© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Gesinnung ist wichtiger als Geist
Kirchen: Während in Glaubensfragen immer mehr relativiert wird, ist die Toleranz gegenüber politischen Überzeugungen deutlich geringer
Gernot Facius

Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat in seinem Bändchen „Kirchendämmerung“ einen Katalog von Kardinal-Untugenden protestantischer und katholischer Amtsträger zusammengetragen. Er geißelte unter anderem Sprachlosigkeit, Selbstherrlichkeit und Sozialpaternalismus: „Der autoritäre, oft auch besserwisserische Habitus, mit dem manche Bischöfe in den öffentlichen politischen Streit intervenieren, paßt schlecht zu einem demokratischen Diskurs, der gemäß der gleichen Freiheit aller Bürger auf eine gemeinsame offene Suche nach den besten Lösungen hinausläuft.“ Der Münchner Emeritus argumentiert dabei von eher liberaler Warte.

Konservative sorgen sich um Fundamente des Glaubens  

Doch so unrecht hat er mit seiner Analyse nicht. Grafs Sündenliste wäre zu Pfingsten des Jahres 2016 noch um die Untugend des moralischen Imperialismus zu ergänzen, die sich in Teilen des kirchlichen Establishments breitmacht - und wegführt von der Bedeutung dieses Hochfestes der Herabkunft des Heiligen Geistes, von der Lukas in der Apostelgeschichte erzählt. „Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen.“ 

Daraus hat einst die junge Kirche ihre Lebenskraft geschöpft. Dieses Fest, erfährt man jedes Jahr aufs neue, ist den Menschen fremd geworden. Selbst die Geistlichkeit tut sich schwer, die Vision von Pfingsten – spiritueller Aufbruch, Begegnung, Offenheit – zu erklären. Viel lieber predigen sie über Dialog, politische Toleranz und „rote Linien“ , die nicht überschritten werden dürften. 

Der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat ihnen Stichworte für den kirchlichen Umgang mit der Alternative für Deutschland (AfD) geliefert: Wenn sich jemand, wie schon geschehen, aus der AfD  klar rechtsextrem äußere, fehle jede Grundlage für einen Kontakt. Was „rechtsextrem“ ist, bestimmt Bedford-Strohm. Er jedenfalls schließt Gespräche mit den „Rechtspopulisten“ derzeit aus. Die Dialogbereitschaft, mit der die EKD so gerne hausieren geht, wird in diesem Fall kurzerhand ausgesetzt. Nun ist ja einiges von dem, was die noch junge Partei in Stuttgart in ihr erstes Grundsatzprogramm geschrieben hat, durchaus kritikwürdig. Die Aussagen zur Religionsfreiheit und zum Islam sind keinesfalls der Weisheit letzter Schluß. 

Andererseits läßt sich wohl kaum  ignorieren, daß die AfD in ethischen Fragen genuin christliche Positionen vertritt: Eintreten für das Lebensrecht ungeborener Kinder, Bewahrung eines klaren Familienbildes (Vater, Mutter, Kind) und Absage an das Gender-Mainstreaming, „eine Ideologie, die dem biblisch-christlichen Menschenbild widerspricht“ (so Pastor Ulrich Rüß von der Konferenz Bekennender Gemeinschaften). Die AfD wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibung zu bagatellisieren oder gar zu einem Menschenrecht zu erklären, sie steht für eine „Kultur des Lebens“. 

Solche eindeutigen ethischen Positionen sucht man bei anderen Parteien und auch bei der EKD leider vergeblich. Dort, zum Beispiel in Baden, beschwört man mit Synodenbeschlüssen, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen, neuen innerkirchlichen Streit herauf. Konservative befürchten ein Erdbeben, das die Fundamente des Glaubens erschüttert und die Säulen der Kirche zerreißt. Schon aus all diesen Gründen wird es Bedford-Strohm und seinen Anhängern auf Dauer schwerfallen, der AfD pauschal Christlichkeit abzusprechen.  

Und auch der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, muß sich fragen lassen, ob er sich während der Frühjahrssynode in Berlin nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Zur Erinnerung: Dröge hatte Anfang April erklärt, ob AfD-Mitglieder in Kirchenämter gewählt werden könnten, müsse derzeit im Einzelfall entschieden werden und von der Lebensführung der Kandidaten abhängig gemacht werden. Nicht nur das:  Zur Unterstützung und Beratung der Gemeinden bei solchen Entscheidungen werde das Konsistorium auch eine „Beratungsstelle für Prüfung der Wählbarkeit ins Ältestenamt“ einrichten. Ein Gesinnungs-TÜV auf evangelisch? 

Bedroht Mission den        gesellschaftlichen Frieden?

Gesprächsverweigerer gibt es freilich nicht nur in Martin Luthers „Kirche des Wortes“. Beim Katholikentag Ende Mai in Leipzig dürfen AfD-Vertreter nicht aufs Podium. So hat es das mit Kirchensteuermitteln gefütterte Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) schon vor Monaten beschlossen. Ein „völlig falscher Ansatz, gerade aus christlicher Perspektive“, findet selbst der liberale Berliner Tagesspiegel. Betonten doch Kirchen pausenlos, daß sie auf die Menschen zugehen wollten. Aus Sicht des Mainzer Kardinals Karl Lehmann ist die AfD eine „Partei in der Pubertät“. Eine, wenn man so will, moderate Bewertung, die sich von den Stellungnahmen anderer Kirchenleute abhebt. Natürlich ist auch für Lehmann, der am Pfingstmontag sein 80. Lebensjahr vollendet, klar: „Wer Rassismus und Nationalismus propagiert, ist für mich als Christ nicht wählbar.“ Aber, so sagte er in einem Interview der Süddeutschen Zeitung : „Dahinter steckt ja auch ein Protest, der auf ein Defizit in der Debatte verweist. Es fehlt ein vernünftiger Begriff von Heimat und kultureller Identität.“ Es genüge nicht, einfach multikulturellen Optimismus an den Tag zu legen oder sich ein Europa ohne nationale Eigenarten vorzustellen.  

Ausgrenzung unliebsamer Meinungen ist nicht gerade das, was Christen mit Pfingsten verbinden. Dieses Hochfest 50 Tage nach Ostern ist nicht nur ein „liebliches Fest“ der erwachten Natur. Es ist der Geburtstag der Kirche, ein Gemeinschaft stiftendes Ereignis. Eine Aufforderung zur Mission, eine Besinnung auf die christliche Identität. „Mission“ ist angesichts der Verbreitung des Islam in Europa zu einem Reizwort geworden, vor allem unter evangelischen Christen. Nach der Barmer Theologischen Erklärung ist die Botschaft von der freien Gnade auszurichten an „alles Volk“. 

Doch die einzelnen Landeskirchen tun sich schwer damit. Zum Beispiel die rheinische, die zweitgrößte Gliedkirche der EKD. „Eine strategische Islammission oder eine Begegnung mit Muslimen in Konversionsabsicht bedroht den innergesellschaftlichen Frieden und widerspricht dem Geist und Auftrag Jesu Christi und ist entschieden abzulehnen“, dekretierte eine vor einem Jahr verbreitete Broschüre „Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen“. 

Wieder einmal der unscharfe Begriff „Dialog“. Soll er Mission ersetzen? Und etwa zentrale Glaubensgrundlagen relativieren? Den Eindruck kann man haben, wenn man das Papier der rheinischen Kirche unter die Lupe nimmt. Von evangelikaler Seite wird bemängelt, daß Jesus in dem Dokument vor allem als ethischer Lehrer erscheint, dessen Beispiel die Christen zu folgen hätten. Ein religionspluralistisches Denken nehme überhand, religiöse Unterschiede würden nicht mehr so wichtig genommen. 

Da klingt der Greifswalder evangelisch-lutherische Bischof Hans-Jürgen Abromeit fast wie der Rufer in der Wüste: „Wir sind nicht frei, um des lieben interreligiösen Friedens willen auf Mission, die allen Menschen gilt, zu verzichten“, schreibt Abromeit in den „Informationen“ der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Dies sei auch in der Postmoderne von Belang, in der die Frage nach Wahrheit gern ausgeklammert werde. Sie sei aber von zentraler Bedeutung für den Glauben. Bei der Mission gehe es nicht um „recht haben wollen“, sondern um Treue zum Auftrag Christi. Ein klares Wort zu Pfingsten, eine Mahnung an die Adresse aller Religionsvermischer und geistvergessenen  „Kirchenpolitiker“. 

„Wer nicht unterscheidet, der verwechselt“

Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock hatte auf der Synode 1998 in Münster die Fehlentwicklungen vorausgesehen: „Wir trauen der biblischen Botschaft nicht zu, die Ohren und Herzen der Zeitgenossen zu erreichen und stürzen uns deshalb auf die aktuellen Fragen, von denen in der Öffentlichkeit die Rede ist.“ Es sei jedoch ein Irrglaube anzunehmen, die Kirche würde um so mehr Aufmerksamkeit finden, je stärker sie sich an der politischen Diskussion beteilige. Was Kock als Irrglaube bezeichnete, ist längst Programm in beiden Großkirchen. Und hier landet man wieder beim Thema Islam und AfD. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat jüngst Politiker angegriffen, die die Frage aufgeworfen haben, ob der Islam mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Schweigen auf seiten seiner deutschen Amtsbrüder. 

Klartext spricht hingegen der Salzburger Weihbischof Andreas Laun. Leute der Kirche seien wie jeder Mensch verpflichtet, nicht moralisierend und ohne nötige Sachkenntnis Politiker zu attackieren, erklärte Laun via kath.net: „Religionsfreiheit ja, aber weiß der Kardinal nicht, was der Koran zum Beispiel über die Frauen lehrt oder das Töten von ‘Ungläubigen’? Auch das heutige Verhalten der Muslime zu den Juden müßte bedacht werden (...) Nein, einen angeblich christlichen Kuschelkurs mit dem Islam zu fördern, ist verantwortungslos. Wer nicht unterscheidet, der verwechselt, und das kann gefährlich sein. (...) Das Zusammenleben mit Muslimen kann nur gutgehen, wenn sich diese von bestimmten Lehren deutlich distanzieren, wie das Juden und Christen mit einigen wenigen Sätzen ihrer gemeinsamen Bibel längst getan haben.“ 

Auch das ist eine klare Ansage zu Pfingsten 2016.