© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Naives Prinzip Hoffnung
Eine „Streitschrift“ eines Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ lobt die vielen Vorteile der Massenmigration in den höchsten Tönen
Ansgar Lange

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) steht nicht im Verdacht, Angela Merkels Flüchtlingspolitik gegenüber allzu kritisch eingestellt zu sein. Insofern überrascht es nicht, daß Marc Beise, Leiter der Wirtschaftsredaktion der SZ, sein aktuelles Buch mit der Überschrift „Wir brauchen die Flüchtlinge!“ versehen hat. Obwohl Beise betont, daß er das Thema Flüchtlingskrise vor allem unter ökonomischen Aspekten betrachten will, gehen doch manchmal die moralischen Gäule mit ihm durch.

Auch wenn sich das Münchner Blatt wie so viele andere vermeintlich „kritische“ Medien den Blick von regelrechtem Haß auf die CSU und Horst Seehofer im sesonderen trüben läßt, so kann man doch feststellen: Der Autor sieht die deutsche „Willkommenskultur“ zwar als Wettbewerbsvorteil, kann aber nicht abstreiten, daß es so etwas wie eine Obergrenze für Flüchtlinge geben muß. In seinem Fazit kommt er nämlich zu dem Schluß, daß der Merkelsche Satz „Wir schaffen das!“ nur bedingt zutrifft: „Auch die zweite Million (an Flüchtlingen; A. L.) wäre zu verkraften, vielleicht auch die dritte. Aber natürlich, irgendwann geht das nicht mehr gut. Das ist offensichtlich, und das wird auch von kaum jemandem bestritten.“

Migration wird als Chance gesehen, kaum als Gefahr

Zur Öffnung der Grenzen in der Nacht vom 4. zum 5. September 2015 sieht Beise „keine menschenwürdige Alternative“. Die Szenen am Münchner Hauptbahnhof seien „zum Symbol mitfühlender Politik“ geworden. Ein paar Monate später könnte man auch deutlich nüchterner feststellen: Sie waren Ausdruck einer auch medial gesteuerten Massenekstase, die nicht lange vorhielt. Willkommenskultur als verspätetes Sommermärchen. Auf den kurzen Rausch folgte dann ein heftiger Kater, der sich zu Silvester in Köln zu heftigem Magen- und Kopfschmerz verdichtete.

Beise betet letztlich das Mantra der Wirtschafts- und Handwerksverbände nach. Zuwanderung wird als Chance gesehen, kaum als Gefahr. Man spekuliert auf neue Arbeitskräfte, die dann irgendwann tüchtig Steuern und Sozialabgaben zahlen sollen. Bei dieser rein ökonomischen Betrachtung des Phänomens sollte man daran erinnern, daß die demographischen Probleme unseres Landes wohl eher durch eine bessere Familienpolitik und eine interessengeleitete und gezielte Zuwanderungspolitik zu lösen wären, die sich einzig danach ausrichtet, was Deutschland braucht. Flüchtlinge sind nicht dazu da, unsere demographischen Probleme zu lösen. Außerdem sollten sie in ihre Heimatländer zurück, wenn die dortigen Verhältnisse stabilisiert sind.

Die auf uns zukommenden massiven Probleme in den Kommunen verniedlicht Beise systematisch. Wenn jugendliche Flüchtlinge in die Schulen kommen, macht das den Unterricht einfach „offener, interkultureller“. Und der Autor scheut sich auch nicht, ziemlich primitiv zu argumentieren, die Deutschen hätten nun die tolle Chance zu beweisen, daß sie aus der NS-Zeit gelernt haben und moralisch integer sind. Es fragt sich, wie oft diese moralische Keule noch geschwungen werden soll.

Für einen linksliberalen Journalisten völlig überraschungsfrei negiert Beise, daß es Politikversagen gegeben hätte. Die Grenzen könnten selbstverständlich nicht dichtgemacht werden. Ein naives Prinzip Hoffnung durchweht die rund 80 Seiten der „Streitschrift“.

Die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist in der Logik Beises eine Art Allheilmittel. Er fordert uns dazu auf, groß und neu zu denken, was immer das auch heißen mag. Wir befinden uns auf dem „Weg zu einem neuen Deutschland“, über den allerdings keine demokratische Abstimmung stattgefunden hat. Nur wenn es um die böse CSU und den noch böseren Viktor Orbán geht, dann ist für solches große Denken kein Platz. Dann wird das ganz kleine Karo bemüht.

Ob die vornehmlich muslimischen Flüchtlinge der rein ökonomischen Logik Beises folgen werden, bleibt dahingestellt. Es wäre schön, wenn unser Land am Ende viele neue fleißige Facharbeiter und kleine Steve Jobs erhalten würde, und die Ereignisse in Köln oder Kiel nur Einzelfälle wären.

Marc Beise: Wir brauchen die Flüchtlinge! Zuwanderung als Herausforderung und Chance: Der Weg zu einem neuen Deutschland. Süddeutsche Zeitung Edition, München 2015, broschiert, 88 Seiten, 4,90 Euro