© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Alle Gewalt in einer Hand
Das geistliche und das weltliche Schwert des Islam: Demokratie ist der Zug, die Theokratie ist das Ziel
Konrad Adam

Es war Zufall, daß Michel Houellebecqs neuer Roman, der die Unterwerfung Frankreichs unter die Herrschaft des Islam schildert, in einer Zeit auf den Markt kam, als ein blutiger Anschlag mit mehr als hundert Toten das Land in Angst und Schrecken versetzte. Daß die Glaubenskrieger wahllos um sich schossen, war allerdings kein Zufall; daß sie es auf das kulturelle Herz des Abendlandes abgesehen hatten, auch nicht. Und ganz und gar kein Zufall war es, daß weder Hindus noch Buddhisten, sondern wieder einmal Moslems auf die Idee gekommen waren, für ihre Religion mit der Kalaschnikow in der Hand zu werben.

Gewiß, auch in der Bibel, zumal in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, gibt es Passagen, die vom martialischen Kampf gegen die Ungläubigen berichten. Einen Text wie die 47. Sure, die kurzerhand dazu aufruft, den Ungläubigen die Köpfe abzuschlagen, unter ihnen ein Gemetzel anzurichten, die Überlebenden zu fesseln und nur gegen ein hohes Lösegeld freizugeben, findet sich aber in der gesamten Bibel nicht – schon gar nicht im Neuen Testament, das von der Feindesliebe handelt. 

Die Flammenschrift an der Wand zu lesen, sind Literaten offenbar geübter als Politiker, Geistliche oder Soziologen. Schriftsteller sehen genauer hin, sie achten auf die kleinen Zeichen und nehmen auch die schwachen Mächte ernst. Houellebecq beweist sein Gespür für den labilen Zustand des Westens und das taktische Geschick der Moslems schon dadurch, daß es bei ihm keine Terroristen sind, die Frankreich zur Kapitulation zwingen, sondern Vertreter eines weichen, nachgiebigen, gesprächsbereiten Islam: eines Euro-Islam, wie er von den Multikulturellen propagiert und von den Machthabern im Nahen Osten bekämpft wird.

Die Bruderschaft der Muslime, die in Houellebecqs Roman die Macht ergreift, ist eine besondere Partei: „Sie interessiert sich nicht für die üblichen politischen Streitereien, vor allem ist die Wirtschaft für sie nicht der Kern aller Dinge. Für sie sind Demographie und Bildung wesentlich. Die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Geburtenrate, diejenige, die ihre Werte durchsetzen kann, gewinnt – so einfach ist das in deren Augen. Wer die Kinder unter Kontrolle hat, der hat die Zukunft unter Kontrolle – und damit Schluß.“ Deswegen müssen alle Lehrer Moslems sein, die Mensen haben die muslimischen Speisevorschriften zu beachten, der Stundenplan muß die Gebetszeiten berücksichtigen, und so weiter. Wer wissen will, wie weit der Islam damit gekommen ist, sehe sich in deutschen Kindergärten, französischen Schulen und englischen Universitäten um.

Während ihm die Taktik der Muslim-Bruderschaft eine Art widerwilligen Respekt abnötigt, findet Houellebecq für deren Koalitionspartner, die Sozialistische  Partei, nur Worte der Verachtung. Ihr Vorsitzender wird als ein Trottel dargestellt, dessen politischer Ehrgeiz über den Wunsch, irgendein hohes Amt zu ergattern, nie hinausgekommen ist. Er predigt einen verwaschenen Humanismus und spielt sich zum Friedensstifter im Dialog der Religionen auf. François Hollande ist als Vorbild unverkennbar, in Deutschland würde man an Figuren wie Martin Schulz und Sigmar Gabriel, Katrin Göring-Eckardt oder Heinrich Bedford-Strohm denken. 

Man muß diese Reihe nur fortschreiben, sie um die Namen von Wirtschaftsprofessoren, Verbandspräsidenten und Chefredakteuren ergänzen, um eine Vorstellung von der Nomenklatura zu erhalten, die in Europa den Ton angibt: eine neue, abgehobene, gut vernetzte Schicht, die sich zur Herrschaft, zum „Durchregieren“, wie Frau Merkel das nennt, berufen fühlt. Die nicht begreifen kann, daß sich das Volk, der große Lümmel, dagegen wehrt, über den Tisch gezogen zu werden, und sich darüber wundert, daß es die Bürger mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie erfahren, daß die Regierung das Land bis zu Unkenntlichkeit verändern will.   

Um das Gesindel in Schach zu halten, bemüht diese Obrigkeit den Grundsatz der Religionsfreiheit, die zu beschützen Aufgabe des Staates sei. Als ob der Islam vom Staat als unabhängiger Instanz dieselben Vorstellungen hätte wie das Christentum! Die Geschichte vom Zinsgroschen, in der Jesus die Gläubigen mahnt, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott zu geben, was Gottes ist, macht doch hinreichend klar, daß das Christentum von allem Anfang an nicht nur eine, sondern zwei Gewalten kannte, die Anspruch auf Gehorsam hatten. Die überaus folgenreiche Lehre von den zwei Reichen und den beiden Schwertern ist dem Christentum inhärent, sie befeuerte den Investiturstreit, begründete den Religionsfrieden und fand schließlich, auf der Grundlage von Aufklärung und Säkularisation, den Weg ins Grundgesetz.

Im Islam findet sich nichts davon. Als Nachfolger des Propheten führten die Kalifen beide Schwerter, das geistliche und das weltliche; der Sultan tat es ihnen nach, wenn er beim Aufbruch zu einem seiner zahlreichen Eroberungskriege die grüne Fahne des Propheten vor seiner Residenz, dem Topkapi-Palast in Istanbul, aufpflanzen ließ. Ebenso wenig wie das saudische Königshaus haben die Ajatollahs im Iran jemals dem Anspruch entsagt, das Diesseits nach den Vorschriften des Jenseits einzurichten. Beide Länder sind Theokratien und folgen damit den Lehren des Koran.

Erdogan, der sich als Nachfolger des Sultans sieht, tut das auch. Zur Zeit ist er damit beschäftigt, die von Atatürk verfügte Trennung von geistlicher und weltlicher Macht rückgängig zu machen. Als er 1997 vor Tausenden seiner Anhänger, einen Vordenker des türkischen Nationalismus zitierend, die Demokratie den Zug nannte, auf den sie aufsprängen und mitführen, bis sie am Ziel wären, da war er grundehrlich. Aber weil die Deutschen ein Volk sind, das die Erfahrung dumm macht, hat Angela Merkel nicht etwa ihre europäischen Nachbarn, sondern den Sultan von Ankara zu ihrem bevorzugten Geschäftspartner erwählt. 

Europa ist dabei, sich von einer Kultur bereichern zu lassen, die alle Gewalt in einer Hand vereint; die Grundrechte nicht für angeboren, sondern für ein Geschenk Allahs hält; die in der Scharia die wichtigste Quelle für Gesetzgebung und Rechtsfindung erkennen will. Wichtigste Quelle: das erinnert an die „führende Rolle“, die die KP beansprucht und durchgesetzt hatte. Die nette Floskel diente ihr als Basis für ihren unbegrenzten Machtanspruch – und wurde sofort gestrichen, als die Osteuropäer ihre Freiheit zurückgewonnen hatten. Sie wußten, daß führende Rollen und wichtigste Quellen weitere Rollen und andere Quellen ausschließen. Die Westeuropäer, die Deutschen voran, wollen davon nichts wissen.

So daß am Ende Hegel recht behält, der meinte, das einzige, was man aus der Geschichte lernen könne, sei die Erfahrung, daß man noch nie etwas aus ihr gelernt habe.