© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Sorgen der Bürger steigen rasant
Wohnungseinbrüche auf Rekordniveau: Aktuelle kriminologische Studie analysiert Ermittlungen und Resultate / Nur knapp drei Prozent der Täter werden verurteilt
Heiko Urbanzyk

Der Schleswig-Holsteinische  Richterverband drückte den Alarmknopf. Nun sei „dringend geboten, ein wirksames Konzept zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität auf Landesebene zu entwickeln“, erklärte der Verband in einer Stellungnahme zum Bericht der Landesregierung. Die „viel zu niedrige Aufklärungs- und Überführungsquote in diesem Deliktsbereich“ habe in „Verbindung mit der hohen Opferrelevanz eine massive Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls ausgelöst, kritisierte der Verband und unterstrich: Auch ihn hätten Nachrichten von Bürgern erreicht, die eine „tiefe Sorge um die Sicherheit ihres engsten Privatbereichs äußern und dies an unzureichenden Maßnahmen von Polizei und Justiz festmachen“.

Wohnungseinbrüche auf Rekordniveau

Die Zahlen des Regierungsberichts zur Einbruchskriminalität  sprechen für sich: Während die Zahl der Einbrüche im vergangenen Jahr von 7.529 (2014) auf 8.456 anstieg, sank die Aufklärungsquote von 12,6 Prozent im Jahr 2014 auf 8,9 Prozent. Damit, so das Onlineportal shz.de, liege Schleswig-Holstein im Vergleich der Flächenbundesländer auf einem der letzten Plätze bundesweit. Die vom Landeskriminalamt Schleswig-Holstein durchschnittlich pro Einbruch ermittelten Schäden von 4.000 Euro führten zu einem Gesamtverlust von knapp 34 Millionen Euro.

Ähnlich sehe es in Niedersachsen aus, so der polizeipolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Thomas Adasch. Auch hier sei die Zahl der Wohnungseinbrüche im vergangenen Jahr erneut um 13,1 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sei die Aufklärungsquote auf 22,2 Prozent abgesunken.

Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist einem Bericht der Tageszeitung Welt zufolge, die sich auf die noch nicht veröffentlichte bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik 2015 beruft, im vergangenen Jahr um rund zehn Prozent auf gut 167.000 Fälle gestiegen. Besonders drastische Anstiege seien in Hamburg (plus 20,2 Prozent), Nordrhein-Westfalen (plus 18,1 Prozent) und Niedersachsen (plus13,1 Prozent) zu verzeichnen gewesen.

Vor diesem Hintergrund hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) in den vergangenen drei Jahren die polizeiliche Ermittlungspraxis sowie nachfolgende Entscheidungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten einer wissenschaftlichen Studie unterzogen. 

Die steigenden Fallzahlen, so das KFN, hätten es nötig gemacht, das Delikt des Wohnungseinbruchdiebstahls sowie den Verlauf der Ermittlungs- und Strafverfahren in den Blick zu nehmen. Die Zunahme der Einbrüche sei besonders dynamisch und im Vergleich zu anderen Deliktstypen besonders untypisch. Nach einer Hochzeit im Jahr 1993 (227.090 Einbrüche) sei die Zahl nach einem Rückgang bis zum Jahr 2006 (106.107 Fälle) bis 2014 (152.123 Fälle) wieder deutlich gestiegen. 

Die Dramatik des Anstiegs verdeutlicht der Vergleich zwischen dem am stärksten anwachsenden Delikt des Wohnungseinbruchs mit dem Platz zwei der zunehmenden Delikte, den Betäubungsmittelstraftaten. Während die Zahl der Einbrüche zwischen 2006 und 2014 um 46 Prozent gestiegen sei, sei bei den Betäubungsmitteldelikten weit abgeschlagen eine Zunahme um 10,6 Prozent zu verzeichnen. Diebstahlsdelikte ohne Zusammenhang mit Einbrüchen seien sogar rückläufig. 

Daß sich Straftäter mit Wohnungseinbrüchen auf der sicheren Seite fühlen, belegen die weit unterdurchschnittlichen Aufklärungsquoten. Während im Jahr 2014 von sämtlichen Straftaten 54,9 Prozent aufgeklärt werden konnten, lag die Aufklärungsquote für Einbrüche im selben Jahr bei nur 15,9 Prozent. 

Lange Wege von der Tat bis zum Gerichtssaal

Das „diffuse Unsicherheitsgefühl“ der Bürger erhält durch das KFN eine statistische Bestätigung. Auf die Opfer der Einbrüche, die tagsüber meistens nicht zu Hause sind oder nachts in nicht betroffenen Räumen schlafen, hinterläßt ein Einbruch (oder gar mehrere) bleibenden psychischen Eindruck. Insbesondere Frauen, die sich nicht mehr trauen, ihren Keller oder die Garage alleine zu betreten sind nach praktischer Erfahrung die Folge. Zeuginnen, die dem Täter längst nichts Böses wollen, brechen vor Gericht in Tränen aus, wenn sie einem angeklagten Einbrecher entgegentreten und ihre Wahrnehmungen der Tatumstände schildern müssen.

Bis das Opfer einem Täter im Gerichtssaal gegenübertreten kann, ist es ein langer Weg. Die KFN-Studie analysiert diesen von der Ermittlungsarbeit der Polizei über die staatsanwaltschaftliche Entscheidung bis zum Urteil – falls es zu einem Urteil überhaupt kommt. Untersucht wurde in den Städten Berlin, Bremerhaven, Hannover, München und Stuttgart. In den östlichen Bundesländern, wo die Aufklärungsquote vergleichsweise höher ist als im Westen, fand sich keine Stadt mit geeigneter Größe zur Mitarbeit bereit. Die Nachzeichnung der Ermittlungs- und Strafverfahren erfolgte durch Aktenanalyse echter Fälle.

Die Täter kommen entweder durch die Tür oder die Fenster in die Wohnungen, das hält sich laut KFN-Studie die Waage. In mehr als der Hälfte aller Fälle wurde die Tür aufgehebelt. An zweiter Stelle erfolgt das Entriegeln von innen durch Briefschlitze, Katzenklappen und offene Fenster. Wert des durchschnittlichen Stehlgutes pro Tat: 6.000 Euro.

Es dauert laut KFN-Studie durchschnittlich 63 Tage vom ersten Tag der polizeilichen Ermittlung, bis ein Staatsanwalt die Akte auf den Tisch bekommt. In knapp 95 Prozent aller Fälle hat die Polizei die Ermittlungen abgeschlossen. Verschwindend gering ist der Anteil der Akten, die der Staatsanwaltschaft erstmals vorgelegt werden, um einen Haftbefehl gegen Tatverdächtige zu beantragen.

Der Durchschnittstatverdächtige der KFN-Studie: 28 Jahre alt, zu mehr als 80 Prozent männlich, ledig, vorbestraft, arbeitslos und ohne Schulabschluß. Zu knapp über 50 Prozent ist er in Deutschland geboren und deutscher Staatsangehöriger. Die Autoren der Studie weisen aber auf signifikante regionale Unterschiede hin. Während in einer Stadt 75 Prozent der Verdächtigen deutsche Staatsbürger waren, waren es in einer anderen nur 26 Prozent. Unter den Nichtdeutschen waren die Türken, Serben und Rumänen am häufigsten vertreten. Den Autoren der Studie fiel auf, daß viele der türkischen Verdächtigen in Deutschland geboren wurden. 

 Bürger sollen der Arbeit der Polizei mehr vertrauen 

Eine persönliche Beziehung des Tatverdächtigen zum geschädigten Haushalt ist nicht selten: Freunde, Bekannte, Verwandte, frühere Lebenspartner und vom Sehen her bekannte Nachbarn machen zwischen 25 und 56 Prozent der Tatverdächtigen aus. 

Die Quote der bereits im Ermittlungsverfahren anwaltlich vertretenen Verdächtigen, die später rechtskräftig verurteilt oder mit Strafbefehl sanktioniert wurden, ist laut KFN deutlich höher als bei den nicht anwaltlich Vertretenen. Bei den anwaltlich Vertretenen gehen die Autoren daher von einem stets höher begründeten Tatverdacht aus.  

Ein Tatverdächtiger ist jedoch noch lange kein Täter und erst recht kein Verurteilter: Letztlich wurden in den untersuchten Fällen 80 Prozent aller Ermittlungsverfahren gegen konkrete Tatverdächtige bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. 81 Prozent davon, weil eine Verurteilung nach der Beweislage wenig wahrscheinlich schien (kein hinreichender Tatverdacht). In rund zwölf Prozent, weil es sich bei den Einbrüchen nur um unwesentliche Nebenstraftaten handelte, die Verdächtigen also – untechnisch gesagt – noch weit mehr auf dem Kerbholz hatten, das ohnehin schon zu einer empfindlichen Bestrafung führen würde. Ein verschwindend geringer Teil wurde aufgrund Geringfügigkeit, längerer Abwesenheit des Beschuldigten oder weil bereits erzieherische Maßnahmen bei jugendlichen Verdächtigen eingeleitet wurden, eingestellt.

Die übrigen knapp 20 Prozent der Verfahren wurden weitergeführt. In fünf Prozent dieser Verfahren kam es zum Strafbefehl, im Rest zur Anklage. 97 Prozent der Anklagen wurden vom Gericht zur Hauptverhandlung zugelassen. 82 Prozent der Angeklagten wurden schließlich verurteilt, rund sieben Prozent freigesprochen, bei rund zehn Prozent kam es zur Einstellung (zumeist wegen Geringfügigkeit, an zweiter Stelle gegen Auflagen oder weil die Tat sich als unwesentliche Nebenstraftat erwies).

Die Verurteilungen stützten sich in 85 Prozent der Fälle auf Geständnisse. In 25 Prozent der Verurteilungen waren zudem Zeugenaussagen entscheidungserheblich. In nur zehn Prozent waren die zuvor aufwendig ermittelten Spuren urteilstragende Beweismittel.

Was heißt das in Zahlen? Aus 2.403 durch das KFN analysierten Wohnungseinbrüchen wurden in nur 2,6 Prozent der Fälle am Ende auch Täter verurteilt. Der polizeipolitische Sprecher der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion  kommentierte die Ergebnisse der Studie des in Hannover ansässigen KFN: „Diese Zahlen sind für die Opfer von Einbruchskriminalität niederschmetternd.“ 

Der steigenden Einbruchskriminalität will die rot-grüne schleswig-holsteinische Landesregierung nicht nur mit der Erhöhung des Verfolgungsdrucks auf einschlägige Täter und Tätergruppen begegnen. Vor allem jedoch seien die Aufmerksamkeit der Bürger, ihre „Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Polizei und ihr Vertrauen in die Fähigkeiten der Polizei, wesentliche Bausteine sowohl bei der Verhinderung als auch bei der Aufklärung von Einbrüchen.

Balkanbanden bilden Spitze des Eisbergs

Dies will der Schleswig-Holsteinische Richterverband so nicht stehenlassen.  „Wir vermissen eine Integrierung der Justiz in das von der Landesregierung  vorgelegte Konzept“, so der Verband. Es könne nicht ausreichen, nur den polizeilichen Bereich in den Blick zu nehmen. Es liege zudem auf der Hand, daß sowohl das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als auch die Bekämpfung des gesamten Deliktsbereichs nicht unwesentlich von einem Funktionieren der Justiz und insbesondere von einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Justiz im Zusammenhang stehe. Dagegen forderte der Vorsitzende des Landesverbandes des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Stephan Nietz, Angaben des Onlineportals shz.de zufolge, ein härteres Vorgehen der Justiz insbesondere gegen Einbrecherbanden: „Haft erscheint hier als Mittel der Wahl unerläßlich. So zeigt die Vergangenheit, daß Angehörige internationaler Gruppierungen, die beweiskräftig als Täter eines Wohnungseinbruches ermittelt wurden, für diese Taten nahezu niemals zur Rechenschaft gezogen wurden, wenn sie nicht aufgrund von (U-)Haft im Zugriff der Justiz waren.“ 

Innenminister Stefan Studt (SPD) präzisierte: „Die Zahlen zeigen, daß einige wenige Zuwanderer vom Balkan maßgeblich für den Anstieg im Bereich der Wohnungseinbrüche verantwortlich sein dürften.“ Bei diesen Gruppen bewirkten die „herkömmlichen Mittel des Strafrechts und der professionellen polizeilichen Sachbearbeitung“ jedoch „keine Reduzierung der Fallzahlen“. 

Foto: Einbruch am hellichten Tag: Straftäter fühlen sich mit Wohnungseinbrüchen auf der sicheren Seite