© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Die GEMA lädt zur Verleihung des Fred-Jay-Preises für deutsche Textdichtung. Diesjähriger Preisträger sind Die Fantastischen Vier, die sich – als sie sich 1989 gründeten – wider den Zeitgeist für deutsche Liedtexte entschieden und damit den deutschen Hip-Hop beziehungsweise Deutschrap begründeten. Einer ihrer größten Hits, „MfG“ („mit freundlichen Grüßen, die Welt liegt uns zu Füßen, denn wir stehen drauf“), gilt als wahnsinnig origineller Umgang mit Akronymen. Freilich ist dies nur noch ein Spiel, und auch nicht neu. In der DDR-Diktatur galt ein Spiel mit Abkürzungen unversehens als staatsfeindliche Hetze, etwa in dem sarkastischen Stück „Was uns an die Leine legt“ des Liedermachers Stephan Krawczyk. Peinlich indes wirkt der Auftritt des jungen Moderators von Radio Fritz. Als dieser dem Laudator der Fanta 4, Heinz Rudolf Kunze, seine Ehre bekunden will, nennt der Jungspund die großen Hits von ihm, die er als Nachgeborener so kenne: „Faust auf Faust“ oder „Tausendmal berührt“. Darauf Kunze trocken: „Die sind nicht von mir.“ Auch zwei prominente Songschreiber aus dem Rock- und Bluesbereich leugnen, als wir in trauter Runde über Merkels Politik lästern: „Das denken wir zwar auch, dürfen wir aber nicht sagen.“


Der TV-Sender Arte lädt zur Konzertaufzeichnung mit der Pop-Legende Petula Clark, die vor allem durch ihren Welthit „Downtown“ ein Begriff ist. Unter den gecoverten Songs, die die inzwischen 83jährige vorträgt, ist „Imagine“ von John Lennon, der einer ihrer größten Fans war. Angesichts der queeren Location, dem SchwuZ in Neukölln, frage ich mich, wann endlich die LGBT-Community die Zeile „Brotherhood of man“ skandalisiert – andererseits: Im homoerotischen Sinne paßt es ja wieder. Problematischer ist da schon der Song „Crazy“, dessen Orginalinterpreten mir später keiner der Dutzend Leute, die ich frage, nennen kann. Auch eine junge Frau weiß es zwar nicht, bringt es aber halb resigniert auf den Punkt: „Auf jeden Fall kann man nicht sagen, ob Mann oder Frau.“ Zum Abschluß singt Clark ihren jüngsten Song „Here comes the rainbow“, was wunderbar in diesen Rahmen paßt, mutiert sie damit doch zugleich zu einer queeren Botschafterin.


Einen Konzertbesucher frage ich, ob Berlin-Neukölln eigentlich „Downtown“ sei. Darauf dieser: „Jetzt wohl eher Uptown.“ Gegenüber vom Bartresen diskutieren zwei Besucher nach dem beglückenden Abend über ihre poptheoretischen Erfahrungsschatz. Der eine zum anderen: „Spex war für mich immer: So wenig Spaß kann Musik machen.“