© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Nur die Buchstaben sind schwarz
Baden-Württemberg: Im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und Union hat die CDU wenig Akzente gesetzt
Michael Paulwitz

Verdächtig aufdringlich bemühen Baden-Württembergs Grüne, konservative Rhetorik, wenn sie den mit dem Wahlverlierer CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag für das erste grün-schwarze Bündnis auf Länderebene anpreisen. Von einer „bürgerlichen Koalition im besten Sinne“ schwärmte Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf dem Parteitag der Grünen. Gemurrt wurde kaum bei der Absegnung des „Verläßlichkeit, Nachhaltigkeit, Innovation“ überschriebenen Verhandlungsergebnisses: Der Anteil der Gegenstimmen war noch geringer als bei der CDU einen Tag zuvor.

Brigitte Lösch, ihres Zeichens „queerpolitische Sprecherin“ der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, spricht aus, was man bei der CDU nicht so gern hört: „Wir haben uns durchgesetzt. Der Koalitionsvertrag spricht eine grüne Sprache.“

Entsprechend gereizt wird CDU-Landeschef Thomas Strobl, der nach dem Wahldebakel vom 13. März seine Partei zügig in die Juniorpartnerschaft mit den Grünen geführt hat und sich in der neuen Regierung als Innenminister und Vize-Regierungschef profilieren will, wenn Journalisten ihn hartnäckig mit Fragen nach der „schwarzen Handschrift“ im Koalitionsvertrag konfrontieren: „Hier. Ganz viele schwarze Buchstaben!“ hielt er bei der Präsentation den Vertragstext vor die Kameras.

Was nicht falsch ist; die Überschriften des 136-Seiten-Werks sind allerdings grün, und die Inhalte sind es zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls, wenn auch meist schön verpackt in Wohlfühlsprache. Das Wort „Gender Mainstreaming“ kommt nicht vor, aber die Sache steckt in der Umschreibung, die grün-schwarze Landesregierung wolle „bei allen politischen Vorhaben und Entscheidungen die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern grundsätzlich und systematisch berücksichtigen“ und diese Perspektive auch „im Haushalt verwirklichen“. Am Bildungsplan und am noch weitergehenden „Aktionsplan“, der die Ideologie der „Akzeptanz“ sexueller „Vielfalt“ in ein landesweites Umerziehungsprogramm gießen will, werde „nicht gerüttelt“, freut sich denn auch die grüne „Queer“-Politikerin Brigitte Lösch; die maßgeblich von der Homosexuellenlobby diktierten grün-roten Prestigeprojekte, gegen die sich breiter Protest formiert hatte, sollen „evaluiert“ und „weiterentwickelt“ werden. Auch die Einrichtung einer „Antidiskriminierungsstelle“ des Landes, die den Einfluß dieser Lobby weiter verfestigt, und eine Frauenquote „in den Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik“ hat die Union mit unterschrieben.

Bei der Aufzählung eigener Verhandlungserfolge ist Strobl dagegen schnell am Ende. Die Schaffung von 1.500 zusätzlichen Stellen bei der Polizei hebt der künftige Innenminister besonders gern hervor. Eine echte „Verstärkung“ ist damit angesichts von mittlerweile aufgehäuften 1,3 Millionen Überstunden freilich noch lange nicht erreicht. Und die Freude der Polizisten über die versprochene neue Ausrüstung dürfte sich in Grenzen halten, wenn gleichzeitig, wie von den Grünen durchgesetzt, die Beamtenbesoldung gedeckelt wird, um die explodierenden Kosten der Asylkrise aufzufangen. In der Auflösung des „Integrationsministeriums“, dessen Kompetenzen auf das Sozial- und Innenressort verteilt werden, sieht Noch-Amtsinhaberin Bilkay Öney (SPD) einen Erfolg der CDU; ihre Arbeit war allerdings schon in der grün-roten Koalition umstritten.

Mit dem Versprechen, den wohnsiedlungsnahen Ausbau der Windkraft zu bremsen, hat die Union sich dagegen ebensowenig durchsetzen können wie beim Stopp für die Gemeinschaftsschule; die wird weiter großzügig gefördert und ausgebaut. Aus der Wahlfreiheit für das neunjährige Gymnasium ist ebenfalls nichts geworden.

Durchgängig grüne Handschrift trägt das Kapitel über Einwanderung und Asyl; AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen kritisiert die unzulässige Vermengung von „Flüchtlings“-Aufnahme und „Fachkräftemangel“. Von „Integration“ und Aufnahmebereitschaft ist viel die Rede, nur am Rande dagegen von der Rückführung nicht Aufenthaltsberechtigter.

Fürs Sparen bleibt wenig Luft; entgegen den Beteuerungen zur Haushaltskonsolidierung wird es in den nächsten Jahren nicht ohne neue Schulden gehen. Zwar wurde ein Ministerium gestrichen, dafür gibt es drei neue Staatssekretärsposten. Beide Koalitionspartner besetzen fünf Ministersessel. Justizminister wird der gescheiterte Spitzenkandidat Guido Wolf, den Strobl durch die Einbindung ins Kabinett von der Machtposition des Fraktionsvorsitzenden weggelockt hat. 

Das Wirtschaftsministerium, auf das Wolf spekuliert hatte, erhält eine bislang nur kommunalpolitisch profilierte Nachwuchsabgeordnete. Obwohl die Grünen gern zum Verkehrs- auch das Landwirtschaftsministerium übernommen hätten, um ihre Verankerung in der Fläche zu stärken, bestand die Union auf diesem vergleichsweise unbedeutenden Ressort und überließ den Grünen das einflußreiche Finanzministerium.

Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, daß Oppositionsführer Jörg Meuthen (AfD) den Koalitionsvertrag als „Dokument christdemokratischer Selbstaufgabe“ geißelt. Daß die Union als Juniorpartner unter die Räder kommen könne wie die auf zehn Prozent halbierte SPD, weist Strobl weit von sich: Die Union stehe ganz anders da als die Sozialdemokraten. Die waren allerdings vor fünf Jahren mit einem nicht viel kleineren Stimmenanteil in eine grün geführte Regierung eingetreten als jetzt die CDU.