© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Kampf gegen Nebelkerzen
Kriminalität I: Die politische und juristische Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln kommt nur langsam voran
Ronald Berthold

Die Massenübergriffe in der Kölner Silvesternacht und vor allem der Versuch der Politik, diese zu vertuschen, beschäftigen noch immer die Öffentlichkeit. Viereinhalb Monate später wird deutlicher, wieviel Einfluß der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger darauf nahm und welche Rolle Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (beide SPD) dabei spielte. Inzwischen sind auch erste Urteile gegen Verdächtige gesprochen. Eine Bestandsaufnahme.

Nach anfänglichem Bestreiten steht fest, daß die Behörden tagelang Nebelkerzen zündeten und versuchten, die zahllosen Überfälle von Nordafrikanern auf Frauen in Köln zu verheimlichen. Auch daß ein erheblicher Teil der Verdächtigen aus Flüchtlingsunterkünften kam, sollte nicht bekanntwerden. Heute gilt es als gesichert. In Heimen fanden Polizisten gestohlene Handys, und vor Gericht stehende Beschuldigte haben in Deutschland Asyl beantragt.

Ein Untersuchungsausschuß im Düsseldorfer Landtag geht der Frage nach, wie es zu all dem kam. Klar ist jetzt: Sowohl Mitarbeiter des Innenministeriums als auch der Landesleitstelle übten am Neujahrstag telefonisch massiven Druck auf die Kölner Polizei aus, das Wort „Vergewaltigung“ zu löschen. Sogar die ganze WE-Meldung, wie Berichte über „Wichtige Ereignisse“ heißen, sollte die Kölner Polizei zurückziehen. Dies sei in „schroffem Ton“ geschehen, berichteten Kripo-Beamte dem Ausschuß. Sie hatten an der Meldung trotzdem festgehalten. Unter Beschuß steht Innenminister Jäger. Noch im vergangenen Monat hatte er bestritten, daß es einen solchen Anruf überhaupt gegeben habe. Nach den Aussagen der Polizisten wachsen jedoch die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Politikers. Vor dem Untersuchungsausschuß relativierte er seine Behauptung, indem er sagte, das Telefonat sei nicht auf „Initiative des Ministeriums“ erfolgt. Der Ministerialbeamte habe „eigenmotiviert“ gehandelt.

Kritiker fragen: Wenn dies tatsächlich so gewesen wäre – warum verschwieg Jäger dann am 14. Januar im Landtag den Bericht über die Vergewaltigung? Um Transparenz zu zeigen, hatte er vor den Abgeordneten die WE-Meldungen der Silvesternacht vorgelesen. Eine fehlte allerdings, und zwar ausgerechnet jene, die seine Beamten bereits zwei Wochen zuvor storniert sehen wollten. Darin heißt es: „In einem Fall wurden einem 19jährigen deutschen Opfer Finger in die Körperöffnungen eingeführt.“ Heute weiß man und möglicherweise damals auch schon, daß es deutlich mehr als dieses Opfer gab. Jägers Angaben, nichts von dem Druck seiner Beamten gehört zu haben, die Vorfälle zu vertuschen, stellt ein weiteres Detail in Frage: Auch im „Polizeilichen Lagebild NRW“ vom 4. Januar fehlt der Vergewaltigungs-Passus. Die riesige Tätergruppe und deren Herkunft unterschlägt das Dokument ebenfalls. Daß dies alles nicht von den politisch Verantwortlichen gewollt war, sondern auf die Eigeninitiative subalterner Mitarbeiter zurückging, ziehen Beobachter in Zweifel. Denn Kritik an der Flüchtlingspolitik galt damals als Tabu. Bereits nach den Anschlägen von Paris sieben Wochen zuvor hatten sich Spitzenpolitiker aller etablierten Parteien dagegen verwahrt, diese in Zusammenhang mit der Einwanderungswelle zu bringen – obwohl Attentäter nachweislich über die Balkanroute nach Europa gelangt und als Asylbewerber registriert waren. Während die Taktik damals noch aufging, brachten die zahlreichen Opferberichte in den sozialen Netzwerken diese nach Silvester ins Wanken. Die Meldungen bei Facebook und Co. hebelten auch die zunächst tagelang ausbleibende Berichterstattung in den großen Medien aus.

Mit ihrem Innenminister gerät nun auch die Ministerpräsidentin zunehmend in die Schußlinie. Hannelore Kraft hatte erst zehn Tage nach den Vorfällen Worte des Bedauerns gefunden. Begründet hatte sie dies später damit, vorher nicht über das Ausmaß informiert gewesen zu sein. Doch nun mußte Jäger einräumen, sechs Tage zuvor mit Kraft über die Verbrechen auf der Domplatte telefoniert zu haben. Es dränge sich der Verdacht auf, kommentiert der Express, „daß die früh bekannte Dimension der Ereignisse im nachhinein runtergespielt werden soll, auch um das lange Zögern von Jäger und der Ministerpräsidentin zu rechtfertigen“.

Suche nach dem Maulwurf

Während die beiden einen Rücktritt weiter kategorisch ablehnen, hat die juristische Aufarbeitung begonnen. Erste Prozesse endeten mit Freisprüchen und Bewährungsstrafen. Ein Algerier, der erst im Monat vor der Tat als „Flüchtling“ eingewandert war, muß für ein Jahr ins Gefängnis.

Juristisch vorgehen wollten SPD und Grüne auch gegen Abgeordnete, die die Aussage der Polizisten bekannt machten, daß die Vergewaltigungspassage zurückgezogen werden sollte. Die Landtagsmehrheit sah Dienstgeheimnisse verletzt und bereitete einen Antrag  auf eine „Ermächtigung zur Strafverfolgung“ vor. Erst nach heftiger Kritik schwächten die Fraktionen ihren Antrag ab. Jetzt soll ohne Staatsanwaltschaft nach dem sogenannten Maulwurf gesucht werden.