© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Knapp daneben
Herdentiere und Duckmäuser
Karl Heinzen

Jugendliche sind eine gesellschaftliche Randgruppe. Immer mehr Bürger in den besten Jahren ihres Lebens genießen lieber unbeschwert ihre Freizeit, anstatt sich mit Kindern abzuplagen. Auch die meisten Alten brauchen heute, selbst wenn sie einst noch Nachwuchs großgezogen hatten, nicht länger zu fürchten, daß die Freuden des Ruhestands durch großelterliche Pflichten vergällt werden. Was für die Bürger nicht wichtig ist, muß die Politik nicht kümmern. Junge Menschen sind für sie daher allenfalls ein abstraktes Thema.

Wo es an persönlicher Erfahrung mangelt, wird wissenschaftliche Expertise um so wichtiger. Diese bietet eine Studie, die das Sinus-Institut soeben unter dem echt coolen Titel „Wie ticken Jugendliche 2016?“ herausgegeben hat. Ihre empirische Basis ist, aber das liegt in der Natur der Sache, bescheiden. Gerade einmal 72 Heranwachsende im Alter zwischen 14 und 17 Jahren wurden zur Seelenerforschung eingefangen.

Artig verinnerlichen die Jugendlichen alle Normen, die man ihnen vorsetzt. Keiner will aus der Reihe tanzen.

Immerhin war man offenbar so klug, ihnen keine Fragebögen vorzulegen, bei denen sie irgendwelchen Unsinn hätten ankreuzen können. Statt dessen wurden sie „qualitativen Tiefeninterviews“ unterzogen, zu denen sie sogar eigene Fragen beisteuern konnten, wenn die Phantasie der Forscher nicht ausreichte. In der Studie dürfen sie, und darauf scheinen die Macher stolz zu sein, „ungefiltert“ mit „kreativen Selbstzeugnissen“ zu Wort kommen.

Erwachsene muß diese Nabelschau nicht interessieren. Was für sie zählt, ist das Ergebnis, und dieses ist beruhigend. Junge Menschen von heute sind angepaßte, brave Spießer. Sie wollen bloß ein „gutes Leben“ führen und haben begriffen, daß sie dafür die Klappe halten müssen. Artig verinnerlichen sie alle Werte und Normen, die man ihnen vorsetzt. Kaum einer will aus der Reihe tanzen. Alle möchten eigentlich nur so sein wie alle anderen auch.

Die Aussicht, Herdentiere, Schleimer und Duckmäuser in die Welt zu setzen, wird den Kinderwunsch nicht steigern. Wer keinen Nachwuchs hat, kann sich aber entspannt zurücklehnen. Wenn er alt ist, muß er nicht die Rache jener fürchten, die für seine Rente zur Kasse gebeten werden.