© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Auferstehung am Ostermontag
Der Aufstand im April 1916 gilt als Wendepunkt auf dem Weg zur irischen Unabhängigkeit
Karlheinz Weißmann

Irische Männer und irische Frauen: Im Namen Gottes und der toten Generationen, von denen es seine alte Tradition des Volkstums hat, ruft Irland, durch uns, seine Kinder zu seiner Fahne und zum Kampf für seine Freiheit.“ Das sind die ersten Worte der Proklamation der Provisorischen Regierung der Irischen Republik, die am 24. April 1916, dem Ostermontag, vor dem Hauptpostamt in Dublin verlesen und dann als Plakat überall in der Stadt angeschlagen wurde. 

Damit begann der „Osteraufstand“ gegen die britische Herrschaft, der sich von der Hauptstadt auf ein Signal hin auch in Teilen des Landes ausbreitete. Das Plakat hatte eine Gruppe von Verschwörern unter größter Geheimhaltung in der Druckerei der Gewerkschaftszeitung hergestellt. Aber das war nur ein kleiner Teil des Komplotts, das die Erhebung vorbereitet hatte. Zu deren wichtigsten Trägern gehörten, auch darüber ließ der Text keinen Zweifel, die elitäre Untergrundorganisation „Irish Republican Brotherhood“ (IRB) auf der einen, Teile der Milizen „Irish Volunteers“ (IV) und „Irish Citizen Army“ (ICA) auf der anderen Seite. 

Alle diese Gruppierungen gehörten zum radikalen Flügel des irischen Nationalismus, den „Republikanern“, und hielten Revolution für ein legitimes Mittel des politischen Kampfes, um Irland von Großbritannien loszureißen. Nicht beteiligt war deshalb die größte irische Partei, die Irish Parlamentary Party, im Unterhaus mit einer eigenen Fraktion vertreten, die auf Legalität setzte, eine gewaltsame Erhebung ablehnte und hoffte, daß London nach dem Ende des Krieges „Home Rule“, das heißt eine begrenzte Selbstverwaltung für Irland, umsetzen werde.

Die Spaltung der Irischen Bewegung hatte eine Ursache auch in deren wachsendem Erfolg während der letzten Vorkriegsjahrzehnte. Der führte notwendig zu Konflikten zwischen den verschiedenen Strömungen. Am Anfang der Bewegung hatten kleine Zirkel von Intellektuellen, wohlhabenden Bürgern und nicht zuletzt anglo-irischen Adligen gestanden, die unter dem Eindruck der Französischen Revolution Selbstbestimmung für die Iren verlangten. Ihre Ideen waren vom Gedankengut der Aufklärung bestimmt und eher abstrakt. Ein von diesen Gruppen organisierter Aufstandsversuch brach 1798 rasch zusammen, nicht zuletzt weil die versprochene Hilfe Frankreichs ausblieb. 

Großbritannien konnte die Unterdrückung seiner Kolonie vor der Haustür ungehindert fortsetzen. Die wirtschaftliche Lage für erhebliche Teile der Bevölkerung verschlechterte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dramatisch. Der Hungersnot zwischen 1845 und 1849 fiel mehr als eine Million Menschen zum Opfer, etwa ein Zehntel der Bevölkerung. Gleichzeitig kam es zur Massenauswanderung, deren Hauptziel die USA waren, wo bereits eine größere irische Gemeinde bestand. Die Auslandsiren sollten in Zukunft eine wichtige Rolle für den Freiheitskampf spielen. Von den Briten unkontrollierbar, gedeckt durch politische Kräfte in den Vereinigten Staaten, die entweder diese Klientel gewinnen wollten oder bereit waren, jede gegen London gerichtete Politik zu unterstützen, konnten sie finanzielle und organisatorische Hilfe in erheblichem Umfang leisten. Der Einfluß der IRB erklärte sich ganz wesentlich aus der Unterstützung, die sie von jenseits des Atlantik erhielt.

Nationale Erweckung durch „Keltische Renaissance“

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der irische Nationalismus seinen elitären Charakter weitgehend abgestreift. Er wurde populär. Das hing auch damit zusammen, daß er eine wichtige Stütze im katholischen Klerus fand. Ire-Sein und Katholik-Sein erschienen als Synonyme, was nicht nur den Konflikt mit der Oberschicht provozierte, die betont britisch und anglikanisch auftrat und deren Privilegien auf der Zugehörigkeit zur Union mit Großbritannien beruhten, sondern auch die Trennlinie zu jenen Einwohnern Irlands schärfer zog, deren Vorfahren seit dem 17. Jahrhundert als englische oder schottische Siedler gekommen waren, und deren Landnahme ausdrücklich dem Zweck gedient hatte, den langanhaltenden irischen Widerstand zu brechen. 

Der Nationalismus dieser zweiten Phase zeigte aber einen weniger politischen als vielmehr kulturellen und sozialen Charakter. Es entstanden zahllose karitative Einrichtungen, Zirkel und Vereine, die sich dem Sammeln von Liedern, Märchen und Sagen, der Pflege von Sprache und Bräuchen widmeten. Hinzu kam ein wachsendes Interesse an der Geschichte, deren imposante Überreste in Irland in großer Zahl zu finden waren. 

Die „Keltische Renaissance“, die auch die Britischen Inseln und auf dem Festland die Bretagne erfaßte, speiste sich jedenfalls hier aus besonders reichen Quellen und verschob am Ende des 19. Jahrhunderts noch einmal die Akzente innerhalb der nationalistischen Weltanschauung. In der Sprachbewegung, insbesondere der „Gaelic League“, die die Verteidigung des überlieferten Gälisch zu ihrem Hauptanliegen machte, fanden sich jedenfalls viele Träger des „Republikanismus“, der jeden Kompromiß mit der britischen Krone ablehnte. Dessen andere Träger waren die irische Arbeiterbewegung, die vor allem in den Gewerkschaften einen ausgesprochen national-sozialistischen Zug hatte, und in jenen Kreisen, die die Militarisierung des irischen Nationalismus durch die Bildung von Pfadfinderverbänden und Organisationen wie den erwähnten Irish Volunteers oder der Irish Citizen Army vorantrieben.

Aus dem Kalkül, in den Milizen eine geeignete Rekrutierungsbasis für den Fall der Fälle zu besitzen, hatte man in London diese Entwicklung zugelassen. Aber es zeigte sich nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, daß die Rechnung nicht aufging. Zwar gab es eine erhebliche Zahl irischer Freiwilliger, die vor allem aus den Reihen der IV zur britischen Armee gingen, aber als die Regierung immer nachdrücklicher eine allgemeine Wehrpflicht forderte, wuchs in Irland der Widerstand. Die Parole „We fight neither King nor Kaiser but Ireland“ – „Wir kämpfen weder für König noch für Kaiser, sondern für Irland“ einte trotz sonstiger Differenzen große Teile von IV und ICA. Trotzdem war nur eine Minderheit entschlossen, nach dem Prinzip zu handeln, daß Englands Schwierigkeiten Irlands Chancen seien. Aus diesen Kreisen hatte man Kontakte zum deutschen Kriegsgegner aufgenommen. In Berlin sah man durchaus Möglichkeiten in der Unterstützung der irischen Rebellen, aber es scheiterte sowohl der Plan, aus kriegsgefangenen Iren, die in der britischen Armee gekämpft hatten, eine „Irische Brigade“ aufzustellen, wie auch die Anlandung von Waffen an der Küste kurz vor Beginn des Aufstands.

Stimmungsumschwung durch Brutalität der Briten  

Wenn der trotzdem ausbrach, hatte das vor allem mit der Entschlossenheit zweier Männer zu tun: Patrick Pearse, führendes Mitglied der IRB und der Volunteers, und James Conolly, Sozialist und Kommandeur der ICA. Nach der Verlesung der Proklamation besetzten sie mit ihren Männern das Hauptpostamt, dann bemächtigten sich andere Gruppen der Aufständischen wichtiger Knotenpunkte in Dublin, hoben Schützengräben aus und errichteten Barrikaden. Die Schläge trafen die Briten völlig unvorbereitet, was die Anfangserfolge der Erhebung erklärt. 

Allerdings schlug schon der Sturm auf Dublin Castle, den Hauptsitz der Briten, fehl, und sehr früh zeigten sich die Folgen der massiven zahlenmäßigen und materiellen Unterlegenheit der Iren: den 1.000 Männern und Frauen der Volunteers, verstärkt durch etwa 200 Kämpfer der Citizen Army – beide Gruppen bildeten jetzt die Irish Republican Army (IRA) –, standen mindestens 4.500 britische Soldaten und 1.000 Polizisten gegenüber, die außerdem durch Artillerie unterstützt wurden. Bis zum Dienstag erhielten die Briten weiteren Zuzug, so daß die Lage der Aufständischen bereits aussichtslos war, zumal sich die Rebellion anders als erwartet nicht in ganz Irland, im Grunde nicht einmal in ganz Dublin ausgebreitet hatte. Entgegen der Erwartung von Pearse und Conolly nahm der Konflikt rasch kriegsähnliche Züge an, und auf die Zivilbevölkerung wurde keinerlei Rücksicht genommen. 

Die Situation verschärfte sich noch einmal, als am 27. April der neue Oberbefehlshaber der britischen Truppen, Sir John Maxwell, eintraf. Relativ rasch hatte London begriffen, daß mitten im Krieg die größte Aufstandsbewegung seit hundert Jahren ausgebrochen war. Maxwell erhielt Anweisungen der Regierung, die auf schärfstes Vorgehen gegen die Rebellen setzte. Er ließ ohne Rücksicht Geschütze einsetzen und Verdächtige summarisch liquidieren. Innerhalb von drei Tagen hatten die britischen Truppen den letzten Widerstand niedergekämpft. Pearse und Connolly, die weitere Opfer unter den Zivilisten und Unbeteiligten fürchteten, gaben am Morgen des 29. April 1916 den Befehl zur Kapitulation.

Wie man den Berichten von Augenzeugen entnehmen kann, stand die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt der Erhebung eher ablehnend gegenüber. Gefangengenommene Republikaner wurden vor allem in den Armenvierteln verhöhnt und beschimpft. Die Stimmung schlug aber um, als bekannt wurde, daß die britische Regierung die Anführer des Osteraufstands hinrichten ließ. Dazu gehörten alle Unterzeichner der Proklamation, aber auch William Pearse, dessen einzige Schuld darin bestand, der Bruder von Patrick Pearse zu sein; Connolly, der bei den Kämpfen schon tödlich verwundet worden war, mußte auf einem Stuhl festgebunden werden, bevor man ihn erschoß.

Die Härte des britischen Vorgehens war verständlich angesichts der Tatsache, daß das Land gleichzeitig in einem der schwersten militärischen Konflikte seiner Geschichte stand. Allerdings stieß es in der irischen Bevölkerung auf Unverständnis. Selbst jene, die die politischen Ziele der Rebellen nicht teilten, bewunderten deren Opferbereitschaft. Auch eine gewisse Kompromißbereitschaft von britischer Seite konnte den Prozeß der Radikalisierung nicht aufhalten. Der erklärt ganz wesentlich die weitere Abfolge der Ereignisse: den Ausbruch des Anglo-Irischen Krieges (1919–1921), die Errichtung eines irischen Freistaats, die Teilung des Landes und letztlich die Schaffung einer souveränen Republik. 

Es bewahrheitete sich insofern auch das Wort, das einer der Beichtväter der zum Tode verurteilten Führer des Osteraufstands aussprach, nachdem jede Bitte um Begnadigung durch die Briten abgelehnt worden war: „Das Blut der Märtyrer ist die Saat neuer Märtyrer.“