© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Der weiße Mann muß lernen
Forscher am Amazonas: „Der Schamane und die Schlange“ von Ciro Guerra
Sebastian Hennig

Der kolumbianische Filmregisseur Ciro Guerra hat einen schwer zugänglichen Teil der Geschichte und Geographie seines Heimatlandes aufgesucht. In sieben Wochen entstanden die Aufnahmen zu „Der Schamane und die Schlange“ im Amazonas-Gebiet. Mit alten Flugzeugen, Rikschas, Flößen, Schlitten und Motorrädern wurde das Material in schwer zugängliche Gebiete gebracht. Die Schauspieler fuhren morgens mehr als eine Stunde mit dem Boot zum Drehort. Ohne die Unterstützung der eingeborenen Völker wäre der Film nicht zustande gekommen. Die Voraussetzungen für dieses Zusammenwirken bilden zugleich das Thema des zweistündigen Films.

Die Erzählung verschränkt die Erlebnisse zweier Forscher aus Deutschland und Amerika. Der Schamane Karamakate begleitet im Abstand von vierzig Jahren den Anthropologen Theodor Koch-Grünberg (1872–1924) und den Begründer der Ethnobotanik Richard Evans Schultes (1915–2001). Während die Figuren der Forscher sich archetypisch in eine Gestalt verbinden, wirkt der gealterte Medizinmann wie zweigeteilt. Doch beide Linien sind verknüpft in vielen Übergängen, die es schwer machen, die Zugehörigkeit der einzelnen Fasern zum jeweiligen Erzählstrang festzustellen. Das wirkt sich auch auf die Theorien aus, mit denen der Ausbeutung der Natur begegnet wird. Das Schlagwort vom Kolonialismus erweist sich als unzulänglich zur Beschreibung eines Ergebnisses, von dem an der dunkelsten Stelle der Handlung festgestellt wird, es würde das Schlimmste aus beiden Welten vereinen.

Als ein todkranker Mann erhofft Theo (Jan Bijovet) mit seinem einheimischen Begleiter Manduca (Miguel Dionisio Ramos) Heilung durch das Geheimwissen der Schamanen. Seit sein Stamm überfallen und zerstreut wurde, verbirgt sich Karamakate (Nilbio Torres) in der Einsamkeit des Dschungels. Die göttliche Natur spricht zu ihm in Zeichen und Träumen. Halluzinogene Pflanzen verstärken diese Mitteilungen.

Der am Flußufer hockende eremitische Jäger erhebt sich. Der muskulöse Körper ragt wie eine Statue empor. Manduca bringt ihn dazu, sein todbringendes Blasrohr widerwillig wieder abzusetzen und sich auf Theo einzulassen. Der stellt ihm die Wiederbegegnung mit seinem Stamm in Aussicht. Die wechselseitige Überlegenheit der beiden kennzeichnet ihr weiteres Auskommen. Als der fiebernde Theo sich an den Stromschnellen die ganze Ausstattung aufpackt und an der Last fast zusammenbricht, fordert ihn der Schamane auf, sich von den Dingen zu trennen. Theo besteht darauf, daß es keine Objekte wären, sondern die einzige Verbindung zur Heimat. Die Feststellung des Schamanen, daß er offenbar verrückt sei, bestätigt er: „Ich weiß.“

Seinem amerikanischen Kollegen liegt solche klare Selbsteinschätzung fern. Evans trifft auf den alt und füllig gewordenen Schamanen (Antonio Bolivar). Der zeichnet Bilder auf den Fels, die er nicht mehr versteht. Die Fragen des Forschers machen ihm klar, daß er das Geschenk der Götter vergessen hat, nur noch eine Hülle seiner selbst ist, ein Chullachaqui, wie der Fremdling. Dieser muß ihm aus Coca- und Yarumoblättern das kultische Mambe zubereiten. Das beharrliche Streben des Forschers soll dem Einheimischen den Weg zurück weisen zur Weisheit der Götter. Die damit verbundenen Abirrungen werden streng ins Bild gesetzt, daß kein Platz bleibt für Gefühle der Entlastung durch die Schönheit der Natur.

Doch das Charisma der Schauspieler kann es mit der Totalität der Landschaft aufnehmen. Da der Film in Schwarzweiß gehalten ist, wird der Betrachter nicht einer grünen Hölle überliefert. Die silbrige Kontrastschwäche der Fotografie wirkt so, als wäre eine farbige Aufnahme nachträglich entfärbt worden. Das Zeichenhafte der Landschaft wird betont, der Mensch hat sich ihrer Allmacht einzuordnen.

Die Achtung der Naturmenschen vor dem Dschungel umfaßt auch den Respekt vor der Natur eines darin auftretenden weißen Mannes, dessen Magie Kultur und Bildung ist. Der weiße Mann muß lernen, sonst wäre es das Ende für alle. Er hat die Erkenntnis einer auf den Untergang zielenden Überlegenheit, die sich selbst entgehen möchte. Karamakate findet in der Zeichnung eines Traumgesichts von der Hand des Forschers die Zusammenhänge seines Weltbildes.

Als Evans sich kurz vor dem Ziel bereit findet, seine Sachen zurückzulassen, will er eine Kiste davon ausnehmen. Es handelt sich um ein Grammophon, das ihn an seine Heimat Boston erinnert. Mit dem Indio sitzt er unter den Sternen. Sie hören den besonderen europäischen Klang dieses amerikanischen Orchesters. „In deiner Musik findet sich der Weg“, sagt der alte Schamane und fordert ihn zugleich auf, nicht nur mit den Ohren zu hören.

Eine Traumsequenz am Ende des Films ist in Farbe aufgenommen. Es wird viel geredet. Die Verwendung von Spanisch, Deutsch und den Sprachen der Eingeborenen erzeugt ein sinnliches Profil der Dialoge. Die Wort- und Körpersprache, der Fluß des Wassers und der Verlauf der Filmerzählung gehen ineinander über. Sie verstärken und kommentieren sich.