© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/16 / 29. April 2016

Rückschlag für die Vorwärtsverteidigung
Innere Sicherheit: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz steht die Terrorabwehr auf dem Prüfstand
Christian Schreiber

Am Dienstag setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Zeichen. Zusammen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU)  besuchte sie in Berlin das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrums. Dort koordinieren die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern seit 2004 ihre Vorwärtsverteidigung gegen den internationalen Terrorismus. Ganz offensichtlich mit Erfolg. Bislang blieb Deutschland von einem großen Terroranschlag verschont. Mit ihrem Besuch wollte die Kanzlerin die Arbeit der Sicherheitsexperten würdigen. Doch nicht erst seit den Anschlägen von Brüssel wird in Berlin darüber diskutiert, die Sicherheitsgesetze weiter zu verschärfen. 

Richter kritisieren Weitergabe von Daten

Mitten in die aktuelle Debatte platzt jetzt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die 2008 beschlossene Verschärfung des Bundeskriminalamtgesetzes (BKA-Gesetz)  zumindest teilweise für verfassungswidrig erklärt wurde. Der Gesetzgeber hat nun bis 2018 Zeit, eine neue Rechtsgrundlage zu schaffen. Die Befugnisse der Behörde zur heimlichen Überwachung greifen in der Praxis unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein, urteilten die Richter. So fehle es zum Teil an flankierenden rechtsstaatlichen Absicherungen, „insbesondere zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung“. Das Karlsruher Gericht hatte eine Sammelklage verhandelt. Antragsteller waren unter anderem der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Hauptkritikpunkt der Kläger waren vor allem Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger. Um Terroranschläge zu verhindern, dürfen die Ermittler seit 2009 unter anderem Wohnungen verwanzen und mit Kameras ausspähen. Das reformierte BKA-Gesetz ist auch Grundlage für den Bundestrojaner, eine eigens entwickelte Software, die auf der Computerfestplatte eines Terrorverdächtigen Daten zum Beispiel aus Chats abschöpft.  Der stellvertretende Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof hält dies zwar im Grundsatz für mit den Grundrechten vereinbar. Die konkrete Ausgestaltung der Befugnisse durch den Gesetzgeber sei aber in verschiedener Hinsicht ungenügend. Der Senat habe „in etlichen Einzelvorschriften unverhältnismäßige Eingriffe festgestellt“, sagte er dem Focus. Die Richter kritisierten zudem die Weitergabe gewonnener Daten an andere Dienste. Die Übermittlung von Daten ohne einen konkreten Verdacht an andere inländische Behörden sei verfassungswidrig. „Die Regelung beschränkt die Übermittlung von Daten aus einer Wohnraumüberwachung oder Onlinedurchsuchung nicht auf die Verfolgung gewichtiger Straftaten“, heißt es in dem Richterspruch. Die Befugnisse des BKA zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzämter, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND) seien zudem „unverhältnismäßig weit“.

FDP-Politiker Baum befürchtet, daß das BKA auf dem Weg zu einer Art deutschem FBI sei: „Am Ende steht eine schlagkräftige nationale Polizei mit geheimdienstähnlichen Befugnissen. Eine solch starke Zentralpolizei sollte es in der Bundesrepublik aber nach den Erfahrungen mit der Gestapo während der Nazi-Zeit nicht geben“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.  Bis 2008 war das BKA eher eine Koordinationsstelle für einzelne Landesbehörden. So war es zum Beispiel für die Pflege der Waffendatenbank und Antiterrordatei verantwortlich. 

Vertreter der Polizei äußerten sich enttäuscht über das Urteil. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK)hatte auf einen Freibrief aus Karlsruhe gehofft und zusätzliche Befugnisse bei der digitalen Jagd nach Verbrechern gefordert. „Die Sicherheitsbehörden dürfen vieles in der analogen Welt, was sie in der digitalen nicht dürfen“, sagte der BDK-Bundesvorsitzende André Schulz der Welt: „Es ist hysterisch, wenn immer gleich mit der Keule Überwachungsstaat geschwungen wird.“

Das Gericht hatte zudem festgestellt, daß  die Überwachung einer Person außerhalb ihrer Wohnung, etwa mit Peilsendern oder durch V-Leute, nur zulässig sei, wenn eine „konkrete Wahrscheinlichkeit“ bestehe, daß diese Person „in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht“. Daß langfristige Observationen laut Gesetz ohne eine richterliche Genehmigung bis zu einem Monat lang möglich sein sollen, kritisierten die Richter ebenfalls als „unzureichend“.

De Maizière äußerte sich kritisch zu dem Richterspruch. Er nehme das Urteil zur Kenntnis, es sei zu respektieren und umzusetzen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Das Gericht habe jedoch Bedenken geäußert, die er nicht teile und die den Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht erleichterten. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erinnerte allerdings daran, „daß fast jedes Sicherheitsgesetz der großen Koalition vom Bundesverfassungsgericht einkassiert“ werde: „Ich hoffe, daß die Bundesregierung endlich daraus lernt“, sagte sie dem MDR.