© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/16 / 13. Mai 2016

Keine Frage der Lehre
Integration durch mehr Bildung: Wissenschaftler verschweigen bewußt wesentliche Hindernisse
Markus Brandstetter

Echte Bildung spielt in den Medien und der deutschen Öffentlichkeit keine Rolle mehr – und wenn doch, dann nur eine negative. Menschen, die in einem klassischen Sinn gebildet sind, gelten als elitär, konservativ und altmodisch. Universitätsprofessoren preisen ein ungrammatisches Kiezdeutsch als Umgangssprache der Zukunft, aus den Leselisten der Schulen sind Goethe, Schiller, Heine und Kleist längst verschwunden, und ein Film mit dem schönen Titel „Fack ju Göhte“ wurde auch deshalb von zehn Millionen Menschen so gerne gesehen, weil sein unterirdischer Titel Parole und Programm zugleich war.

Bildung – im klassischen Sinne – ist also out. Außer wenn es um Flüchtlinge und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft geht. Da wird sie plötzlich wieder interessant. So hat etwa die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ein Gutachten in Auftrag gegeben, das den Titel „Integration durch Bildung. Migranten und Flüchtlinge in Deutschland“ trägt. Verfaßt hat den Dreihundert-Seiten-Schinken eine Phalanx hochkarätiger Professoren, alle samt und sonders Pädagogen, Soziologen und durch die Bank Lehrstuhlinhaber.

Und was ist nun das Ergebnis dieses Opus magnum? Trotz der verquasten Sprache („Immersion statt Submersion“), der unpräzisen und unwissenschaftlichen Methode und des andauernden Herumredens um den heißen Brei sind die Resultate schlicht und ausgesprochen übersichtlich: Die in den vergangenen zwei, drei Jahren bei uns angekommenen Flüchtlinge müssen in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Integrieren bedeutet: Die erwachsenen Flüchtlinge müssen schnell und gut Deutsch lernen, weil sie sich nur so einigermaßen erfolgreich in Gesellschaft und Arbeitsmarkt eingliedern können.

So ganz trauen die Autoren der Studie ihren eigenen Rezepten aber selbst nicht, denn der Hauptteil ihrer Analysen und Empfehlungen befaßt sich mit Kindern und Jugendlichen. Für die muß nun das volle Programm her – vom Kindergarten bis zur Universität. Auf die Ganztags-Kita sollen die Ganztags-Grundschule und danach die Ganztags-Gemeinschaftsschule folgen. Alles unterstützt, ergänzt und weich gepolstert von einem Kranz von staatlichen Fördermaßnahmen und interkulturellen Hilfsangeboten für Eltern und Kinder, dargereicht von speziell dafür geschulten Lehrern und Pädagogen, die es allerdings – das gestehen die Autoren der Studie in einem Nebensatz ein – noch gar nicht gibt und so schnell auch nicht geben wird. 

Ist das Flüchtlingskind solcherart durch Kindergarten und Schule gepäppelt worden, dann kommt dasselbe in Grün beim Berufseintritt. Auch hier müssen viele integrative Maßnahmen ergriffen und jede Menge Einrichtungen geschaffen werden, die alle nur ein Ziel haben: den inzwischen „beschulten“ Immigranten irgendwie in das Berufsleben zu bugsieren. Damit bei der Integration durch Bildung aber auch wirklich nichts schiefgeht, empfiehlt die Studie andauernd, insbesondere aber bei den Aufnahmezulassungen für Universitäten, flächendeckend Anforderungen und Niveau zu senken, damit die späteren Altersversorger der Deutschen auch den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden können. 

Zu all dem fällt dem Gebildeten jetzt Goethe ein, dessen „Faust“ da sagt: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Warum fehlt der? Weil das ganze Gutachten auf falschen Annahmen über die Natur des Menschen beruht. Obwohl von den Autoren nie eingestanden, durchzieht die Studie auf Schritt und Tritt die längst diskreditierte Schule des Behaviorismus, eine aus den Vereinigten Staaten importierte Mischung aus Psychologie, Gesellschaftstheorie und Pädagogik, die den Menschen auf den Status eines primitiven Lernautomaten reduziert, indem sie annimmt, daß der Mensch als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt und Gesellschaft, Schule und Universität später in ihn hineintrichtern können, was erwünscht und passend erscheint. 

Das stimmt natürlich nicht. Weder ist der Mensch ein unbeschriebenes Blatt, wenn er auf die Welt kommt, noch kann man jungen Afghanen, Irakern, Syrern, Serben und Albanern in wenigen Jahren das eintrichtern, was die Lehrer an deutschen Schulen für sinnvoll und deutsche Arbeitgeber für notwendig halten, nämlich ein Mindestmaß an Fleiß, Lernwilligkeit und Leistungsbereitschaft, Achtung vor den Institutionen einer modernen Gesellschaft, Respekt vor Recht und Gesetz und die Akzeptanz einer säkularen Gemeinschaft ohne religiös versteinerte Rollenmodelle.

Die Autoren des Integrationsgutachtens vernachlässigen vollständig – und vermutlich ganz bewußt – den mächtigen Einfluß von Kultur und Religion, den Eltern, Bekannte und Verwandte junger Asylbewerber aus ihren Herkunftsländern ganz selbstverständlich mitbringen und woran sie auch in Deutschland zäh festhalten werden. 

Die Herkunft der Flüchtlinge aus Gesellschaften, die nicht wie das Abendland durch Jahrhunderte der Aufklärung, Demokratisierung und Säkularisierung gegangen sind; das von den Flüchtlingen mitgebrachte Denken in Kategorien der Großfamilie, ihr mangelnder Respekt gegenüber dem Staat und seinen Institutionen und ihre Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Problemlösung – dies sind die wahren Gründe dafür, warum Integration so selten und so unvollständig gelingt. 

Dagegen werden Lehrer, Psychologen und Sozialarbeiter nicht viel ausrichten können. Mit Belgien und Frankreich verfügen wir außerdem über leuchtende Beispiele, die zeigen, daß Integration nur durch Bildung eben gerade nicht funktioniert.