© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Heilserwartung an den neuen Ostblock
F. William Engdahl beklagt westliche Einflußpolitik und Rußlands neue Rolle im eurasischen Block
Thomas Fasbender

Wer mischt die Karten in der Geopolitik?“ fragt der Autor im Untertitel und verrät sogleich die Antwort. Schließlich hat der erste Nato-Generalsekretär, der Brite Hastings Ismay, schon Anfang der fünfziger Jahre erklärt, Zweck der Allianz sei, „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“.

Der Satz verrät viel von der strategischen Weitsicht der Westmächte wenige Jahre nach dem Krieg. Es ist diese Demonstration hegemonialen Selbstbewußtseins, an der F. William Engdahl, gebürtiger US-Amerikaner und Wahldeutscher seit 1984, sich regelrecht aufreibt. Auch nach 250 Seiten weiß der Leser nicht recht: Verübelt der Autor seinem Herkunftsland, daß es politische Interessen anstelle von Moral zum Fluchtpunkt der Politik macht, oder wirft er ihm eigentlich nur vor, dabei immer gröbere Schnitzer zu machen?

Unverkennbar ist, daß Engdahl die US-Außenpolitik spätestens seit der Machtübernahme der Neokonservativen unter George Bush senior für dumm und töricht hält. Dumm und töricht, immer wieder fallen die beiden Worte, wenn er die amerikanische und die westliche Politik beschreibt. Auch, daß Washington sich ins Knie schießt, daß die US-Strategie nach hinten losgeht, Amerikas Politik gescheitert und die US-Oligarchie in der eigenen Schlinge gefangen ist. Die Washingtoner Politik, so heißt es an einer Stelle, werde von dummen Leuten betrieben, die Intelligenz verachteten – „Tunnelblick-Kriegsfalken (…) keine intelligenten Menschen“.

Interessante Fakten über die „Demokratisierungspolitik“ 

Wer Verschwörungstheorien per se ablehnt, wird nicht einmal das Vorwort bis zum letzten Satz lesen, geschweige denn die übrigen 44 kurzen Kapitel. Und das ist eigentlich bedauernswert. Nicht, weil Engdahls Schlußfolgerungen überzeugend wären, sondern weil viele der von ihm abgehandelten Fakten durchaus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sein sollten.

Wobei es weniger um die US-amerikanische Eurasien-Strategie geht – die kann jeder in den Büchern von Zbigniew Brzezinski oder George Friedman nachlesen. Viel interessanter – und gerade in Deutschland kaum diskutiert – sind die Fäden im Netzwerk US-gesponserter Nichtregierungsorganisationen, die im Namen von Freiheit und Demokratie die westliche Agenda propagieren. Unter dem Deckmantel der „Zivilgesellschaft“ und mit privilegiertem Medienzugang prägen diese NGOs unsere Wahrnehmung der Welt: Wer ist gut und wer ist böse, wer darf bomben und wer nicht, wer verdient Unterstützung und wer gehört weg? Im Zentrum: das National Endowment for Democracy (NED), das über Ableger und indirekt finanzierte NGOs in aller Welt die Szenarien für Farbenrevolutionen und Regierungswechsel orchestriert. 

Engdahl kennt das Interview mit dem NED-Paten Allen Weinstein im Jahr 1991: „Viel von dem, was wir heute tun, wurde vor 25 Jahren verdeckt von der CIA getan.“ Zu den vorrangigen Zielen der „Demokratisierungspolitik“ gehört Rußland. Die russische Regierung hat das NED inzwischen des Landes verwiesen.

Lob verdient das Buch auch dafür, daß es den Stellenwert der Energie- und Transportinfrastruktur im globalisierten Eurasien unterstreicht. Wer kennt schon die geplanten Hochgeschwindigkeitsverbindungen im Rahmen der Neuen Seidenstraße oder das chinesische Jahrhundertprojekt „One Belt, One Road“? Das gleiche gilt für die Konkurrenz der mittelöstlichen Pipeline-Pläne zwischen dem Persischen Golf und dem Mittelmeer – eine der wesentlichen Triebkräfte hinter dem Syrienkonflikt. Oder für die Bodenschätze unter dem Schwarzen Meer, die zusammen mit der Krim jetzt Rußland gehören.

Engdahls Schwäche ist, daß er den russischen Präsidenten und seine Politik ebenso unkritisch verehrt wie die westlichen Medien beide verteufeln. Der gewiefte Wladimir Putin gegen die Tölpel in Washington – als wenn es so einfach wäre. Statt sich vom Westen isolieren zu lassen, schließt Putin ein Bündnis mit China. Statt am Tropf des amerikanisch dominierten Weltwährungssystems zu hängen, unterstützt er die Asiatische Infrastruktur-Investmentbank. Statt dem todgeweihten Dollar zu huldigen, setzt er auf Gold und Yuan. Statt sich von S&P, Moody’s und Fitch herumschubsen zu lassen, gründet er mit den Chinesen seine eigene Ratingagentur. Statt sich der Nato zu unterwerfen, stärkt er mit den eurasischen Partnern die „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“. Das mag alles angedacht und angegangen sein, aber ein erster Schritt ist noch keine Reise.

Allzu flach und pauschal in der Argumentation und mit bisweilen hanebüchenen Behauptungen ist „Rußland und die neue Vernetzung Eurasiens“ vor allem Wasser auf die Mühlen jener, die alle Kritik an der neokonservativen US-Politik als Verschwörungstheorie abtun. Am Ende predigt der Autor für die Gemeinde der Wissenden – die Skeptiker erreicht er mit diesem Buch gar nicht erst. Die dringend erforderliche kritische Auseinandersetzung mit der westlichen Hegemonialpolitik, eingehend und differenziert, steht weiterhin aus.

F. William Engdahl: Rußland und die neue Vernetzung Eurasiens. Wer mischt die Karten in der Geopolitik? Kopp Verlag, Rottenburg 2015, gebunden, 256 Seiten, 16,95 Euro