© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/16 / 06. Mai 2016

„Man möchte mit den Zähnen klappern“
Massive Auflagenverluste, Propagierung linker Parolen wie „Refugees welcome“ – Was ist los mit der „Bild“? Jetzt hat ihr ehemaliger Chefredakteur Peter Bartels ein Buch über den Niedergang seiner „einst großen Zeitung“ geschrieben
Moritz Schwarz

Herr Bartels, wollen Sie sich nur an „Bild“ rächen?

Peter Bartels: Was? Mann, so ein Quatsch! Wie kommen Sie darauf?

Der Branchendienst Meedia nennt Ihr Buch „Bild. Ex-Chefredakteur enthüllt die Wahrheit über den Niedergang einer einst großen Zeitung“ ein „Machwerk“ und einen „Haß-Kommentar in Buchform“.

Bartels: Ja, klar ... Wissen Sie, wie egal mir das ist? Umgekehrt wird – vielleicht – ein Schuh daraus: Der Meedia-Beitrag ist ein Haß-Kommentar in Rezensionsform! Die entblöden sich nicht mal, zu behaupten, mein Buch sei „braune Soße“. Na ja, heute ist halt alles braun, was nicht rot, grün oder schwarz-grün ist. Im übrigen geht mir am ... selben ... vorbei, was Meedia schreibt! Nicht erst seit ich den Shitstorm gelesen habe, den sich Meedia damit eingehandelt hat.

Außerdem heißt es, Ihr Buch sei eine „Abrechnung mit ‘Bild’ im allgemeinen ... “

Bartels: Halblang! Das Gegenteil ist der Fall: Ich weine um Bild! Ich habe das Blatt 17 lange Jahre mitgemacht! Wer Bild macht, muß Bild lieben! Wer das nicht tut, der kann diese Zeitung nicht machen! Bischof Remigius hat gesagt: „Bete an, was du verbrannt hast. Verbrenne, was du angebetet hast!“ Das ist mein Dilemma, mehr nicht, aber das reicht.

„ ... und eine Abrechnung mit ‘Bild’-Herausgeber Kai Diekmann im besonderen.“

Bartels: Ach, das ist zuviel der Ehre für „Kaischi“, wie ihn sein damaliger  Chefredakteur Claus Larass gerne anhimmelte. Er hat das Blatt 15 Jahre gemacht – zehn zu lang. Und ich fürchte, Diekmann macht es – trotz der neuen, hübschen Chefredakteurin Tanit Koch – im Grunde immer noch. Aus der Etappe. Im übrigen hat Tanit es selbst gesagt: Alles, was sie über Bild gelernt habe, habe sie von Kai gelernt. Da möchte man mit den Zähnen klappern.

„Bild“ ist immerhin noch die größte deutsche Tageszeitung.

Bartels: Seit Einstein wissen wir, daß nicht nur Zeit relativ ist. Und natürlich sieht der Einäugige mehr als der Blinde. Und überhaupt fahren nachts die Züge schneller als auf Schienen ... Seriös: Bild war mal groß, hatte tatsächlich auch mal eine – meist unterstellte – „Macht“! Bild heute? Tempora mutantur! Ernsthaft: Als Hans-Hermann Tiedje mich 1991 feuern ließ, hatten wir eine Auflage von 4,86 Millionen. Täglich! Heute liegt sie noch bei knapp 1,9 Millionen. Fast drei Millionen Käufer sind weg. Jeden Tag! Einfach so, verdampft, verschwunden! Das ist Weltrekord. Dieser Orden wider den trauernden Leser gehört Kai Diekmann. Diekmann, der 2001 Chefredakteur wurde, hat bis heute um die 57 Prozent Auflage verloren! Darum nenne ich ihn in meinem Buch „Totengräber“. Bild ist vor allem ein Opfer seiner Eitelkeit, seiner Faulheit. In Bonn war Kai Parlamentsberichterstatter, also Hofberichterstatter, vulgo: Schranze! Und diese Leisetreter und Nickesel wollten zu keiner Zeit dem Fürsten mißfallen. Diekmanns Fürst war und ist Helmut Kohl, sein Vater der Einheit, sein Trauzeuge. Von ihm bekam er Anerkennung. Der einst Schwarze Riese war sein Tor zum Establishment, zu Politik, Medien und Wirtschaft.

Diekmann hat Meedia allerdings eine E-Mail aus dem Jahr 2014 präsentiert ... 

Bartels: ... in der ich ihn lobe. 

Eben.

Bartels: Ich habe ihn nicht nur einmal gelobt – immer wenn ich glaubte, hoffte: Jetzt hat er’s! Leider hielt’s nie lange an. 

Wörtlich haben Sie geschrieben: „Lieber Kai, es war ein großer Sieg. Es ist eine große Zeitung, die Du gemacht hast. Vielleicht die größte. Herzlichst ...“ Das klingt allerdings sehr schöntuerisch.

Bartels: Schwärmerisch! Arschkriecherisch! Ja und? Es traf für diese eine Ausgabe wahrscheinlich wirklich zu. Und deshalb war es auch vollkommen ehrlich! Wenn einer hundert Tage ein beschissenes Blatt macht und dann plötzlich eine großartige Ausgabe liefert ...  dann bin ich nicht hochmütig genug, das nicht anzuerkennen. Dann bekommt der von mir Lob! Natürlich auch in der Hoffnung, daß er sich das „gelobte Blatt“ noch mal genau anschaut – vielleicht, weil er denkt: „Warum bekomme ich von diesem alten Arsch plötzlich ein Lob?“

Diekmann sagt, Sie seien vermutlich nur deshalb schlecht auf ihn zu sprechen, weil er Ihnen einen Journalistenausweis inklusive Presseschild fürs Auto verweigert habe. 

Bartels: Schlechte Bild-Redakteure waren immer „gute“ Geschichtenerfinder – frag nach bei Wallraff! Erstens zahle ich meinen Scheiß selbst, brauche keinen „Presserabatt“ via Presseausweis mehr. Und da er Tiedjes Vorschlag, mich in eines seiner Hinterzimmer zu setzen („lesen, denken, vorschlagen lassen“), eh nicht zu realisieren beabsichtigte – wozu hätte ich dann wohl ein Presseschild fürs Auto gebraucht? Ein typischer Kaischi-Kalauer.

Was hat Diekmann nach Ihrer Ansicht falsch gemacht? 

Bartels: Jeder Marktforscher predigt, daß Politik den Boulevard-Leser eigentlich nur interessiert, wenn irgendein Justizminister mehr als einmal mit irgend einer Schauspielerin ertappt worden ist. Oder ein Männlein von Staatspräsident mit Sturzhelm und Lambretta durch die Pariser Nacht zur Geliebten brettert. Wenn die „Götter“ zu Menschen werden – das will der Bild-Leser wissen! Aber das isses dann auch. Natürlich erzählen die Leser bei jeder Umfrage, daß Politik gaaaanz wichtig fürs Blatt ist! Und Wirtschaft! Und Kultur! Ja, Scheiße! Die Wahrheit ist: Es interessiert sie einen Dreck. Es gab überhaupt nur eine kurze Zeit, da konnte man mit Politik tatsächlich Auflage machen. Es waren die Tage, Wochen, Monate der Wiedervereinigung. Weil das ein Jahrhundertereignis für achtzig Millionen Deutsche war. Der Rest – von Wulff bis Guttenberg – war Eintopf. Läuft, solange die Suppe heiß ist. Danach beginnt das große Gähnen.

„Bild“ hat doch schon immer Politik gemacht. Ende der Sechziger etwa war sie gar ein politisches Kampfblatt.

Bartels: Und das war auch schon damals ein Fehler. Auch da liefen die Leser davon. Nicht weil sie für die aufmüpfigen Studenten waren (im Gegenteil). Aber irgendwann kannte auch der letzte Leser die letzten nackten Ärsche aus der Kommune 1, den allerletzten Spruch vom Muff unter den Talaren. Overkill, nannte man, was der damalige Bild-Chef Peter Boenisch Kommentar für Kommentar rausbrüllte. Und dabei war der ein begnadeter Boulevard-Mann. Er erlag bloß zu früh der Droge vieler Chefredakteure: Eitelkeit, Einfluß, Macht. Auch wenn sie nur eingebildet, geduldet ist. Und so sackte Bild damals von 4,5 Millionen auf drei Millionen Auflage! Und Axel Springer spielte mit dem Gedanken, das Blatt einzustellen. Zum Glück fand er Günter Prinz. Der war zwar nicht so schön wie „Pepe“ Boe-nisch, aber er war ein Chefredakteur.Und was für einer! Und er war fleißig. Wie wir alle damals gelitten haben! Aber Prinz brachte Bild wieder auf Kurs. 

Aber ist denn wirklich Diekmann an den massiven Auflagenverlusten schuld. Ist es nicht vielleicht das Internet?

Bartels: Die Lieblingsausrede aller Chefredakteure! Das Internet! Diese Litanei wird von allen runtergeflennt.

Vielleicht weil es wahr ist?

Bartels: Früher war es der Streik, die Arbeitslosigkeit, der verregnete Sommer, der zu heiße Sommer! Und im Winter die „Schneewalze“. Chefredakteure sind um Ausreden nie verlegen. Die beste von allen war: die Preiserhöhung. Und sie ist die einzige, die wirklich gilt.

Aber die Substituierung von Print durch Online ist doch eine Tatsache – das können Sie doch nicht leugnen?

Bartels: Mein Lieber – das will ich ja auch gar nicht. Aber ich sage Ihnen, warum das im Fall Bild nicht der Grund ist: Das Internet ist jung, Bild aber ist alt. Bild-Leser sind seit jeher vierzig, fünfzig, sechzig Jahre bis scheintot. Ob das gefällt oder nicht – es  waren und sind die Bild-Leser! Das Internet hat zwar inzwischen auch die ersten Sechzigjährigen erreicht – aber meßbar, interessant, frühestens seit fünf Jahren oder so. Nein, Print-Leser und Pad-User, das ist wie erdgeschichtlich Karbon- und Kreidezeit. Das gilt jedenfalls für die ersten zehn Diekmann-Jahre. Nein, es ist nicht in erster Linie das Internet. Es ist zum Beispiel, daß Diekmann und sein penetrantes „Refugees welcome“ nicht nur St. Pauli auf den Sack geht. Es nervt und verjagt auch seine Leser. Wir haben seinerzeit nie versucht, das „Volk“ – also die Bild-Leser – umzuerziehen. Wir haben „Ein Herz für Kinder“ erfunden, ja. Weil wir nicht mehr hinnehmen wollten, daß jährlich 1.250 Kinder auf der Straße totgefahren werden (Weltrekord!). Das war zwar auch eine Art Erziehung. Aber da machte jeder Autofahrer, jeder Leser (und fast jeder Fußballverein!) mit. Und am Ende waren es „nur“ noch 450 tote Kinder. Wenn Diekmann mit Moslem-Mama Merkel sich über 1,2 Millionen Flüchtlinge freut, Selfies macht, Sonder-Bild-Zeitungen auf arabisch druckt und verteilen läßt, wissen die Menschen nur noch eines: Ich, unser Sozialsystem, muß die durchfüttern! Und wenn ich Fragen stelle, dann bin ich ein „Nazi“!

Also hat ein Blatt wie „Bild“ keinen politischen Standort?

Bartels: Was glauben Sie, warum Ihre JUNGE FREIHEIT oder die taz auch nach Jahrzehnten noch im Zehntausender-Bereich herumkrauchen und auflagenmäßig den Arsch nicht hochkriegen? Weil sie politische Blätter sind! Das ist ja auch gut. Sie sind, wie Sie sind, und keiner will Sie ändern. Aber Medien, die ein politisches Bekenntnis vom Leser verlangen, sind und bleiben Nischenprodukte. Das aber ist keine Basis für ein Massenmedium. Der Bild-Zeitung wird immer unterstellt, sie sei „rechts“ gewesen. Quatsch! Bild war nie rechts, und sie wird auch nie links sein, Bild war und wird immer Mitte sein. Wie Deutschland auch. Das gilt für CDU und SPD. Sogar für die Grünen. Das ist die signifikante Mehrheit. Würden die Stegners, Maas und Merkels das begreifen, wäre die eine wieder Volkspartei und die andere würde es auch noch eine Weile bleiben. Und die AfD könnte nach Papua-Neuguinea auswandern. Allen Bild-Lesern ist ein Grundrauschen gemeinsam. Und das ging zu meiner Zeit so: Ich, der Käufer, bin Deutscher. Ich will, daß die Polizei für Sicherheit und Ordnung sorgt. Und mich in Ruhe läßt. Ich habe ein Häuschen oder will mir eines bauen. Ich liebe mein Gärtchen und Fußball. Und natürlich meine Frau, klar. Und meinen Hund. Mein Auto sowieso, Niki Lauda und Schumi auch. Sogar Tennis, wenn Boris oder Steffi gewinnen. Ich will mich manchmal über meinen Nachbarn aufregen und über die Politiker. Aber eigentlich will ich meine Ruhe. Und mein Bier. – So etwa! Bild, das ist ein Lebensgefühl und nicht Politik. Das teilten rechte CDU-Wähler ebenso wie „Es-Pe-De“-Leser im Pott, bei denen „Willy“ silbergerahmt auf der Gelsenkirchner Barockvitrine stand. Und Bild hatte eine Auflage wie sonst nur die Bibel!

Demnach wäre Diekmanns Fehler allerdings nicht, „Bild“ nach links zu rücken, sondern daß er überhaupt Politik macht?

Bartels: So isses! „Links“ heute heißt ja grüner als Roth, roter als Gysi. Links bei Bild hieß früher SPD. Punkt. Das kapieren weder Diekmann noch Gabriel. Aber sein Fehler war ja nicht nur die Politik, der Kai machte ja auch brutale handwerkliche Fehler. Etwa die Gespreiztheit des von ihm offenbar bewunderten britischen, „sophisticated Sound“ – etwa als er anfing, mit zwei- bis dreideutigen Überschriften Bildung demonstrieren zu wollen. Egal ob Politik oder Verspieltheit – Diekmanns Zielgruppe waren nicht mehr die für die Zeitung typischen Leser, sondern jene Menschen, die Diekmann für wichtig hält: Polit-Promis, Geld-Grafen – denen er mit Bild zeigen wollte: Wir sind gar nicht so, wie ihr denkt, wir sind eigentlich wie ihr! Früher wurden die Bild-Macher vom Establishment verachtet – weil sie ein Blatt für die einfachen Leute machten. Heute dagegen beachten immer mehr einfache Leute Bild nicht mehr – weil deren Macher zu oft nur noch sich selbst wichtig sind.






Peter Bartels, war insgesamt 17 Jahre bei der Bild-Zeitung; zuletzt ab 1989 gemeinsam mit Hans-Hermann Tiedje deren Chefredakteur. 1991 übernahm er die Bild-Konkurrenz Super! aus dem Hause Burda/Murdoch. Er beriet den RTL-Manager Helmut Thoma, leitete die österreichische Boulevardzeitung täglich Alles – zeitweilig nach der Krone die zweitgrößte Tageszeitung der Alpenrepublik –, übernahm für den Bauer-Verlag den Neustart der ehemaligen Neuen Revue und produzierte zehn Jahre lang, zusammen mit Dieter Thomas Heck, jährlich die große ZDF-Galashow „Ein Herz für Kinder“. Begonnen hat Peter Bartels, 1943 in Schönwald bei Gleiwitz/Oberschlesien geboren, als Polizeireporter der Bild in Süddeutschland und als Redakteur beim Kölner Express. Ab 1988 leitete er die Abteilung Neuentwicklung des Springer-Verlags. Nun ist im Kopp-Verlag sein Buch „Bild. Ex-Chefredakteur enthüllt die Wahrheit über den Niedergang einer einst großen Zeitung“ erschienen.  

Foto: Transparent am Springer-Hochhaus in Berlin: „‘Bild’ hatte eine Auflage wie sonst nur die Bibel! ... Und heute? Fast drei Millionen Käufer täglich weg! Einfach so! Verdampft! Verschwunden!“

 

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