© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Drei Flaschen Bier zum Frühstück
Kriminalität: Der Mann, der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker niedergestochen hat, schildert vor Gericht Einzelheiten der Tat
Hinrich Rohbohm

Zum Prozeßauftakt hatte er sich noch einen Aktenordner vor das Gesicht gehalten (JF 17/16). Jetzt zeigt sich Frank S., der im vergangenen Jahr die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker niedergestochen hatte, ohne Scheu den Kameras. Er will über die Motive seiner Tat sprechen, sagt er. Ein Satz, der seine Anwälte nervös macht. Denn S. solle eigentlich zum Tathergang aussagen. Das jedenfalls scheint die Marschroute der Verteidigung zu sein. Hektisch flüstern sich Angeklagter und Verteidiger einige Sätze zu. Dann steht fest: S. wird nicht über seine Motive reden, nur über den Tathergang.

Er habe sich am Abend vor der Attacke die Wahlkampftermine von Reker ausgedruckt, erzählt er. Da hatte er sich bereits fest vorgenommen, die Frau niederzustechen. „Erst hatte ich ja nur das kleine Butterflymesser in Betracht gezogen. Aber dann sah ich, daß ich noch dieses Rambo-Messer hatte, es sollte ja besonders martialisch aussehen.“ Er habe es aus nostalgischen Gründen besessen. Weil er als 16jähriger mal einen Rambo-Film gesehen hatte, habe er es sich angeschafft. „Sehen Sie, das waren damals die neunziger Jahre, da war noch nicht alles politisch korrekt, da gab es noch Chuck Norris und so, da hatten die Leute noch Wurfsterne zu Hause.“ Die Tat habe nicht „blutig und grausam“, sondern „theatralisch“ sein sollen. In Wirklichkeit sei das Messer gar nicht richtig scharf.

Ungläubiger Blick der Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza. „Sie meinen doch dieses Messer“, sagt sie und zeigt ihm die Tatwaffe. „Ja, das ist vollkommen stumpf, Sie können mal auf die Spitze drauffassen.“ „Den Teufel werde ich tun“, entgegnet die Richterin irritiert.

S. sei sich bis zuletzt nicht sicher gewesen, ob er „die Sache wirklich durchziehen“ wolle. Er habe die Tat als „letzte Möglichkeit gesehen, etwas zu bewegen“. Gefrühstückt habe er an dem Morgen nicht, stattdessen drei Flaschen Bier zum „Enthemmen“ getrunken. Auf dem Weg zum Tatort habe er eine angetrunkene Deutsche gesehen, die von einem Schwarzen bedrängt worden sei. Warum er da nicht eingeschritten sei, will die Richterin wissen. „Man weiß ja, was dabei herauskommt, dann heißt es, böser Rechter bedrängt armen Flüchtling.“ An Reker habe ihn geärgert, daß „die immer nur in Schickeria-Vierteln“ Wahlkampf gemacht habe.

Dann kommt S. auf die Tat zu sprechen. S. erhebt sich überraschend von seinem Platz, führt vor, wie er mit dem Messer zugestochen hatte. Danach habe er die Waffe gleich weggeworfen, versichert er. „Damit war die Tat für mich erledigt.“ Er habe ein Zeichen setzen wollen. Unmittelbar danach habe er eine Menschenmenge auf sich zulaufen sehen. Da habe er das Butterfly-Messer gezückt, um sich die Leute „vom Hals zu halten.“ „Ich wollte mich nicht lynchen lassen.“ 

Vier weitere Menschen verletzt

Als er gemerkt habe, daß die Leute zurückgewichen seien, habe er auch das Butterfly-Messer sofort weggeworfen. „Ich wollte doch keine unschuldigen Leute verletzen.“ Als die Menge auf ihn zugerannt kam, habe es bei ihm jedoch eine „Kurzschlußreaktion“ gegeben. Bei der „Kurzschlußreaktion“ waren vier Menschen verletzt worden.

Richterin Havliza spricht ihn auch auf seine E-Mailadresse an. Berserker1488@t-online. Noch bis 2003 hatte er sie genutzt. Wie er auf diese Adresse gekommen sei, könne er nicht mehr sagen. „Ihnen ist natürlich klar, daß die Zahl 1488 belegt ist und Heil Hitler bedeutet“, sagt Havliza. „Das ist Ihre Interpretation, nicht meine“, entgegnet S., der in einer Pflegefamilie aufgewachsen war, und unter dieser gelitten habe, wie er sagt. Des öfteren sei er geschlagen worden. „Das hat schon mal heftig gescheppert“, dabei habe zumeist er im Fokus gestanden. Der Vater sei zwei Meter groß und „furchterregend“gewesen. Oft habe schon ein falsches Wort gereicht, um Prügel zu beziehen. Im Keller habe der Vater einen Schießstand mit Waffen aus Afrika gehabt. Einmal sei der Streit zwischen ihm und seinem Pflegevater dermaßen eskaliert, daß dieser eine Waffe hochgeholt und ihn aufgefordert habe, das Haus zu verlassen. „Schieß doch“, will Frank S. damals gerufen haben. 

Ein als Zeuge geladener Psychiater soll im Verlauf des Prozesses darüber Auskunft geben, inwieweit Frank S. als schuldfähig gelten kann.