© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Die Aura ist längst verflogen
Filmdokumentation im Kino: Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst
Sebastian Hennig

Ihr Hobby war die Neugier“, schrieb Werner Fuld im Focus über die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim. Sie hat Männer und Kunst gesammelt. Während die Männer gingen, ist ihr die Kunst geblieben. Lisa Immordino Vreelands Film „Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst“ durchforscht eine Sphäre, in der Kunst modern und modisch ist und Mode bereits als Kunst aufgefaßt wird. Über ihre Großmutter ist Vreeland selbst dynastisch in dieser Szene verwurzelt. Sie hat für ihren Film mit der Guggenheim-Biographin Jacqueline Weld gesprochen. Aus deren Keller förderten sie die Tonspur eines vermißt geglaubten Interviews der Peggy Guggenheim zutage. Diese Äußerungen bilden die Grundlage des Films, der chronologisch eingeteilt ist.

1898 in New York City geboren, ist Peggy ein seltsames Mädchen schon in der Schule. Sie rasiert sich die Augenbrauen ab. Als sie dreizehn Jahre alt ist, kommt der geliebte Vater beim Schiffbruch der Titanic ums Leben. Er hinterläßt ihr ein, im finanziellen Maßstab der Familie, kleines Erbe. Sie lernt in einer Buchhandlung, bevor sie nach Paris geht. In London gründet sie eine Galerie statt eines Verlages, weil das billiger sein soll. Anderthalb Jahre läuft die Galerie „Guggenheim Jeune“. Marcel Duchamp ist ihr Berater, wahrscheinlicher aber der eigentliche künstlerische Direktor der Galerie. Als sie ihren Onkel Solomon in New York dazu bringen will, ein Kandinsky-Gemälde anzukaufen, erhält sie eine Abfuhr von der Leiterin seines Kunstmuseums, der Baronin Rebay, die auf sichere Werte setzt.

Die kalkulierte Aufwertung durch Plazierung gelingt Peggy Guggenheim mit Jackson Pollock, der als Schreiner am Museum ihres Onkels tätig war. Ihn und andere blasse Amerikaner nobilitiert sie in der Kunstwelt, indem sie diese mit dem Charme der europäischen Avantgarde verknüpft. Pollock glaubte sie zunächst gegenüber Piet Mondrian als undiszipliniert abtun zu müssen. Als der holländische Purist ihr darin widerspricht, ist ihre Aufmerksamkeit geweckt. Solche Details machen deutlich, daß sie weniger durch eigenes Urteil geleitet war, als vielmehr von dem Mut zur resoluten Aneignung fremder Wahrnehmungen.Der Film erzählt, wie eine geltungssüchtige Frau eine Kunstrichtung durchsetzt, für die überwiegend das gleiche gilt.

Nach Schließung ihrer Londoner Galerie kauft sie Bilder für ein Museum für moderne Kunst. Als sie bei Picasso vorstellig wird, schickt der sie weg mit der impertinenten Bemerkung, Damenwäsche gäbe es im fünften Stock. Mit Ausbruch des Krieges erwirbt sie jeden Tag ein Werk, so günstig wie noch nie. Die Künstler trennen sich in den unsicheren Verhältnissen bereitwillig und für wenig Geld von ihren Bildern.

Sie schafft es, ihre Bilder nach New York zu bringen, wo sie 1942 die Galerie „Art of This Century“ gründet. Der Bühnenbildner Friedrich Kiesler hat dafür ein Interieur mit seltsamen Pulten entworfen. Die Bilder hängen an Stangen und können vom Betrachter ins Licht gedreht werden. Über die Bilder selbst weiß Guggenheim im Gespräch wenig zu sagen, dafür um so mehr über deren Schöpfer. „Giacometti sah aus wie ein Löwe.“ Von Jackson Pollock sagt sie: „Er verspritzte die Farbe so akkurat, wie ein Cowboy sein Lasso wirft.“ Mit dem deutschen Surrealisten Max Ernst legt sie sich für eine Weile einen schönen Mann als Ehegatten zu. Der verläßt sie allerdings sobald er kann. Eine Guggenheim hat er gehabt, ein Stipendium nicht, heißt es im Film.

In vollen Zügen genießt sie ihre Triumphe als Kriegsgewinnlerin. Als sie die Sammlung nach dem Krieg in der Orangerie des Louvre ausstellt, erinnert sie daran, daß dessen Museumsleitung die verabredete Evakuierung ihrer Bilder mit der Begründung unterließ, diese seien dafür nicht wertvoll genug. Interessant wäre es für uns zu wissen, ob inzwischen die Bereitschaft gestiegen ist, für die Bergung einiger Bilder von Gerhard Richter und Andy Warhol, Gemälde von Raffael und Tizian zu gefährden.

Zur Biennale in Venedig stellt sie ihre Sammlung 1948 aus. Es ist eine jener großherzigen Leihgaben, die mit einer herzhaften Wertsteigerung für den Leihgeber ausgehen. Darin war sie eine Vorreiterin. Insgesamt hat sie über zwanzig Bilder von Jackson Pollock an Museen gegeben. Das war eine Investition, keine milde Gabe.

Ein weiteres Jahr später zieht sie in den Palazzo Venier dei Leoni. Wieder einmal hat sie günstig eingekauft. Von dem Palastfragment aus dem 18. Jahrhundert ist nur ein Drittel des Erdgeschosses fertiggestellt. Sie hat es stets verstanden, mit wenig etwas herzumachen. Bis an ihr Lebensende soll sie geizig gewesen sein, die Pasta auf ihren Partys miserabel und der Wein von der billigsten Sorte.

1969 überträgt sie ihre Sammlung der Guggenheim-Stiftung ihres Onkels. Zugleich werden die Bilder nun doch noch im „Parkhaus“ gezeigt, wie sie das verdrehte Museumsgebäude in New York nennt. Im Jahr nach ihrem Tod wird 1980 die Sammlung im Palazzo der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Besucher in Regenkleidung drängen sich am Eingang. Mit ihren elektronischen Ausstellungsführern am Ohr beschleichen sie die voll verglasten Ikonen der modernen Kunst, um etwas von deren Besonderheit zu erhaschen. Aber die Aura ist längst verflogen. Vieles an diesen Hervorbringungen ist an die Umstände und an die Person gebunden, wie an Peggy Guggenheim, die zuletzt selbst sagte: „Früher hat alles mehr Spaß gemacht.“