© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Haltungsnote
Das besondere Lied
Christian Rudolf

Interpreten, die beim Liederwettbewerb der Eurovision (ESC) seichte Weisen daherträllern, gibt es wie Sand am Meer. Anders mit dem Lied, das in diesem Jahr die Ukraine vor der Welt repräsentiert: „1944“. Schon der Titel des Stückes läßt aufhorchen. Und durch den Refrain auf krimtatarisch wird diese Turksprache bei der 61. Ausgabe des Wettbewerbs erstmals zu hören sein. Die 32 Jahre alte ausgebildete Vokalistin Susana Dschamaladinowa kam in Kirgisien zur Welt und ist väterlicherseits krimtatarischer Abstammung. Jamala, wie ihr Künstlername lautet, besingt so deutlich, wie es die Richtlinien des Wettbewerbs nur zulassen, die Deportation der Krimtataren nach Zentralasien. Innerhalb dreier Tage ließ Stalin im Mai 1944 etwa 189.000 von ihnen unter fürchterlichen Bedingungen wegschaffen. In dem selbstkomponierten Lied besingt sie zart das Schicksal ihrer Urgroßmutter und ihres Volkes: „Als Fremde kamen in euer Haus ... Ich konnte meine Jugend dort nicht genießen, weil ihr mir meine Welt wegnahmt“. Zu Beginn der Neunziger konnte ihre Familie auf die Krim zurückkehren. Als Jamala ihr Lied nun in der Philharmonie von Odessa als Zugabe sang, sei sie von den Leuten sofort verstanden und dankbar angesprochen worden.