© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Sozialarbeiter statt Offiziere
Richtungsdebatte: Die Zeit für eine inhaltliche Kurskorrektur der Union und eine Stärkung des konservativen Flügels ist längst abgelaufen
Paul Rosen

Zu Drehungen, Kurswechseln und Vertragsbrüchen war sie in der Vergangenheit oft genug fähig. Aber die Schlagzeile in der Bild-Zeitung am 4. Mai dieses Jahres gab Rätsel auf: „Angela Merkel sucht Rechtsaußen“, hieß es da. Die Bundeskanzlerin, deren CDU in Umfragen auf Sinkflug ist, wolle stärker auf konservative Wähler rechts von der politischen Mitte zugehen, die zuletzt in Scharen zur AfD gewechselt waren. Schon am selben Tag stellte die Kanzlerin klar, daß die Wendehals-Strategie keine war: „Es gibt keinerlei neue Strategie.“ 

Tatsächlich ließ die Kanzlerin längst bekannte Sätze heraus, als sie gefragt wurde, wie die CDU sich mit der AfD auseinandersetzen solle: Die Aufgabe bestehe darin, „aus uns selbst heraus darzustellen, was wir wollen, welche Überzeugungen uns tragen.“ Die CDU habe genug Argumente, „uns mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen, auch mit denen der AfD. Und zwar ohne Schaum vor dem Mund und ohne Pauschalurteile.“ 

Das Personal ist das Problem

Das hat Merkel so oder ähnlich schon oft gesagt, wobei der Inhalt der Argumente austauschbar ist und sich – grob gesagt – daran orientiert, was SPD und Grüne gerade als Themenschwerpunkte für sich entdeckt haben. Dann läuft es bei der CDU wie im Märchen vom Hasen und Igel: Wohin die rot-grünen Hasen auch laufen, die schwarzen Igel sind schon da. Das inhaltliche Zusammenrücken von CDU, SPD und Grünen und auch der FDP hat in letzter Konsequenz zur Kannibalisierung geführt: Die FDP verschwand aus dem Bundestag, die SPD wurde immer kleiner. Nur die Grünen, an deren fundamentalistischen Flügel (verkörpert etwa von Anton Hofreiter) die CDU nicht heranreicht, halten sich recht gut. Wahlkämpfe zwischen diesen Parteien sind Scheinauseinandersetzungen innerhalb des Milieus der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft, die Massenimmigration als Allheilmittel gegen die drohende demographische Katastrophe ansieht und glaubt, daß Papiergeld einen inneren Wert hat.

Natürlich werden in der CDU noch unbequeme Wahrheiten an- und ausgesprochen, selbst von höherrangigeren Vertretern: „Wir sind inhaltlich und personell viel zu schmal geworden. Wir müssen wieder breiter werden, um den rechten demokratischen Rand für uns zu reklamieren“, fordert etwa Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Die CDU müsse „Kernthemen definieren“ wie Familie und Heimat.  Nur wirkt das wenig bis gar nicht glaubwürdig in einer Partei, die in dem vor drei Jahren mit der SPD geschlossenen Koalitionsvertrag Begriffe wie „deutsches Volk“, „Nation“ oder „Vaterland“ schon gar nicht mehr unterbringen wollte. Vorwürfe des CDU-Generalsekretärs Peter Tauber, die AfD sei die „Anti-Deutschland-Partei“, fallen auf ihn zurück. Und Haseloff tut doch auch nicht, was er von seiner Partei fordert. 

Die CDU hat eine Zäsur erlebt: Das war der Rückzug von Friedrich Merz, des letzten großen Konservativen auf Bundesebene. Die jetzt immer wieder bemühten Wolfgang Bosbach, Christian von Stetten oder auch Julia Klöckner sind weder konservativ noch könnten sie Merz das Wasser reichen. Aber wäre eine Reinstallierung von Merz in der Parteispitze etwas anderes als eine Mogelpackung? Hat nicht CSU-Chef Horst Seehofer mit der Hereinnahme des Konservativen Peter Gauweiler in die Parteiführung so etwas versucht und ist gescheitert?

Es hat viel mit der Personalgewinnung in der CDU zu tun, durch die die Partei völlig verändert worden ist. Der einst von Alfred Dregger und seinen Stahlhelmern verkörperte rechte Flügel ist ausgestorben. In der CDU von heute gilt der flexible Sozialarbeiter mehr als ein Offizier mit Kampferfahrung, der dynamisch daherkommende Jung-Homosexuelle wird hofiert, der mehrfache Familienvater gilt als Außenseiter mit Hang zu Nörgelei. 

CDU-Funktionäre und -Abgeordnete gehören zu einer Generation von Politikern, die heute glücklich sind, daß sie von ihren grünen Altersgenossen wenigstens gegrüßt und vielleicht sogar zur Pizza-Connection geladen werden. Daher war die überschwengliche Lobhudelei des baden-württembergischen CDU-Abgeordneten Olav Gutting bei einem Spargelessen für Berliner Journalisten in der baden-württembergischen Landesvertretung über die grün-schwarze Koalition in seinem Land echt. Diese Christdemokraten kämpfen nicht, sie sind heilfroh, im rot-grünen Mainstream mittreiben zu dürfen. „Ich hätte übrigens grundsätzlich Zweifel an der Richtigkeit meiner Politik, wenn sie von Linken und Grünen bejubelt wird“, staunt Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der in seiner bayerischen Heimat noch anders sozialisiert wurde. 

Aber in Dobrindts CSU sind auch schon starke Kräfte dafür, zu den Grünen ins Boot zu steigen, weil die ebenfalls bürgerliche Werte verkörpern würden. Daher sind alle Gerüchte, die CSU könne sich bundesweit ausdehnen und mit vier Jahrzehnten Verspätung den Kreuther Trennungsbeschluß realisieren, nichts weiter als Zeitungsenten, die um Markus Söder herum aufgeregt auf den Kreuther Wiesen schnattern. 

In Wirklichkeit ist die konservative Wurzel der CDU bereits verdorrt, die christliche Wurzel stirbt gerade ab. Damit hat die ganze Partei keinen Halt mehr und kippt. Doch auf dem fruchtbaren Boden der deutschen Länder wachsen schon neue Bäume heran.