© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/16 / 20. Mai 2016

Das letzte Aufgebot der Konservativen
CDU/CSU: Mit einem Positionspapier reagiert der „Berliner Kreis“ auf die Erfolge der AfD und versucht eine Kurskorrektur zu erreichen
Paul Rosen

Nur wenige Tage nach einem irrlichternden Zeitungsbericht mit dem Tenor, die CDU wolle wieder wie früher auf konservative Wähler zugehen, hat der „Berliner Kreis in der Union“ nachgelegt. 16 Bundestagsabgeordnete und der frühere hessische CDU-Landtagsfraktionsvorsitzende Christean Wagner veröffentlichten in der vergangenen Woche  ein sechsseitiges Papier mit Forderungen. 

So richtig ändern wollen sie aber offenbar nichts, was schon auf Seite 2 zugegeben wird: „Obwohl dies häufig behauptet wurde, war es nie unser Ziel, einen Rechtsruck der Partei zu betreiben, sondern eine weitere Linksdrift zu verhindern.“ 

Vor allem Hinterbänkler haben unterzeichnet

Andersherum formuliert: Es soll alles weitgehend so bleiben, wie es unter der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel heute ist – abgesehen von ein paar Änderungen in der Flüchtlingspolitik und Begriffskosmetik an dem einen oder anderen Punkt. Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, wird nicht beantwortet, sondern es wird mit einem Zitat des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ein Ablenkungsmanöver betrieben: „Wir sind kein islamisches Land und werden auch keines werden.“ Das ist die einzige Stelle in dem Papier, an der das Wort Islam auftaucht.

Die sechs Seiten spiegeln die Bedeutung des Berliner Kreises in der Union. Er ist genauso schwach wie seine Aussagen: Bestensfalls wird an Symptomen herumgedoktert. Der bekannteste Abgeordnete des Kreises ist Wolfgang Bosbach aus Nordrhein-Westfalen, ein standfester Euro- und Merkel-Kritiker. Sein Einfluß liegt seit Jahren auf der Nullinie. Die anderen Abgeordneten sind außerhalb ihrer Wahlkreise kaum bekannt: Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, Thomas Dörflinger, Mark Hauptmann, Stefan Heck, Silke Launert, Philipp Lengsfeld, Tim Ostermann, Sylvia Pantel, Johannes Selle, Patrick Sensburg, Barbara Woltmann und Hans-Peter Uhl. Christian Freiherr von Stetten ist immerhin Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion, dem die meisten Mitglieder der Fraktion angehören. Markenzeichen des Kreises ist schon seit Helmut Kohls Zeiten, daß es auf seinem Sommerfest die besten Bratwürstchen gibt. Damit ist Bedeutung des Parlamentskreises aber auch schon erschöpfend beschrieben. Erika Steinbach war Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und ist bekennende Konservative, dürfte aber dem Bundestag nach der Wahl 2017 nicht mehr angehören. 

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert die zum Berliner Kreis gehörende CSU-Abgeordnete Silke Launert, die sich aufgrund ihrer bayerischen Herkunft etwas mehr Kritik am Unionssystem herausnehmen kann: „Jeder, der hier sitzt, weiß, daß das bei ihm das Karriere-Ende ist. Nur nicht bei mir, ich bin in der CSU“, gibt das Blatt Launert wieder. 

Natürlich gibt es richtige Analysen in dem Papier des Berliner Kreises. Der „Hinweis, konservative Anhänger hätten ja keine Alternative zur Union, hat sich als schwerer Irrtum erwiesen.“ Das ist zweifellos richtig. Richtig ist auch noch die Aussage, daß die Modernisierung der CDU rechts von ihr „dauerhaft“ eine neue Partei schaffe. Aber die vertretene Annahme, nach dem Ausstieg des Lucke-Flügels sei die AfD 2015 „erledigt“ gewesen und nur durch die Flüchtlingspolitik noch hochgekommen, ist falsch. Wenn die AfD zerfallen wäre, wäre eine andere Bewegung entstanden. Der Widerstand gegen einen undemokratischen europäischen Zentralismus ist europaweit zu spüren. Und er wird auch in Deutschland stärker. In der Flüchtlingsfrage denken die meisten Deutschen so wie Polen, Tschechen, Ungarn und andere. Die europäischen Völker wollen sich auch nicht von Brüssel „harmonisieren“ lassen und haben das Gefühl, von anonymen Bürokraten in eine Zwangsjacke gesteckt zu werden. Dem Berliner Kreis fällt hierzu nur die Forderung nach einer Europäischen Union ein, „in der die Nationen erkennbar bleiben und der Großbritannien weiterhin angehört“. Ein schwächerer Ausdruck als „erkennbar bleiben“ läßt sich kaum noch finden.  

Geradezu aberwitzig sind die Aussagen des Kreises zur Finanzpolitik. Aus der Flutung Europas mit bald wertlosem Geld, aus der Abschaffung des Zinses und der dadurch drohenden Armut für viele Millionen von Menschen zieht der Kreis nur den Schluß, es müsse zu einer „Thematisierung der waghalsigen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank“ kommen.  Die Steuereinnahmen in der Bundesrepublik werden nach den Ergebnissen der jüngsten Steuerschätzung von derzeit 673,3 Milliarden Euro auf 808,1 Milliarden im Jahr 2020 steigen. Es wäre höchste Zeit, den Bürgern das Geld zurückzugeben. Wenn der Staat von jedem zusätzlich verdienten Euro mehr als die Hälfte einkassiert, ist das ungerecht. Dem Kreis fällt dazu nicht mehr ein als die Forderung nach „Abwehr von linken Forderungen nach Steuererhöhungen“. Die Energiewende mit ihrer Artenvernichtung, Landschafts- und Naturzerstörung wird mit keinem Wort erwähnt. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob das Papier nicht genausogut in der CDU-Zentrale hätte geschrieben werden können. 

Das Papier wird keine Diskussion in der CDU über den richtigen Kurs auslösen. Statt dessen werden lieber Scheindebatten geführt: „Wir müssen den Streit endlich überwinden“, forderte etwa Fraktionschef Volker Kauder zu Überlegungen in der Schwesterpartei CSU, einen eigenständigen Wahlkampf zu führen. „Dies würde der Union insgesamt mehr schaden als nützen“, sagte der frühere CSU-Chef Theo Waigel zum getrennten Wahlkampf. 

Einen Ausweg bot AfD-Vize Alexander Gauland den „Berliner Kreis“-Mitgliedern an. Statt nutzlose Brandbriefe an die Parteispitze zu verfassen, sollten die Mitglieder des Kreises lieber in die AfD eintreten, sagte Gauland, der dem Zusammenschluß vor seinem Wechsel zur AfD selbst angehört hatte. Dazu bedürfte es einer unter Berliner Politikern seltenen Charaktereigenschaft: Mut.