© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Blick in die Medien
Story-Recycling
Tobias Dahlbrügge

Medienkonsumenten haben sich an Dauerartikel wie „Die 50 besten Handys“ oder „So erkennen Sie Alkoholsucht“ gewöhnt, die in regelmäßigen Abständen immer wieder wie alte Teebeutel neu aufgegossen werden. Doch nun servierte Bild seinen Lesern eine elf Jahre alte Story frisch aufgebacken: 2005 reisten einige Jungspunde der Schüler-Union nach Riga. Langeweile plus Unreife plus Alkohol ließen einen geselligen Abend entgleisen. Ein Teilnehmer hielt ein Parteiabzeichen der NSDAP vom örtlichen Flohmarkt in eine mitlaufende Videokamera, während andere dazu im Biernebel NS-Parolen parodierten.

Der peinliche Mitschnitt wurde seinerzeit der Berliner CDU-Zentrale hinterbracht, die dem spätpubertären Haufen gehörig die Köpfe wusch. Doch Bild machte die Geschichte publik und dichtete gleich noch ein paar haarsträubende Details dazu, um die flache Story zum Skandal aufzupumpen. Am 27. April erschien die längst vergessene Geschichte erneut. Zwar fehlten in der Beta-Version die hinzugefügten Schauermärchen (nackte Oberkörper mit Hakenkreuzen beschmiert, wovon im Video nichts zu sehen ist), doch ebenfalls der Hinweis darauf, daß Bild schon einmal darüber berichtet hatte.

Der Leser muß die exhumierte Story über die Jungspunde der Schüler-Union für aktuell halten. 

Zwar es heißt in im neuen Artikel, es gehe um einen Vorfall aus dem Jahr 2005, doch dann weiter: „Jetzt ist ein Video aufgetaucht ...“ und „Jetzt holt sie die Vergangenheit ein.“ Der Leser muß die exhumierte Story für aktuell halten. Und prompt fleddern auch andere „Qualitätsmedien“ den News-Leichnam, von der Berliner Zeitung über Stern bis Focus. Angereichert mit den üblichen Schreck-Vokabeln: „Nazisprüche“, „Hetze“, „Haß“ etc.

Die inzwischen elf Jahre gereiften Unionspolitiker haben sich ein zweites Mal für den Vorfall entschuldigt. Damals hatten sie ihre Ämter aufgeben oder ruhen lassen müssen. Warum die Story nun recycelt wurde, erklärt der Untertitel: „Jetzt liegt das Video vor …“, über das damals geschrieben wurde, ohne es gesehen zu haben.