© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Pankraz,
das Pfingstfest und der böse Populismus

Ohne blasphemisch zu werden, könnte man Pfingsten als das Fest des Populismus bezeichnen. Jesus ist am Kreuz gestorben und mehr noch: sein Wiederauferstehen aus dem Grab und sein erneutes Erdenwandeln sind ebenfalls schon wieder Vergangenheit. Der Messias ist „zum Himmel aufgefahren“, und alles, was er hinterlassen hat, sind Versprechungen. Nun sitzen die Apostel und ihre verbliebenen Anhänger beisammen und sind ratlos, müssen zudem schlimme Verfolgungen fürchten.

Reale Gegenwart Gottes haben sie nicht mehr zu bieten, sie hat sich in Transzendenz und Hoffnung aufgelöst. Und selbst um kraftvolle, die Hoffnung stützende Symbolik ist man verlegen, denn Jesus hat fast gar keine Symbole seiner Herrlichkeit hinterlassen, er war ein schnell verwehender Gast auf Erden, ein Wanderprediger, der keine mächtigen Reiche und nicht einmal Tempel oder heilige Haine oder Liturgien schuf. Es gibt von ihm nur Lehren, Predigten, Gleichnisse.

Aber da passiert folgendes: Ein gewaltiger Blitz zuckt vom Himmel hernieder, und auf die Köpfe der Apostel lassen sich „feurige Zungen“ nieder. Das heißt, die Apostel können plötzlich wahrhaft „zum Volk“ sprechen, beherrschen nicht nur jede Sprache, die gerade notwendig ist, sondern kennen auch jeden Winkel in der Mentalität ihrer Zuhörer, von welchem Volk auch immer, gehen voll auf sie ein. Vox populi, die Sprache des Volkes, wird identisch mit der vox Dei, der Sprache Gottes.


Die feurigen Zungen auf den Köpfen der Redner verschwanden schnell wieder, doch die Einheit von vox populi und vox Dei blieb und hieß künftig „der Heilige Geist“. Heute heißt sie, nicht nur bei regierenden Politikern und Mainstream-Journalisten, sondern auch bei  vielen christlichen, vor allem protestantischen Theologen, „Populismus“, genauer: „Rechtspopulismus“, und gilt als hochgefährlich. Wen man auch bei schlimmstem Willen nicht als „Nazi“ oder Rechtsextremisten hinstellen kann und trotzdem fertigmachen will, dem verpaßt man das Etikett „Rechtspopulist“.

Einige übereifrige Protestanten behaupten sogar, die Pfingstgeschichte samt ihrer „vox populi, vox Dei“ sei genuin unchristlich, ein heidnisch-antikes Einsprengsel im Neuen Testament und sollte von der modernen Theologie peu à peu daraus entfernt werden. Daran ist immerhin soviel wahr, daß der Glaube an die Heiligkeit und politische Wichtigkeit der vox populi tatsächlich nicht vom Christentum erfunden wurde. Seine Wurzeln reichen tief in die antike Tradition, ja bis in die Urgeschichte hinein und waren von Anfang an ein mächtiger Stolperstein gerade für demokratisch gesinnte Politiker.

Schon Homer ermahnte seinen Odysseus, er solle bei seinen herrschaftlichen Entscheidungen unbedingt auf die Stimme des Volkes hören, nur so werde er das Wohlwollen der Götter erlangen und Erfolg haben. Und der gelegentlich recht spöttische und götterskeptische Seneca (1 bis 65 n. Chr.) formulierte dann den entscheidenden Satz, der durch die Zeiten hindurch immer wieder zitiert wurde und wohl auch die Autoren des Neuen Testaments und ihre Apostelgeschichte beeinflußt hat: „Crede mihi, sacra populi lingua est.“  Auf deutsch: „Glaube mir, die Sprache des Volkes ist heilig.“

Natürlich meldeten sich auch die Skeptiker zu Wort, hochgelehrte Empiriker wie Cicero, die auf die Launenhaftigkeit und den Kurzblick des Volkswillens verwiesen, seine Verführbarkeit. Schon früh wurde gewarnt, daß eine gute Herrschaft sich nicht von bloßen Stimmungen leiten lassen dürfe, sondern einzig von der Stimme der Vernunft. Und zur Vernunfteinsicht seien nun mal geistige Eliten notwendig, die folglich an die Spitze von  Entscheidungsgemeinschaften gehörten und denen man Handlungsspielraum einräumen müsse.


Freilich, Verhöhnungen der vox populi, etwa im Stil moderner TV-Satiriker, gab es in der Antike und im frühen Christentum, soweit Pankraz sieht, nicht. Die satirische englische Redeweise „Vox populi, vox Halfpenny“ stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert und unser deutsches „Vox populi, vox Rindvieh“ gar erst aus dem zwanzigsten. Geprägt wurde es 1918 von dem aristokratischen Reichstagsabgeordneten Elard von Oldenburg-Januschau, der sich später sehr dafür schämte und das Wort seinem Fraktionskollegen Friedrich von Wrangel in den Mund schieben wollte.

Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat den Spruch, wie man sich erinnern wird, ebenfalls einmal voller Ärger verwendet. Er hatte daraufhin ziemliche Schwierigkeiten, seinen Ausbruch gegenüber empörten Wählern zu erklären. Er habe nicht das Volk gemeint,  sagte er, sondern einige Bürger der BRD, die sich – mit massiver medialer Verstärkung – anmaßten, „im Namen des Volkes“ zu sprechen. Die Entschuldigung klang faul, und der Ausbruch wurde Strauß von seinen Stammwählern nie verziehen.

So ändern sich halt die Zeiten. Inzwischen hißt jeder Redaktionsvolontär, sobald man ihn ans Beiträgeliefern heranläßt, sofort die schwarze Flagge des „Rechtspopulismus“, weil der das schlimmste aller Übel sei und gnadenlos bekämpft werden müsse. Jede seriöse Diskussion darüber, was Volksherrschaft eigentlich bedeutet, was sie leisten kann und was nicht, wird rigoros mit dem Schimpfwort „Populismus“ zugedeckt und dadurch, so hofft man, zum Verstummen gebracht.

Ist die alle vier oder fünf Jahre für den einzelnen anfallende Möglichkeit, in der Wahlkabine sein Kreuz unter den Namen einer Partei zu setzen, wirklich das A und O jeglicher Volksherrschaft? Oder bedarf es bei ganz großen anfallenden Entscheidungen, nach Schweizer Vorbild, extra einer direkten Volksabstimmung? „Auf gar keinen Fall!“, tönt es aus den Medien. Und die Schweiz? Die ist ja, erfahren wir aus den Medien, selber ein rechtspopulistisches Land geworden. Nieder mit der Schweiz! 

Aber vielleicht hatte der unvergessene Ralf Dahrendorf doch recht. Ein Populist, definierte er, „ist nichts weiter als ein populärer Konkurrent, dessen Programm man nicht mag“.