© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Die Bürger blechen für das Kostenmonster
Ökostrom: EU-Gericht hält Ausnahmen von der EEG-Umlage für verdeckte Beihilfen / „Beherzt gegensteuern“?
Christian Schreiber

Mit bangem Blick schauten Vertreter der deutschen Industrie in der vergangenen Woche nach Luxemburg. Dort hatte das Gericht der Europäischen Union (EuG) zu urteilen, ob die 2012er Version des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) staatliche Beihilfen umfaßte. Das EuG bestätigte in seiner Entscheidung schließlich die Sichtweise der EU-Kommission, die von deutschen Unternehmen rund 30 Millionen Euro „Strafe“ verlangt.

Seit 2000 gibt es das EEG, das die deutschen Strompreise an die Weltspitze trieb und Solar-, Windrad- und Biogasanlagenbetreibern staatlich garantierte Megaprofite für die Dauer von jeweils 20 Kalenderjahren garantiert. 2003 mußten die Verbraucher erstmals eine Umlage von 0,41 Cent (plus 19 Prozent Mehrwertsteuer) pro Kilowattstunde zahlen. 2016 beträgt die Umlage schon 6,354 Cent – etwa ein Drittel des Privatverbrauchspreises. Der Umlagebetrag summiert sich 2016 auf 22,9 Milliarden Euro. Seit 2003 gibt es aber – dank erfolgreicher Lobbyisten – auch eine „besondere Ausgleichsregelung“ im EEG – sprich: „Unternehmen mit hohem Stromverbrauch oder Schienenbahnen“ zahlen bis zu 99 Prozent weniger.

Gab es 2005 nur etwa 300 privilegierte Unternehmen, waren es 2012 schon weit über 700. Die EU-Kommission monierte nun vor zwei Jahren, daß es sich hierbei um „verdeckte Beihilfen“ handele. Das EuG entschied nun, daß die Subventionierung der Ökostromerzeuger mit EU-Recht vereinbar sei, die Befreiung energieintensiver Firmen jedoch teilweise nicht. Die betroffenen Unternehmen hatten bereits einen kleinen Teil der EEG-Umlage nachgezahlt. 

Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) hält die Folgen des EuG-Urteils für begrenzt: „Für das geltende EEG und für die Betreiber von Anlagen hat das Urteil von heute keine Auswirkungen.“ Die geltende Gesetzgebung zur Ökostromförderung sei „von der EU-Kommission bereits als beihilfekonform bestätigt.“

Aus Sicht des BEE setze sich das EuG mit seinem Urteil aber in Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), indem es das EEG als staatliche Maßnahme darstelle. Da sich die EEG-Förderung aber laut BEE auf eine „Mehrheitsentscheidung der Bundesbürger“ beziehe, die nur vom Gesetzgeber umgesetzt wurde, handele es sich quasi um einen Bürgerauftrag: „Die Bundesregierung sollte Rechtsmittel einlegen. Für die Weiterentwicklung des deutschen Fördersystems sind diese Rechtsfragen entscheidend, so Falk. Die Bundesregierung müsse daher die von der Kommission kritisierten Gestaltungselemente beseitigen, „damit das EEG seine Wirkung beihilfefrei entfalten kann“.

2.305 Firmen wollen keine Zwangsabgabe bezahlen

Ob das Bundeswirtschaftsministerium Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt, ist noch nicht entschieden. Generell wirft das EuG aber die Frage auf, ob es dauerhaft noch Ausnahmen von der EEG-Umlage geben kann. Gäbe es diese nicht mehr, wären die Tage der deutschen Aluminium-, Papier-, Stahl- oder Zementindustrie gezählt. Derzeit hoffen 2.305 Firmen, von der Zwangsabgabe befreit zu werden. So viele Anträge liegen dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) derzeit vor, teilte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage (18/7961) der Grünen mit.

Gleichzeitig müßte die EEG-Umlage auch 2017 erneut steigen – wegen der Ausnahmen und des weiteren Ausbaus bei Solar-, Windrad- und Biogasanlagen. Ein Spitzentreffen von Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder um dies zu verhindern, brachte vergangenen Donnerstag kein Ergebnis. Am 31. Mai soll weiterverhandelt werden. Unstrittig war das Ziel, den Anteil des Ökostroms von derzeit 33 auf 40 und 45 Prozent im Jahr 2025 zu steigern.

Die zehn grünen Energieminister wollen beim EEG eigentlich nichts kürzen. Nord- und Binnenländer verteidigen ihre Windräder. Bayern will es sich nicht mit den Bauern verscherzen (Stichwort: Biomasse) und den Besserverdienern ihre Solardächer erhalten. Der Bund hat eher die Industrie im Blick, die die EEG-Umlage als „Kostenmonster“ und Gefahr für den Standort Deutschland sieht. Der BDI-Chef Ulrich Grillo spricht von einem „gravierenden Wettbewerbsnachteil“. Der Ausbau der Erneuerbaren werde allein über die Umlage und höhere Netzentgelte finanziert; diese Form der Finanzierung könne „keine Zukunft“ haben, erklärte Grillo im Spiegel. Die Politik müsse „beherzt gegensteuern“.

Verbraucherschützer kritisieren seit langem, daß dieser Industrierabatt zu Lasten der Bürger gehe. Die Bundesregierung und Industrievertreter sprechen lieber von einer „Standortunterstützung“, die Arbeitsplätze sichere. Haushalte und nichtprivilegierte Gewerbekunden kostet die Begünstigung bestimmter Unternehmen etwa fünf Milliarden Euro – oder 1,6 Cent pro Kilowattstunde.

Erleichtert zeigten sich Industrievertreter darüber, daß das EuG-Urteil nur Beihilfen aus dem Jahr 2012 betrifft. Der Schaden sei überschaubar. Dennoch wollen einige Betroffene ihr Geld wieder zurück. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) appellierte an die Bundesregierung, den Sachverhalt in letzter Instanz vom EuGH klären zu lassen. Unabhängig vom letztlichen Ausgang des Verfahrens weist VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann darauf hin, daß beim EEG grundsätzlicher Handlungsbedarf bestehe. „Die Förderung erneuerbarer Energien hat schon heute ein Volumen erreicht, das weder akzeptabel noch für den Mittelstand bezahlbar ist.“

Die Forderung aufzustellen, das EEG komplett zu streichen, hat sich bislang lediglich die AfD getraut. Selbst für den VCI ist das EEG offenbar sakrosankt.

Studie zu den EEG-Ausnahmen: foes.de