© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

Die Macht der Mitglieder
AfD: Der Programmparteitag in Stuttgart zeigt Chancen und Risiken der Basisdemokratie
Marcus Schmidt

Als Heiko Evermann am Sonntag in die Geschichte der AfD eingriff, hatten noch nicht alle Parteimitglieder in der Halle C1 der Stuttgarter Messe Platz genommen. Doch das AfD-Mitglied aus Schleswig-Holstein hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Der Grund: Am Vorabend hatte der Parteitag als letzten Punkt vor der Unterbrechung die Passage des Leitantrags zur Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern durch die Annahme eines Änderungsantrages im Schnelldurchgang deutlich verschärft. 

War zuvor von einer maßvollen Einwanderung nach qualitativen Kriterien die Rede, sollte nach der Änderung nur noch eine „Beschäftigung von Spitzenkräften“ möglich sein – nicht aber mehr deren Einwanderung. Damit wäre das von der AfD seit ihrer Gründung propagierte Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild vom Tisch. Ein Unding wie Evermann fand. Er stellte den Antrag, das Thema noch einmal neu aufzurollen. Mit Erfolg. Schließlich stimmte die Mehrheit der bis zu 2.400 in Stuttgart anwesenden Mitglieder für die ursprüngliche Passage des Leitantrages.

Der Fall zeigt beispielhaft die Chancen und Risiken, wenn es die Mitglieder einer Partei in der Hand haben, das Programm bis ins Detail mitzugestalten. Innerhalb weniger Minuten kann so ein geschickt formulierter und überzeugend präsentierter  Änderungsantrag die vorausgegangene monatelange Arbeit der Fachausschüsse der Partei, die die Grundlage für den Leitantrag bilden, aushebeln. Gleichzeitig fördert diese Möglichkeit der Einflußnahme die Identifizierung der einfachen Mitglieder mit der Partei.

Aber in der AfD wachsen nicht erst seit der teilweise zähen und mühsamen Programmdiskussion in Stuttgart die Zweifel, ob eine derart kleinteilige Mitgliederbeteiligung auf Dauer sinnvoll ist. Doch es erscheint zweifelhaft, ob die Mitglieder bereit sind, auf diese Form der Mitsprache zu verzichten. „Das ist ein schöner Abenteuerspielplatz für die Mitglieder. Den können Sie eröffnen – aber nie mehr schließen“, sagte AfD-Mitgründer Konrad Adam der JUNGEN FREIHEIT.

In Stuttgart konnte die Parteiführung am Ende mit dem Ergebnis zufrieden sein. Der in der Öffentlichkeit zuvor bereits kontrovers diskutierte Programmentwurf fand im wesentlichen eine Mehrheit. Dies gilt insbesondere für die islamkritischen Passagen des Programms, die auf große Zustimmung stießen. Darin fordert die AfD unter anderem ein Verbot der Vollverschleierung, des Muezzinrufes und von Minaretten. Imame sollen an deutschen Universitäten ausgebildet werden.

Zudem stimmten die Mitglieder unter anderem für ein Ende des Euro sowie einen Austritt Deutschlands aus der EU, wenn sich diese nicht reformieren lasse. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen abgebrochen und eine Bankenunion verhindert werden.

Keine Chance hatten Bestrebungen innerhalb der Partei, die AfD auf einen Austritt Deutschlands aus der Nato festzulegen. 

Kontaktdaten im Internet veröffentlicht

Der Programmdiskussion vorausgegangen war am Sonnabend das für AfD-Parteitage schon traditionelle zeitraubende Ringen um die Tagesordnung. Für einen der denkwürdigsten Auftritte sorgte im Anschluß der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell. Nachdem die Mitglieder den Antrag abgelehnt hatten, darüber abzustimmen, welcher Fraktion Pretzell als Europaabgeordneter nach seinem Rauswurf aus der EKR-Fraktion angehören soll, erklärte er an einem Saalmikrofon seinen Beitritt zur ENF-Fraktion, der auch der Front National und die FPÖ angehören. 

Eine vorläufige Entscheidung gab es  in Stuttgart im Streit um die Auflösung des saarländischen Landesverbandes. Nachdem der Bundesvorstand die Saar-AfD wegen angeblicher Kontakte zu Rechtsextremisten aufgelöst hatte, hob das Bundesschiedsgericht der Partei diesen Beschluß im April vorläufig wieder auf. Der Parteitag bestätigte nun den Auflösungsbeschluß des AfD-Spitze. Damit liegt der Ball wieder beim Bundesschiedsgericht, das jetzt in der Hauptverhandlung über den Fall entscheiden muß. In der Partei wird damit gerechnet, daß es am Ende zu einem Vergleich zwischen dem Bundesvorstand und der Spitze der Saar-AfD kommen könnte.

Ansonsten hielt sich die AfD-Führung wie von der Parteitagsregie geplant, in Stuttgart weitgehend im Hintergrund und überließ den Mitgliedern das Feld. Doch auch so war der schwelende Machtkampf an der Parteispitze zu spüren. Das zeigte schon ein Blick auf die Tagesordnung. Dort wurden „Grußworte des gastgebenden Landesverbandes 

durch Prof. Dr. Jörg Meuthen“ angekündigt, gefolgt von der „Begrüßung durch die Bundessprecherin Dr. Frauke Petry“.

Daß damit einzig Petry auf der Tagesordnung als Parteichefin tituliert wurde, nicht aber ihr Co-Vorsitzender Meuthen, hielten nicht alle für einen Zufall und schon gar nicht für eine Petitesse. Vielmehr wurde dies als Bekräftigung des Führunganspruchs Petrys gesehen – vor allem mit Blick auf die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl im kommenden Jahr.

Daß die AfD ihr Programm nicht nur zur Selbstvergewisserung erarbeitet hat, sondern um weitere Wahlerfolge zu erringen, machten Petry und Meuthen in ihren Reden deutlich. Beide bekräftigten den Anspruch der Partei auf Regierungsbeteiligungen. „Wir wollen Mehrheiten erringen“, sagte Petry. Perspektive der AfD sei nicht die einer ewigen Oppositionspartei. Ähnlich äußerte sich ihr Co-Vorsitzender: „Wir wollen Volkspartei sein und die Geschicke unseres Landes auf längere Sicht mitlenken“, sagte Meuthen. Er unterstrich in seiner Rede die Bedeutung der Programmdiskussion. Dabei gehe es um die DNS der Partei. „Wir wollen weg vom linksrotgrün verseuchten und versifften Deutschland der Achtundsechziger“, gab Meuthen die Richtung vor und erntete dafür in  der Halle stürmischen Applaus. Auf dem Weg zum Programm müsse es auch Streit geben. „Mein Gruselbild schlechthin ist der CDU-Parteitag vom vergangenen Dezember“, sagte Meuthen: „Das war ein reiner Jubelparteitag!“ So etwas werde es in der AfD niemals geben. „Streit gehört dazu, und Meinungsverschiedenheiten müssen sein“, bekräftigte Meuthen. Petry erhob in ihrer Rede den Anspruch, daß die Programmatik der AfD ein Gegenentwurf zum Establishment sein werde. „Die AfD ist das Fieberthermometer einer Gesellschaft, die demokratische Auseinandersetzung wieder lernen muß“, sagte die sächsische Fraktionschefin. Zugleich beklagte sie die anhaltenden Angriffe auf Politiker und Anhänger der AfD. „Das ist ein unhaltbarer Zustand für ein Land, das sich weiterhin als Demokratie begreift“, kritisierte sie.

Am Sonnabend hatten Hunderte Linksextremisten versucht, den AfD-Bundesparteitag zu verhindern. Bereits am frühen Morgen blockierten zum Teil vermummte Personen die in der Nähe der Messehalle liegende Autobahn und attackierten Polizisten. Auch die S-Bahn fuhr lediglich eingeschränkt.  Auf dem Weg zum Parteitagsgelände wurden AfD-Mitglieder bedrängt und angegriffen. Die Polizei war mit mehreren Hundertschaften im Einsatz. Auch Wasserwerfer waren vor der Messehalle zum Schutz des Parteitages aufgefahren.

Am Sonntag ließen sich die Linksextremisten dann nicht mehr blicken. Für große Unruhe unter den AfD-Mitgliedern sorgte statt dessen die Meldung, daß auf einer linksextremistischen Internetseite die persönlichen Kontaktdaten der Parteitagsteilnehmer veröffentlicht worden waren. Zunächst war unklar, ob es sich dabei um ein Datenleck oder um einen gezielten Hacker-Angriff handelte. Meuthen forderte Justizminister Heiko Maas (SPD) auf, endlich gegen linksradikale Internetseiten vorzugehen und diese zu blockieren. Nach Angaben der AfD stellten bereits in Stuttgart hunderte Mitglieder Strafanzeige aufgrund der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Zudem sei während des Parteitages ein bevollmächtigter Rechtsanwalt tätig geworden. Geprüft würden unter anderem die Straftatbestände des Ausspähens und des Abfangens von Daten.