© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Warnblinkleuchten im Blick behalten
Matthias Bäkermann

Pegida und die AfD seien zwei Seiten derselben Medaille. Mit dieser streitbaren These elektrisierte der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sein Auditorium, darunter nicht wenige bekennende AfD-Mitglieder und Sympathisanten, zu Beginn seines Vortrags. Vor allem vereine diese beiden Phänomene die Tatsache, daß das politisch-mediale Establishment auf beide gleichermaßen gereizt reagiere. „Dabei sind Pegida ebenso wie die AfD nur die Symptome und nicht die Ursachen gesellschaftlicher Probleme“, machte der medienbekannte Pegida-Erklärer vergangene Woche in der Berliner Bibliothek des Konservatismus klar. 

Als Ursache deute er nicht nur eine rechte Repräsentationslücke im Parteiensystem, sondern mehr noch die politische Unkultur in der Bundesrepublik. Tonangebende Etablierte seien „denkkonservativ im schlechtesten Sinne“, ein kritischer Diskurs werde insbesondere bei Themen wie Eurorettung, Integration und künftigen Verteilungskonflikten verhindert. Stattdessen lege die Alternativlosigkeitsrhetorik alle nötigen Wandlungsprozesse lahm. Dazu hätten die gängigen Mechanismen der Ausgrenzung seitens der Diskurselite, nicht zuletzt durch den „Kampf gegen Rechts“, aus Unzufriedenen erst Entfremdete und schließlich Empörte reifen lassen. „Der sogenannte ‘Kampf gegen Rechts’ hat den Rechtspopulismus regelrecht gemästet“, analysiert Patzelt.

Da er wegen einer Fallstudienforschung im Wintersemester 2014/2015 zu den Dresdner Pegida-Demonstrationen sehr früh Einblicke in Teilnehmerstruktur, Milieus und politische Aussagen genommen hatte, deute er die „Warnsignale aus Dresden“, wie auch sein Ende Mai erscheinendes Buch zu Pegida heißt, ganz anders als die mächtigen Verteidiger des bundesdeutschen Multikulti-Konsenses. Jene meinten, Pegida als rein lokales xenophobes Phänomen aus „Kaltland“ überhören zu können, das mit offen artikuliertem Ekel arrogant wegzubeißen wäre oder sich aussitzen ließe. Ihre „irreführenden Narrative“ würden aber das Brodeln der Magma in der Gesellschaft gegen die brüchige Sozialstaatlichkeit, die Kritik an fremdbestimmter Einwanderungspolitik und die Angst vor der Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts nur befeuern. Das gelte gegen „das lokale Phänomen einer europäischen Form des Rechtspopulismus“ in Dresden ebenso wie gegen „Pegida in der Wahlkabine“, also die AfD.  

Um eine drohende „Cleavage“, also einer zerstörerischen Kluft in der Gesellschaft, vorzubeugen, müßten berechtigte Sorgen endlich ernstgenommen und der Diskurs wieder offen geführt werden. Der AfD falle dabei auch die Aufgabe zu, die im Pegida-Milieu zu beobachtende Verhärtung und den Magnetismus von rechtsaußen dadurch aufzufangen, indem die Partei sich durch seriöses Arbeiten weiter etabliere und so den vielen Unzufriedenen wieder Hoffnung auf politische Partizipation geben könne. Das funktioniere allerdings eher mit politischer Mäßigung als durch Krawallrhetorik und unrealistische Maximalforderungen. Dann, da ist sich Patzelt sicher, wird Pegida wie von selbst verschwinden.