© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Deutsche wollen nicht feiern
Am 12. Mai jährt sich zum 75. Mal die Präsentation von Konrad Zuses Z3, dem ersten Computer der Welt / Frei programmierbare Rechenanlage
Jörg Fischer

Hat die Glühlampe Heinrich Göbel oder Thomas Alva Edison erfunden? Telefonierte als erster Philipp Reis oder Alexander Graham Bell? Darüber sind sich Industriehistoriker uneins. Daß nicht der Kaufmann Nicolaus Otto, sondern der Uhrmacher Christian Reithmann den Viertaktmotor erfunden hat, ist inzwischen aber unstrittig – dennoch hat sich der Name Ottomotor für alle Vier- und Zweitaktmaschinen durchgesetzt.

Konrad Zuses Vaterschaft für den ersten funktionsfähigen Computer – die Zuse Z3 – wird nicht bestritten. In Zusammenarbeit mit dem Elektrotechniker Helmut Schreyer konstruierte der Bauingenieur 1941 in Berlin die „erste vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare, in binärer Gleitpunktrechnung arbeitende Rechenanlage“, wie der Informatikpionier Friedrich Ludwig Bauer, der bis 1989 an der TU München lehrte, den Z3 beschrieb.

Bei einem Bombenangriff auf Berlin total zerstört

Howard Aikens nicht so leistungsfähiger Mark I war – trotz Unterstützung des IBM-Konzerns und der US-Regierung – erst im Februar 1944 fertig. Dafür absolvierte der aus Ungarn stammende und bis 1933 in Berlin lehrende Mathematiker Johann von Neumann bereits einen Monat später am Mark I erste Berechnungen im Rahmen des Manhattan-Projekts für die Atombombe. Da existierte die Z3 schon nicht mehr: Der erste Computer der Welt wurde am 21. Dezember 1943 – zusammen mit dem mechanischen Rechner Z1 von 1937 – bei einem Bombenangriff zerstört. Wie Aiken arbeitete auch Zuse für die Rüstungsindustrie. So entwickelte Zuse die Spezialrechner S1 (1942) und S2 (1943) für die Flügelvermessung der funkferngesteuerten Henschel-Minengleitbombe HS 293. Die im Frühjahr 1945 fertiggestellte Rechenanlage Z4, eine Weiterentwicklung der Z3, überstand das Kriegsende durch Evakuierung nach Bayern.

1950 wurde die Z4 von Zuse instandgesetzt und an die ETH Zürich vermietet, kurz bevor der zweite kommerzielle Großrechner der Welt, der Univac von John Presper Eckert (einem deutschstämmigen Ingenieur aus Philadelphia) und John Mauchly bei der US-Volkszählungsbehörde (USCB) seinen Dienst aufnahm. Die kommerzielle Rechenanlage Z5, die ab 1953 bei der Wetzlarer Optikfirma Leitz zum Einsatz kam, war der erste Neuentwicklung der 1949 gegründeten Zuse KG.

Erst mit dem Rechner Z22 erfolgte 1957 die Umstellung von Relais- auf Röhrentechnik – ein Jahr nachdem der Dresdner Mathematikprofessor Nikolaus Lehmann den ersten deutschen Röhrenrechner D1 präsentierte. Doch eine Serienfertigung verhinderte die DDR-Mangelwirtschaft. Schon 1959 stellte die Zuse KG mit dem Z23 den ersten Transistorrechner vor. Das Pendant D4a war erst 1963 funktionsbereit – doch gegenüber der kapitalstarken Konkurrenz hatten weder die DDR-Industrie noch gar Zuse eine Chance: 1964 wurde die Zuse KG vom Schweizer Elektronikkonzern BBC übernommen. 1967 übernahm Siemens die Zuse-Mehrheit, Konrad Zuse schied aus dem Unternehmen ganz aus. Knapp 30 Jahre nach der Erfindung der Z3, am 1. April 1971, wurde der Firmenname Zuse KG im Handelsregister gelöscht.

Doch während im „Zuse-Jahr 2010“ mehrere Museen und Ausstellungen Zuses Leben und Wirken würdigten und wenigstens eine Sonderbriefmarke sowie eine 10-Euro-Gedenkmünze erschien, hat die Political Correctness offenbar sogar das osthessische Hünfeld, wo Zuse 1995 85jährig starb, ergriffen: Am 12. Mai feiert der Z3 sein 75jähriges Jubiläum, doch im dortigen Konrad-Zuse-Museum läuft noch bis 12. Juni die Sonderausstellung „100 Jahre Frauenalltag“. Das neue Konrad-Zuse-Computermuseum in Hoyerswerda, wo Zuse 1928 sein Abitur machte, wird nicht rechtzeitig fertig. Das Deutsche Museum München, wo Z3 und Z4 als „Meisterwerke“ bezeichnet werden, bietet zum Jubiläum einen Vortrag aus der Reihe „Fahrgäste im Dialog“. Das „größte Computermuseum der Welt“ in Paderborn, das Nixdorf-Forum, bietet „Surfen für Kids“ und einen Vortrag über die „Überwachung und Verschlüsselung nach der NSA-Affäre“. Das Deutsche Technikmuseum in Berlin, wo Konrad Zuse 1910 geboren wurde, hat immerhin zehn Tage später Horst Zuse zu Gast: Der Informatikprofessor und Sohn des Erfinders führt zum Internationalen Museumstag am 22. Mai von ihm initiierte Nachbauten der Z3 und der Z1 vor. Und das Computermuseum der FH Kiel würdigt am 1. Juni den „Computer-Erfinder als Künstler“ – schließlich hat das Erfindergenie 500 expressionistische Ölbilder geschaffen.

Einzig das Zuse-Zentrum (ZIB) erinnert an die Z3 und veranstaltet am 11. Mai im Kosmos Berlin zusammen mit dem Tagesspiegel eine „Global conference celebrating 75 years of computing“. Warum allerdings der Jurist und Kanzleramtsminister Peter Altmaier und nicht die Matheprofessorin und Forschungsministerin Johanna Wanka dort eine Grundsatzrede halten will, verraten die Veranstalter nicht.

Zuse-Tagung am 11. Mai in Berlin: science-match.tagesspiegel.de

Informationsportal zu Konrad Zuse: www.zuse.de