© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Noch nicht, aber bald – vielleicht
Niedersachsen: Eigentlich wollen Land und Islamverbände einen Staatsvertrag unterzeichnen, doch nun ist wieder etwas dazwischengekommen
Christian Vollradt

Stephan Weil (SPD) ist ein echter Optimist: „Ich bin mir sicher, daß wir mit dem Staatsvertrag gut vorankommen werden“, meinte der niedersächsische Ministerpräsident und ergänzte mit dieser Aussage die Hoffnung seiner Landesregierung, „daß das Regelwerk bis Ende des Jahres stehen wird“. Das war im Sommer 2014. Knapp zwei Jahre später ist dieser Staatsvertrag „mit den muslimischen Verbänden über das Verhältnis des Landes Niedersachsen zu ihnen“, den zu schließen sich die rot-grüne Koalition verpflichtet hatte, noch immer nicht verwirklicht. 

Doch da Weil, wie bereits erwähnt, Optimist ist, soll der Vertrag – ein Déjà-vu – noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. „Wir haben ein gemeinsames Interesse, daß wir zügig zueinander kommen“, zitierte sich der Landesvater Ende April quasi fast wörtlich selbst. Schließlich hätten ja alle Fraktionen im Landtag bekräftigt, daß ihnen an einer vertraglichen Vereinbarung für die rund 300.000 Moslems in Niedersachsen gelegen sei. 

Allerdings gibt es Stimmen, die die Zuversicht an höchster Stelle nicht teilen. Und die kommen ausgerechnet aus Weils eigener Staatskanzlei. Die Landesregierung, heißt es von dort, sehe „Klärungsbedarf“ und rechne nicht damit, daß „die Vereinbarungen kurzfristig unterzeichnet werden können“. Grund dafür ist ein Führungswechsel beim Landesverband der Muslime, der Schura Niedersachsen. Denn die Hauptversammlung des Gremiums wählte am 23. April anstelle des langjährigen, als gemäßigt geltenden Vorsitzenden Avni Altiner den Hannoveraner Recep Bilgen an die Spitze der Schura. Bilgen ist Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nahesteht und bis vor kurzem vom niedersächsischen Verfassungsschutz wegen möglicher islamistischer Tendenzen beobachtet wurde. Mittlerweile entschärfte die Behörde ihre Einschätzung, nachdem sich die Führung des niedersächsischen Verbandes immer stärker von der türkischen Milli Görüs abgesetzt habe: „In Nieder-sachsen wird deshalb geprüft, ob noch tatsächliche Anhaltspunkte feststellbar sind, die bei der IGMG Niedersachsen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung belegen.“

Für die Landesregierung stellt die Personalie dennoch „ein Hemmnis“ dar. Regierungssprecherin Anke Pörksen: „Die Verhandlungspartner auf seiten der Landesregierung und Avni Altiner kannten und schätzten sich.“ Altiner habe sich parteiübergreifend Vertrauen und Respekt erarbeitet, dies sei eine wichtige Grundlage in dem bisherigen Verhandlungsprozeß gewesen. Nun müsse „in Ruhe geprüft werden, wie sich der Landesverband unter dieser neuen Führung darstellen wird“. 

Auch innerhalb der Schura befürchten manche nun eine größere Einflußnahme der Türkei auf die islamische Gemeinschaft in Niedersachsen. Daß sich die IGMG-Vertreter bei der Vorstandswahl durchsetzen konnten, ist allerdings auch dem Fernbleiben unabhängiger Mitgliedsgemeinden geschuldet. 

Der Staatsvertrag ist im Prinzip unterschriftsreif und vom wissenschaftlichen Dienst des Landtags juristisch geprüft. Das Werk enthält Regelungen zum islamischen Religionsunterricht („nach den Grundsätzen der islamischen Religionsgemeinschaften von akademisch ausgebildeten Lehrkräften in deutscher Sprache“) oder der Seelsorge in Gefängnissen und Kliniken, zum Bestattungswesen, zur Errichtung von Moscheen sowie der Verstetigung der theologischen und religionspädagogischen Islam-Studiengänge an der Universität Osnabrück. In vielen Punkten bleibt der Vertrag schwammig, zum Beispiel beim Thema Gebetsmöglichkeiten in der Schule, die es – ohne gesonderte Räume – geben soll. Anfang des Jahres hatte sich die oppositionelle CDU mit Änderungswünschen zu Wort gemeldet. Unter anderem will sie beim Thema Religionsfreiheit festschreiben lassen, daß Muslimen der Übertritt zu anderen Religionen geebnet wird.

Warum Ministerpräsident Weil ungeachtet aller Hemmnisse in puncto Unterzeichnung aufs Tempo drückt, hat auch einen praktischen Grund: am 11. September finden Kommunalwahlen in Niedersachsen statt, da käme den roten und grünen Wahlkämpfern eine Islam-Debatte äußerst ungelegen.