© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Knapp daneben
Die Menschlichkeit verstummt
Karl Heinzen

Die Zahl der privaten Beiträge auf Facebook soll in jüngster Zeit um 20 Prozent zurückgegangen sein. Wer Nutzer ist, hat den Eindruck, daß der Schwund weit größer sein dürfte.

Dieser Trend muß alarmieren. Noch vor wenigen Jahren war Facebook eine Oase der Menschlichkeit. All die vermeintlich großen Fragen aus Politik und Gesellschaft, die in den überkommenen Medien breitgewalzt werden, obwohl sie kaum jemanden berühren, spielten so gut wie keine Rolle. Was zählte, war das wirkliche Leben, waren die Freuden und Sorgen, aber auch die peinlichen Momente des Alltags. Man konnte Anteil nehmen am Leben seiner Freunde, sah, was bei ihnen auf den Tisch kam oder wie herrlich die Sonne in ihrem Urlaub schien, las die Witze, über die sie lachten, und erfuhr von der Musik, die ihnen gerade aus dem Herzen sprach.

Aus einer Spielwiese der unbekümmerten Freiheit ist ein Instrument der sozialen Kontrolle geworden.

Heute jedoch ist Facebook ein entmenschtes Medium wie alle anderen auch. Idioten, die man in einem schwachen Moment per Klick zu Freunden deklariert hat, spielen sich mit mangelhafter Orthographie zu politischen Kommentatoren auf und verlinken auf Artikel oder Videos, die einen gar nicht interessieren. Die endlose Abfolge solchen Blödsinns wird nur noch durch fade Reklame von Konzernen unterbrochen, denen irgendwer erzählt hat, sie könnten hier ihre Kunden persönlich ansprechen. Es ist daher kein Wunder, daß viele die Lust verloren haben, in diese Kakophonie hinein noch etwas Persönliches zu posten.

Ihr Verstummen hat aber noch einen anderen und viel gewichtigeren Grund. Die Menschen fühlen sich nicht länger unbeobachtet, wenn sie auf Facebook unterwegs sind. Nicht nur die Politik ist hier auf der Jagd nach Dissidenten. Auch Arbeitgeber und Schulen halten die Augen auf. Aus einer Spielwiese der unbekümmerten Freiheit ist ein Instrument der sozialen Kontrolle geworden. Alles, was man postet, kann gegen einen verwendet werden. Wer die Geschmeidigkeit aufbringt, die man zum Fortkommen in totalitären Regimen benötigt, vermag dies zu seinem Vorteil zu nutzen, indem er heuchelt und lügt. Wer dazu nicht die Chuzpe aufbringt, ist zum Schweigen verurteilt.