© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

„Ein Kompromiß ist inakzeptabel“
TTIP-Abkommen: Die von Greenpeace veröffentlichten Dokumente offenbaren, daß die Verhandlungspositionen von EU und USA noch weit auseinander liegen
Thomas Fasbender

Der Streit um die durchgesickerten Verhandlungsdokumente zur Trans­atlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) dauert an. Vorige Woche räumte die Berliner Polizei wegen „fehlender Genehmigungen“ einen gläsernen Container, den Greenpeace unweit des Reichstags aufgestellt hatte. In dem improvisierten Leseraum lagen jene 248 Seiten, die der niederländische Ableger des Umweltverbandes am 1. Mai zugänglich gemacht hatte (JF 19/16).

Seit dem Beginn der geheimen TTIP-Verhandlungen zwischen Washington und Brüssel Mitte 2013 wird deren Mangel an demokratischer Legitimation kritisiert. Waren laut einer Bertelsmann-Umfrage 2014 noch 55 Prozent der befragten Deutschen für TTIP, so sind es nun nur noch 17 Prozent, in den USA sogar nur 15 Prozent (JF 18/16).

Bundestagsabgeordnete konnten sich erst seit Februar in einem streng bewachten Leseraum im Bundeswirtschaftsministerium mit den TTIP-Dokumenten vertraut machen. Das Anfertigen von Kopien oder Abschriften war verboten, Mobiltelefone mußten abgegeben werden. Verboten war auch, öffentlich über den TTIP-Inhalt zu sprechen. Was verraten nun die rund 75 Prozent der Dokumente mit den unterschiedlichen Positionen der USA und Europas? Vor allem vier Bereiche sehen die Kritiker mit großem Unbehagen:

? Die Ausnahmeregeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens Gatt aus dem Jahr 1947, eine Art TTIP-Vorgänger, wird es in dem neuen Vertragswerk nicht mehr geben. Ihnen zufolge darf ein Staat zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen oder auch zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze auch abweichende Bestimmungen erlassen.

Die Interessen von Großkonzernen vorrangig?

? Gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 kann der internationale Handel auch Gegenstand von Beschränkungen mit dem Ziel der CO2-Reduktion sein. In den TTIP-Dokumenten findet sich zum sogenannten Klimaschutz kein Wort.

? In den EU-Verträgen gilt das Prinzip der Risikovorsorge. Es gebietet, bei unvollständigem Wissen hinsichtlich von Umwelt- und Gesundheitsgefahren von vornherein so zu handeln, daß diese vermieden werden. Im Rahmen der TTIP-Verhandlungen drängen nun die USA darauf, das Prinzip der „Risikovorsorge“ durch „Risikomanagement“ zu ersetzen.

? Beide Parteien lassen zu, daß Konzerne und Unternehmen künftig eine wesentlich größere Bedeutung bei der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsfindung zukommt.

„Für TTIP sind die Interessen der Unternehmen vorrangig“, warnt Jorgo Riss, Direktor der europäischen Greenpeace-Organisation. Umwelt und Gesundheit folgten erst mit deutlichem Abstand. Sei man sich zuvor im klaren gewesen, daß die Verhandlungspositionen der Europäer „schlecht“ seien, so wisse man jetzt: „Die der USA sind noch viel schlimmer.“ Für Riss wäre ein Kompromiß der beiden „inakzeptabel“. 

Auch die TTIP-Befürworter in Politik und Wirtschaft wissen, daß die Verhandlungspositionen noch weit auseinander liegen: So wollen die Amerikaner Exporterleichterungen für die Autobranche davon abhängig machen, daß die EU mehr Agrarprodukte kauft. Im Zentrum steht zudem das Thema Investitionsschutz. Dabei sollen Unternehmen gegen einen Staat, von dem sie sich ungerecht behandelt fühlen, vor privaten Schiedsgerichten (ISDS) klagen können. Ursprünglich wurde das Instrument zum Schutz von Investoren vor diktatorischer Willkür entwickelt. Warum soll es nun bei TTIP, einem Abkommen rechtsstaatlich geprägter Länder, zur Anwendung kommen? Vielleicht weil ISDS ein lukratives Geschäftsmodell ist?

Hebel für die umstrittene Fracking-Technologie?

Ein Beispiel: Uruguay verhängte 2006 ein Rauchverbot für öffentliche Gebäude, ließ Zigarettenpackungen mit Warnbildern bedrucken, erhöhte massiv die Tabaksteuer und verbot, identische Zigaretten unter mehreren Markennamen zu verkaufen. Seither prozessiert die Schweizer Tochter von Philip Morris gegen den uruguayischen Staat. Sie verlangt von den dortigen Steuerzahlern mehrere Milliarden US-Dollar Schadenersatz. Warum ausgerechnet die Schweizer Philip Morris? 1998 haben die Schweiz und Uruguay ein Investitionsschutzabkommen unterzeichnet, das derartige Prozesse erlaubt. Der Ausgang ist weiterhin ungewiß. Um nach dem TTIP-Leak nun zu retten, was zu retten ist, haben Befürworter aus Italien oder Österreich nun ein „TTIP light“ vorgeschlagen – ohne strittige Themen wie ISDS, Kultur oder Finanzmarkt.

Unbehagen ruft auch der Abschnitt Energiepolitik hervor. In Deutschland, wo die Vorbehalte gegenüber Fracking – dem hydraulischen Aufbrechen von Öl- und Gaslagerstätten – besonders ausgeprägt sind, stößt die Aussicht, unter US-Druck die Fracking-Technologie zulassen zu müssen, auf Widerstand. Der mittelständische Verband der Privaten Brauereien protestierte kürzlich zusammen mit Naturschützern für ein – vom Bundestag abgelehntes – Fracking-Verbot.

Die umstrittene Methode trieb die Öl- und Gasförderung in den USA zu neuen Rekorden. 2010 wurde im Wa­shingtoner Außenministerium die Global Shale Gas Initiative installiert, die den Export der Fracking-Technik fördern soll. 2012 schrieb ihr Leiter in der New York Times, der Fracking-Boom werde es möglich machen, Fracking-Gas aus den USA nach Europa zu exportieren. Anfang 2016 wurde dann das jahrzehntelange Exportverbot von Rohöl und Flüssiggas aufgehoben. Die USA setzen bei den TTIP-Verhandlungen auf Sieg.

TTIP-Daten von Greenpeace Niederlande: www.ttip-leaks.org