschef Stefan Pichler bei der Präsentation der Quartalszahlen. Wobei die Worte „im wesentlichen“ vielen Aktionären bitter aufstoßen dürften. 94 Prozent ihres Wertes hat die AB-Aktie seit dem Börsengang vor zehn Jahren verloren. Wer damals 1.000 Euro investierte und nicht rechtzeitig ausstieg, kann sich noch über 60 Euro freuen. Die Billigflieger Ryanair und Easyjet legten im gleichen Zeitraum 265 bzw. 300 Prozent zu. Selbst Lufthansa kostet in etwa soviel wie vor zehn Jahren.

Was ist der Grund für das notorisch schlechte Abschneiden der zweitgrößten deutschen Fluglinie? Die hohen Treibstoffkosten im Vorjahr, die Unsicherheit nach den Terroranschlägen in Ägypten und der Türkei sowie der Rechtsstreit um die Gemeinschaftsflüge mit der Etihad, dem arabischen AB-Großaktionär (30 Prozent), mögen einen Teil der aktuellen Verluste erklären. Die Hintergründe der sich über Jahre hinziehenden Misere beleuchten sie nicht.

Die 1978 im US-Bundesstaat Oregon gegründete Gesellschaft flog bis 1990 unter dem Schirm alliierter Sonderrechte. Die erste Destination war, von Berlin-Tegel aus startend, 1979 Palma de Mallorca. Ihr ist Air Berlin treu geblieben; heute befördert die Gesellschaft 20 Prozent aller Mallorca-Passagiere und ist damit Marktführer. Ryanair belegt mit 15 Prozent Platz zwei. Anders als die hochprofitable irische Konkurrenz jedoch versucht AB, gleichzeitig auf verschiedenen Märkten erfolgreich zu sein. So konkurriert man nicht nur um die Gunst der Urlaubsflieger, sondern außerdem um die Geschäftsflieger im Linienverkehr in die europäischen Hauptstädte von Berlin und Düsseldorf aus. Obendrein stehen – in Berlin fast konkurrenzlose – Direktflüge in die USA auf dem Flugplan.

Hinzu kommt, daß AB ein Partner der führenden Luftfahrtallianz Oneworld (American, BA, Finnair, Iberia, JAL, Qantas) ist, gleichzeitig aber eng mit dem Großaktionär Etihad – einem Konkurrenten von Oneworld-Mitglied Qatar Airways – kooperiert. Etihad hat nun ganz eigene Vorstellungen: Die Araber nutzen die Berliner zum einen als Zubringer zu ihrem Emirate-Drehkreuz Abu Dhabi, zum anderen als Anbieter auf der transatlantischen Langstrecke. Die US-Destinationen sind hart umkämpft und oft unprofitabel. Jede Gesellschaft von Rang muß sie im Angebot haben, und jede schätzt sich glücklich, wenn sie dafür einen Codesharing-Partner hat. Kein Wunder also, daß Etihad glänzende Zahlen verkündet. 2015 stieg der Überschuß um gut 40 Prozent auf 103 Millionen Dollar, die Zahl der Fluggäste um rund 20 Prozent. Längst wird ein Teil des Geldes zur finanziellen Stützung der Berliner Tochter eingesetzt. Das allerdings geht nur noch auf dem Kreditweg. Würde die Golf-Airline noch mehr Eigenkapital in die Gesellschaft stecken, verlöre AB den Status als deutsches Unternehmen und damit alle zwischenstaatlichen Start- und Landerechte.

Daß die Dauerbaustelle Hauptstadtflughafen BER dem Gedeihen der Berliner Fluggesellschaft nicht dienlich ist, liegt auf der Hand. Während die Lufthansa die Drehkreuze Frankfurt/Main und München dominiert, sind Düsseldorf und Berlin-Tegel allenfalls zweite Wahl. Im Business-Segment läßt die Lufthansa AB am ausgestreckten Arm verhungern, und den Rückzug in die Ferienflieger-Nische, wo Air Berlin als profilierter deutscher Anbieter gute Gewinne einfahren könnte, verbietet ihr der arabische Großaktionär. 

Was bleibt, sind Sparmaßnahmen und das Zurückfahren der Kapazität. Nun ist es leichter, die Zahl der Destinationen zu senken als die Fixkosten. Zumal auch dabei Potentiale verlorengehen. Das zeigt die Anfang 2016 aufgegebene AB-Verbindung Berlin–Moskau. Die russische Aeroflot hat seither deutlich ihre Preise erhöht. Die Lufthansa-Tochter Germanwings hat nun keine Probleme, ihre Flieger zu füllen.

Nach sieben Jahren, von denen nur ein einziges profitabel war, geht es AB an die Substanz. Fast 447 Millionen Euro Verlust im Jahr 2015, 377 Millionen im Jahr davor – ohne die Emirate-Finanzspritzen wäre die Gesellschaft längst weg vom Fenster. Dabei trifft den 2015 angetretenen AB-Chef Pichler noch die geringste Schuld. Der frühere Leistungssportler weiß, daß er in seinem ersten vollen Geschäftsjahr – 2016 – ein Wunder vollbringen muß.

Allein 250 Millionen Euro will er erwirtschaften, indem die Gesellschaft künftig günstiger Kerosin einkauft. Auch hofft er, daß AB sich nach der positiven Gerichtsentscheidung zum Codesharing mit Etihad jetzt voll auf Marketing und Vertrieb konzentrieren kann. Allzu lang darf der Erfolg nicht auf sich warten lassen – die Gesellschaft ist mit einem Drittel ihres Eigenkapitals überschuldet.

Finanz- und Unternehmensdaten zu Air Berlin: www.airberlingroup.com zum Hauptstadtflughafen BER: roadmap.berlin-airport.de www.istderberschonfertig.de