© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Hilflos am Rathausplatz
Österreich: Kanzler Faymanns Rücktritt offenbart tiefe Risse in der Großen Koalition / FPÖ fordert Neuwahlen
Verena Inauen

Werner, der Kurs stimmt!“ Ein am 1. Mai oft ausgesprochenes Credo der Genossen in der SPÖ. Keine 200 Meter vom feierlichen Arbeiterhochamt am Wiener Rathausplatz gab sich an diesem Tag allerdings auch die SP-Parteijugend ein Stelldichein. Mit dem erklärten Ziel, das eigene Parteioberhaupt zu demontieren. Weil der abtretende Bundeskanzler immer mehr Wähler in Richtung konservativer Parteien verlor, verhärtete er im Asylchaos der vergangenen Monate seinen Zuwanderungskurs. Dies sollte ihm vor allem beim Nachwuchs teuer zu stehen kommen. Dieser zwang schließlich den SP-Vorstand nach der desaströsen Wahlniederlage um das Amt des Bundespräsidenten zu einem verfrühten Bundesparteitag am 9. Mai.

Auf EU-Ebene winken bereits neue Aufgaben 

Noch am Sonnabend vergangener Woche erachtete es SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil für notwendig, bei den Sozialdemokraten zwar eine inhaltliche Debatte zu führen. Eine personelle Veränderung schloß er jedoch aus: „Werner Faymann ist unser gewählter Vorsitzender und er ist unser Regierungschef. Gerade in schwierigen Zeiten verdient er Unterstützung. Zusammenhalt und Solidarität sollten wir uns nicht nur politisch auf die Fahnen heften, sondern wir sollten das auch innerhalb der Partei leben.“ Keine 48 Stunden später legte der 56jährige seine Funktionen als Kanzler und Parteivorsitzender nieder. Es war vor allem der geringe Rückhalt in seiner eigenen Partei, der Faymann zu diesem Schritt bewog. 

Die Gründe hierfür wurden allerdings schon vor Jahren gelegt. Während sich die Oppositionsparteien für eine klare Linie entschieden, wollte die SPÖ alle Eisen im Feuer behalten. Eine zu weite Ausrichtung nach links hätte Stammwähler eingeschüchtert, und bei einem Abrücken nach rechts wären Jungwähler zu den Grünen übergelaufen. Diese unsichere Haltung äußerte sich schließlich auch in Krisenzeiten wie der unkontrollierten Zuwanderung im vergangenen Sommer. Während eine breite Basis der Partei die kategorische Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der stark wachsenden FPÖ streichen wollte, zeigte die Führungsspitze für den Geschmack der jungen Mitglieder zuwenig Willkommenskultur. 

Ein Punkt den sich der Kanzler jedoch in seiner Abschiedsrede nicht schlechtreden lassen wollte: „Österreich hat auch etwas geleistet, Österreich hat mehr als neunzigtausend Menschen ein Asylrecht gegeben.“

Nach der offiziellen Verkündung stellte er bei Wolfgang Fellner, Inhaber der Gratiszeitung Österreich und glühender Unterstützer, allerdings schon eine politische Mitarbeit auf EU-Ebene in Aussicht. Diese sei ihm angeblich in der Vergangenheit mehrfach angetragen worden. 

Häme gab es nicht nur von dem ebenfalls nicht vor Kraft strotzenden Koalitionspartner ÖVP, der nach Angaben der Funktionäre diesen Tag schon lange herbeigesehnt hatte. Auch die eigenen Genossen wie der Salzburger Landesparteiobmann Walter Steidl und Vorarlbergs SP-Chef Michael Ritsch übten bereits im Vorfeld heftige Kritik und forderten eine „junge und kompetente Persönlichkeit“. Entsprechend zurückhaltend gab sich der interimistische Nachfolger: Wiens Bürgermeister Michael Häupl, Ziehvater des ehemaligen Wohnbaustadtrates Faymann. 

 „Die freiheitlichen Neuwahlanträge liegen im Nationalrat“ – nun sei es nur an SPÖ oder ÖVP, diese zu unterstützen“, erklärte süffisant FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Das Chaos, das diese Regierung permanent erzeuge, sei den Österreichern schon lange nicht mehr zumutbar. Neuwahlen seien der einzige Ausweg aus der Dauerkrise, unter der Österreich „‘dank’ SPÖ und ÖVP leide“.