© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Das hat gesessen
Vertrauenskrise: Kritik an ihrer Arbeit haben viele Journalisten zunächst als Hetze abgetan / Mittlerweile beginnt in Teilen der Branche ein Umdenken
Ronald Berthold

Als Pegida-Teilnehmer 2014 begannen, sich über die aus ihrer Sicht einseitige Berichterstattung zu ihren Montagsdemonstrationen zu beschweren, wählten sie dafür den Schlachtruf „Lügenpresse“. Die Medien reagierten schnell, rückten die Vokabel in die Nähe der Nazis, und eine fünfköpfige Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten bestimmte den Begriff zum „Unwort des Jahres“. Ende der Debatte, so hatten viele Redaktionen gehofft.

Doch die „Lügenpresse“ war nicht mehr einzufangen. Im Gegenteil: Die Parole breitete sich aus – weit über Pegida und deren Medienrezeption hinaus; Ukraine-, Flüchtlings- und die Politikberichterstattung generell gerieten durch zunehmende Kritik an deren Wahrhaftigkeit in Bedrängnis.

Journalisten im Ansehen noch hinter Drogendealern

In Auftrag gegebene Umfragen – offenbar, um den Vorwurf ins Leere laufen zu lassen – alarmierten die Medienmacher. Vier von zehn Deutschen meinten, der Pegida-Ruf sei nicht unberechtigt, konstatierte Renate Köcher vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach in der FAZ. Demnach hielten nur 36 Prozent die Berichterstattung über die Asylsituation „für ausgewogen“. Besonders die politisch interessierten Bevölkerungskreise, also die klassischen Nachrichtenkonsumenten, übten vielfach Kritik – zu 58 Prozent.

Die seit Jahren rapide fallenden Auflagenzahlen (JF 18/16) erschienen nun in einem anderen Licht. Mit der Konkurrenz des Internet hatten sich die Redaktionen die bedrohlichen Zahlen bis dahin schöngeredet. Nun mußten sich viele eingestehen, daß dies nur ein Teil der Wahrheit ist. Vor allem die Leitmedien – die großen Zeitungen und Rundfunkanstalten – haben ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem. Inzwischen gehen notgedrungen immer mehr Medienmacher mit sich und der Branche ins Gericht.

Der „Lügenpresse“-Schlachtruf, der mit der NS-Keule gewohnt schnell erledigt werden sollte, hallt nach. Am ernsthaftesten setzt sich Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit ihm auseinander. Er beklagt eine „Tendenz zum Gleichklang“ in der deutschen Medienlandschaft und verschweigt nicht, daß es eine „Medienverdrossenheit im Land“ gebe. Die Journalisten, so der der 57jährige, hätten „selbst zum Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung beigetragen“. Manche Redaktionen bauten eine „Neuauflage des mittelalterlichen Prangers“. Mißtrauen und Häme, die Medien gesät hätten, fielen auf sie zurück: „Wir sollten uns dringender denn je fragen, welche Rolle wir Journalisten in der Gesellschaft spielen wollen“, stellt er fest: „Wir dürfen das einmal in uns gesetzte Vertrauen nicht verspielen.“ Es fallen harte Worte. Di Lorenzo spricht vom „journalistischen Prekariat“. Und die Neue Zürcher Zeitung nennt die deutschen Journalisten „Parias unter dem Verdacht, die demokratische Öffentlichkeit zu beschädigen“.

Selbst an Stern und Spiegel geht die Glaubwürdigkeitsdebatte nicht vorbei. Der Chefredakteur von Stern.de, Philipp Jessen, schreibt: „Journalisten sind in der öffentlichen Meinung ganz unten durch. Oder wie ein Kollege mir heute sagte: ‘Das Sozialprestige von Journalisten liegt derzeit unter dem von Drogendealern.’ Wir stehen noch unter den Politikern. Wir sind ihre Handlanger. Die willfährigen Steigbügelhalter für die Versager in Berlin. Käuflich und dumm.“ Doch Jessens Ausbruch ist mehr Jammern denn Einsicht. Er ergänzt: „Wer von Lügenpresse faselt und brüllt“, habe von Pressefreiheit nichts verstanden. „Wir müssen von Verteidigung auf Angriff schalten (…) Auch laut werden, und wenn es not tut: zurückbrüllen.“

In seinem internen „Innovations-Report“ gesteht der Spiegel ein, daß „wir einen Teil unseres einstigen Nimbus verloren haben“. In dem Papier heißt es: „Wir trugen (und tragen) eine Selbstherrlichkeit vor uns her. Der Besserwisser ist nicht beliebt, unsere Überheblichkeit macht uns unsympathisch.“ Chefredakteur Klaus Brinkbäumer meint, Journalisten hätten manchmal einen „zu elitären Blick auf die Wirklichkeit“. Und in einem Interview mit dem Branchendienst Meedia ergänzt er: „Der Lügenpresse-Vorwurf ist ja in der Welt. Viel angenehmer wäre es zu sagen: alles egal, wir machen einfach weiter. Das geht aber nicht. Dafür ist das zu laut, zu präsent, zu groß. Wir müssen uns erklären.“ Das heißt nicht, daß er die Kritik verinnerlicht: „Die Angriffe sind aber nicht gerechtfertigt und werden es auch durch Lärm nicht.“

Die Politik des „Ja, aber“ verfolgen auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die sehr viel Kritik auf sich ziehen. Eine WDR-Journalistin hatte gar eingestanden, sie und ihre Kollegen seien bei der Berichterstattung in der Flüchtlingskrise „natürlich schon angewiesen, das ein bißchen pro Regierung zu tun“. Die Einwanderungswelle sei „nun einmal in einer eher positiven Weise“ zu betrachten. Dazu paßt, daß der Merkel-Vertraute Armin Laschet (CDU) die Medien für ihre „breite Willkommenskampagne für Flüchtlinge“ lobte. Er sprach voller Begeisterung von „diesem Rausch“. 

Daß sein Team keine ausgewogenen Bilder zeige, räumte „Tagesschau“-Chefredakteur Kai Gniffke ein: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, daß „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Bereits zuvor war Gniffke nach heftigen Zuschauerprotesten unter Erklärungsdruck geraten: „Die Kritik an unserer Ukraine-Berichterstattung hat ein Echo von bislang ungekanntem Ausmaß hervorgerufen“, stellte er verwundert fest. Sein Versprechen, die „Kritik sehr ernst“ zu nehmen, blieb aber ein Lippenbekenntnis, denn mit dem nächsten Satz sagte er das Gegenteil: „Wir widersprechen aber ganz energisch den Vorwürfen einer gezielten Desinformation oder beabsichtigten Manipulation von Informationen.“ Es gebe keinen Grund, sich für Fehler zu entschuldigen oder in der Berichterstattung nun gar „gegenzusteuern“. 

Im Zusammenhang mit der „Lügenpresse“-Diskussion strahlte das Erste die Live-Show „ARDcheck“ aus. Die Intendanten Lutz Marmor und Tom Buhrow stellten sich den Fragen von 150 ausgewählten Zuschauern. Gefühltes Ergebnis: „Wir machen im Grunde alles richtig.“

Zu einer Entschuldigung sah sich aber ZDF-„heute-journal“-Moderator Claus Kleber genötigt, nachdem er in der Flüchtlingspolitik Zweifler mit Fremdenfeinden und Nationalisten in einen Topf geworfen hatte. Erst als ihn die „Hart aber fair“-Redaktion fragte, ob zweifeln nicht auch zu den Eigenschaften von Journalisten gehören müsse, drehte er bei. „Das war fahrlässig moderiert.“ Es sei „ein Fehler und ein Eigentor“ gewesen: „Zweifler bin ich selbst. Schon beruflich.“

Fast zeitgleich mußte der Vize-ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen ein weiteres Versagen erklären. Auch vier Tage nach den Massenübergriffen zu Silvester in Köln hatte die „Heute“-Sendung die Verbrechen verheimlicht: „Die Nachrichtenlage war klar genug. Es war ein Versäumnis“, sagte er. Auch hier ein Aber: Angeblich habe die Redaktion nichts gemeldet, „um Zeit für ergänzende Interviews zu gewinnen“.

Auch über andere Themen berichteten die beiden großen Sender nicht ausgewogen, kritisiert das Focus-Chefredaktionsmitglied Ulrich Reitz: „In Interviews mit AfD-Politikern geht es bei Fragestellern von ARD und ZDF anscheinend oft darum zu versuchen, eigene Vorurteile zu bestätigen.“

Daß sich durch die massive Kritik am Vertuschen – einem zentralen Punkt des „Lügenpresse“-Vorwurfs – etwas ändern könne, hofft der Chefredakteur des Kölner Express, Carsten Fiedler: „Positiv sehe ich die durch diese Vorfälle ausgelöste Debatte über Wahrhaftigkeit und falsch verstandene Politische Korrektheit in der Berichterstattung.“ Journalisten müßten „klar benennen, was Sache ist und dürfen keine falschen Rücksichten nehmen.“ Sein Kollege Peter Pauls vom Kölner Stadtanzeiger plädiert ebenfalls dafür, „die Lebenswirklichkeit abzubilden“. In diesem Zusammenhang kritisierte er sowohl den Presserat, der vorgibt, die Herkunft von Tätern nicht zu benennen, als auch ARD und ZDF: Fernsehsender, die nicht vom Kauf, sondern „von einer Zwangsgebühr leben, können sich dagegen auf dem Pressekodex ausruhen“.

Daß der Chef des Rechercheverbundes von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR, Georg Mascolo, eine Selbstverständlichkeit betonen muß, wundert da kaum. Die wichtigste Regel laute: „Die Geschichte muß stimmen. Unterschlagen werden darf nichts.“ Geschehe dies „aus politischer Rücksichtnahme“, sei es „ein gravierender handwerklicher Fehler“.

Auf die Diskussion über die Einseitigkeit von Journalisten reagierte der Tagesspiegel Ende 2015 mit einem Workshop. Titel: „Was tun gegen die Glaubwürdigkeitskrise der Medien?“ Denn: „Umfragen zufolge hat eine Mehrheit der Deutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien. Die Flüchtlingskrise hat das Gefühl vieler Bürger, nicht richtig oder nicht vollständig informiert zu werden, offenbar verstärkt.“ Doch Chefredakteur Lorenz Maroldt gab dabei auch den Relativierer: „Wer in Deutschland einen Mangel an publizistischer Vielfalt beklagt, hat lange nicht mehr reingeschaut in ‘die Medien’.“ Dennoch sei „es naiv, einen gewissen Konformitätsdruck innerhalb von Redaktionen“ abzustreiten. Gerade im Umgang mit den Themen Flüchtlinge, Islam, Islamismus, Terror gebe es unter Journalisten mehr Agitation als Information: Dies habe „mit einer journalistischen Meinung, die aus unabhängiger Erkenntnis und freier Abwägung besteht, nicht mehr viel zu tun“.

Medien tun sich schwer     im Umgang mit Kritik

Besonders deutlich wird die Kritik in den Mediendiensten, die sich an Journalisten wenden, geäußert. Das Medienkritik-Portal Übermedien stellt fest: „Das Vertrauen in Medien ist dramatisch gesunken.“ Und „etablierte Medien“ täten sich schwer, „mit Kritik umzugehen“. Die Kollegen von Meedia schreiben: „Man spürt auch die gewachsene Entfremdung der etablierten Medien vom Publikum.“ Dieses brauche „die Medien heute weniger als umgekehrt, viele scheinen das aber noch nicht realisiert zu haben“.

Beim Wettbewerber kress.de mahnt der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken: „Die Leser und Zuschauer wollen informiert und nicht beeinflusst werden. Die Menschen merken, daß wir uns zunehmend von der klassischen Berichterstattung verabschieden. Die wollen sich ihre Meinung selber bilden, und damit haben sie durchaus Recht.“